Mülheim. Angesichts der explodierenden Preise für Gas und Strom richtet Mülheims Verbraucherzentrale aktuell einen dringenden Appell an die Verbraucher.
Das Verbraucherportal „Check24.de“ hat dieser Tage die unheilvolle Entwicklung für Gas- und Stromverbraucher noch einmal auf den Punkt gebracht: Die Kosten fürs Heizen hätten sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als Verdoppelt (plus 107 Prozent), die Strompreise seien um 41 Prozent gestiegen. Mülheims Verbraucherzentrale mahnt die Kunden, daraus nicht vorschnell Konsequenzen zu ziehen.
Viele Mülheimerinnen und Mülheimer dürften sich seit Wochen und Monaten fragen, wie sie die nächste Abrechnung für Strom und Gas stemmen sollen angesichts der explodierenden Preise. Der Energiemarkt steht Kopf. Discount-Anbieter wie gas.de oder „Immergrün“, einst mit dem großen Versprechen unschlagbarer Preise auf Kundenfang, haben ihre Kunden nun kurzerhand im Regen stehen lassen und die Energieversorgung gestoppt. Die Preise galoppieren – und manch ein Verbraucher zieht für sich selbst schnell den Hebel, den er als Notbremse sieht: die Kündigung.
Mülheims Verbraucherzentrale mahnt: Vor Strom-Kündigung erst Alternativen studieren
Turbulenzen auch am Gasmarkt
Noch sprunghafter in der Preisentwicklung präsentiert sich der Gasmarkt. Gab es für einen Musterhaushalt den Jahresverbrauch von 17.000 Kilowattstunden Ende 2020 noch für unter 800 Euro bei dem günstigsten Anbieter, so ist aktuell die örtliche Medl für Wechsel- und Neukunden preislich am günstigsten.
Im Tarif „medlErdgasfix23“ (Preisgarantie bis Ende 2023) summiert sich die Jahresrechnung allerdings auch bereits auf 1922,88 Euro – also weit mehr doppelt so viel von dem Preis, zu dem Gas vor gut einem Jahr für Mülheimer Verbraucher zu haben war.
Es profitieren, trotz Preiserhöhung der Medl zum 1. April, auch hier die Bestandskunden. Sie zahlen auch ab April einiges weniger pro Kilowattstunde als Neukunden.
Bemerkenswert: Die herkömmliche Empfehlung, den Grundversorgungstarif schnellmöglich gegen einen günstigeren Tarif einzutauschen, gilt nicht mehr. Die Tausenden Kunden, die bei der Medl den Grundversorger-Tarif schon vor den Preissprüngen hatten und gegen die Empfehlungen aller Experten gehalten haben, profitieren heute: Sie zahlen bei der Medl nur 7,84 Cent pro Kilowattstunde. Für den Musterhaushalt bedeutet das eine Jahresrechnung von „nur“ knapp mehr als 1400 Euro.
Doch Mülheims Verbraucherzentrale stellt fest, dass nicht wenige Menschen jene „Notbremse“ überhastet betätigen. Wie Verbraucherberaterin Gudrun Schäfer am Donnerstag berichtete, suchen vermehrt Menschen die Beratung auf, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen sei. Weil sie sich nicht in der Lage sähen, die teuren Energiekosten zu tragen, kündigten sie bereits, bevor sie den Markt sondiert hätten.
Dieses Phänomen tritt dieser Tage vermehrt bei Stromkunden auf, beobachtet Schäfer. Sie kündigten ihre aktuellen Lieferverträge, ohne sich vorab über preisgünstigere Alternativen schlau gemacht zu haben. Das Problem: Wegen der exorbitant hohen Preissteigerungen gibt es jene Alternative in den allermeisten Fällen gar nicht.
Fatal: Kunden, die Tarife mit unter 30 Cent pro Kilowattstunde unüberlegt kündigen
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Fatal: Schäfer berichtet von Verbrauchern, die ihre Verträge gekündigt haben, obwohl diese ihnen noch einen Kilowattstunden-Preis von unter 30 Cent garantiert haben. Jene Kunden wären besser bei diesem Anbieter geblieben, denn unter 30 Cent ist ein Kilowattstunden-Preis aktuell in Mülheim gar nicht zu bekommen. Verivox etwa weist den Eon-Grundversorgertarif „Strom Klassik“ derzeit als günstigste Variante für Neukunden aus, die einen Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden haben (Muster-Einfamilienhaus).
Ausgewiesen sind 31,22 Cent pro Kilowattstunde und eine monatliche Grundgebühr von 11,56 Euro – würde eine Jahresrechnung von 1387,72 Euro für den Musterhaushalt bedeuten. Wenn der Haken nicht auch hier in der Umsetzung stecken würde.
Versuch, günstigen Eon-Tarif online zu buchen, scheitert – Medl gewinnt neue Kunden
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Denn der Versuch, auf der Eon-Homepage diesen Tarif zu buchen, scheiterte am Donnerstag. Eon bietet dem Mülheimer Musterkunden bei Angabe seines Jahresverbrauchs automatisch nur den Tarif „Strom Öko Plus“ an. Dieser ist deutlich teurer, der Arbeitspreis beträgt satte 41,33 Cent pro Kilowattstunde, auch der monatliche Grundpreis liegt mit mehr als 17 Euro deutlich über dem Eon-Grundversorgertarif. Auch Verivox bietet keine direkte Wechselmöglichkeit zu dem besagten Eon-Tarif.
Auf der Eon-Homepage sind Informationen zu jenem Grundversorger-Tarif denn nur versteckt aufzufinden. Direkt zu buchen ist er aber auch dort nicht. Ein Eon-Sprecher versicherte am Donnerstag aber: „Wir verwehren keinem Kunden aus den Gebieten,, wo wir Grundversorger sind, unseren Grundversorger-Tarif.“ Wer sich telefonisch melde, werde zu ihm wechseln können. Offensichtlich käme es dem Essener Konzern aber auch nicht gelegen, wenn allzu viele seiner Kunden in den günstigsten Tarif wechselten. Er sieht sich ebenso einer „herausfordernden Situation“ am Markt ausgesetzt. Eon-Chef Leonhard Birnbaum hatte den Staat jüngst erst aufgefordert, etwa der Spekulation durch Energie-Discounter einen Riegel vorzuschieben.
Mehr Stromkunden: Mülheims Medl profitiert nach eigenen Angaben von Turbulenzen
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Von den Turbulenzen am Markt profitiert nach eigener Aussage der örtliche Energieversorger Medl. Vertriebschef Jan Hoffmann spricht von einem dreistelligen Kundenzuwachs aktuell pro Monat. Grund dafür ist wohl auch, dass wechselwillige Kunde bei der Medl ohne Umschweife einen aktuell äußerst attraktiven Stromliefervertrag abschließen können.
Im Tarif „medlstrom“ bietet der örtliche Versorger die Kilowattstunde für fast unschlagbare 35,11 Cent an (bei 10,71 Euro monatlicher Grundgebühr). Besagter Musterhaushalt käme so auf eine Jahresrechnung von 1532,92 Euro für 4000 Kilowattstunden Strom. „Da sind wir ganz vorne dabei“, freut sich Hoffmann und sieht die Medl-Strategie bestätigt, durch längerfristig angelegte Einkäufe mehr Preisstabilität bieten zu können.
Binnen eines Jahres über 400 Euro mehr für Strom im Muster-Einfamilienhaus
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Die gleiche Menge Strom konnten Mülheimer Kunden zum Jahresbeginn 2021 bei entsprechender Anbieter-Auswahl allerdings noch für unter 1100 Euro beziehen – das zeigt die Auswirkungen gerade für Bürger, die ohnehin wenig Geld in der Haushaltskasse haben. Für diese hat die Bundesregierung jetzt allerdings einen einmaligen Energiebonus für dieses Jahr zugesagt.
Wohl dem, der noch einen preisgünstigen Altvertrag in den Händen hält. Die Medl etwa hebt für Altkunden des Tarifes „medlstrompur“ zwar zum 1. März auch den Preis an, aber er wird laut Hoffmann „noch deutlich günstiger sein“ als die Tarife, die aktuell am Markt angeboten werden.