Mülheim. Eine Rose auf Mülheimer Stolpersteinen, mutmaßlich von Impfskeptikern abgelegt, sorgt für Empörung. Warum die Stadt glaubt, dass es „Zufall“ war.

Eine angewelkte Rose liegt auf dem Pflaster, daran befestigt ist ein Zettel, der zum sogenannten Mülheimer „Montagsspaziergang“ einlädt. Die Rose wirkt wie sachte abgelegt - genau auf drei Stolpersteinen aus Messing, die an Opfer des Nationalsozialismus in Mülheim erinnern.

Thomas Nienhaus, ehemaliger Pressesprecher der Stadtverwaltung Mülheim, hat die Rose am Mittwochmorgen auf der Bahnstraße in der Innenstadt entdeckt, fotografiert und das Ganze wenig später auf Twitter gepostet: „Abscheulich“, schrieb Nienhaus dazu, „wie der ,Spaziergang’ für Teilnehmer wirbt.“

Stadt Mülheim geht davon aus, dass Rose zufällig auf Stolpersteinen lag

Er vermutet, dass die Rose bewusst so drapiert wurde, doch Beweise dafür gibt es bislang keine. Wollten Organisatoren oder Teilnehmende der Impfgegner-Demo, bei der tatsächlich Rosen verteilt werden, ein provokantes Zeichen setzen?

Der städtische Ordnungsdienst sei vor Ort gewesen, habe die Rose entfernt und rundum kontrolliert, berichtet Stadtsprecher Volker Wiebels auf Anfrage. In der Mülheimer Innenstadt liegen zahlreiche Stolpersteine, „doch in der näheren Umgebung gab es keine weiteren solcher Rosen“, sagt Wiebels. „Daher gehen wir davon aus, dass es Zufall war. Bewiesen ist es aber nicht.“

Mülheims OB: „Respektlos und mit wenig Geschichtswissen gehandelt“

An Zufall mag Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz indes nicht recht glauben. „Dieser Versuch der Geschichtsklitterung mitten in unserer Stadt ist respektlos und verabscheuenswürdig. Er zeigt deutlich, wie wenig Bewusstsein gegenüber unserer Geschichte die dafür Verantwortlichen haben. Und er ist respektlos gegenüber den sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens, die während der totalitären Terrorherrschaft der Nationalsozialisten weltweit ermordet wurden.“

Es mache ihn „fassungslos, dass dieser Missbrauch der Stolpersteine, die an das durch die Nationalsozialisten ausgelöschte jüdische Leben in unserer Stadt erinnern, just um das Datum des internationalen Holocaust-Gedenktages geschah, an dem wir der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedenken“, so Buchholz.

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Der Organisator der Mülheimer „Montagsspaziergänge“ und Mann im Kostüm des selbst ernannten „Coronasaurus“, Christian Garcia Diaz, lehnte am Freitag gegenüber der Redaktion eine ausführliche Stellungnahme ab, sagte nur: „Lächerlich gestellte Fotos. Darauf reagiere ich nicht.“

Wie auch immer die Rose an genau diese Stelle gelangte - das Bild, das dem Vernehmen nach auch in einer einschlägigen Telegram-Gruppe der Querdenker-Szene geteilt worden sein soll, ruft in Mülheim heftige Reaktionen hervor. „Es ist eine absolute Unverschämtheit, die Opfer der Shoah mit den Corona-Maßnahmen nur irgendwie in Verbindung zu bringen“, meint ein junger Facebook-Nutzer, der das Bild seinerseits in einer Mülheim-Gruppe gepostet hat. „Es zeugt von ekelhaftem Geschichtsrevisionismus und beleidigt jeden einzelnen Juden in der Stadt. Inzwischen sollte jedem klar sein, wer da montags eigentlich durch unsere schöne Stadt marschiert.“

Mülheimer SPD reagiert: „Fassungslos und angewidert“

Auch die Mülheimer SPD hält die abgelegte Rose mitnichten für Zufall, sondern für eine ernst gemeinte Geste der Querdenker-Szene und nennt sie „schamlos“. In einer Stellungnahme schreiben die Parteivorsitzenden Rodion Bakum und Nadia Khalaf sowie Fraktionsvorsitzende Margarete Wietelmann: „Fassungslos und angewidert nehmen wir auch in Mülheim wahr, dass die Erinnerung an den Holocaust genutzt wird, um für die Teilnahme an den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen zu werben.“

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Der wiederholte Vergleich der Querdenker-Szene mit der systematischen Verfolgung und Ermordung von über sechs Millionen Jüdinnen und Juden sei „schamlos“, vor allem im Kontext des Holocaust-Gedenktages. Rodion Bakum, der selbst jüdische Wurzeln hat, appelliert an die Verantwortlichen: „Schämen Sie sich und gehen Sie tief in sich, um die Geschichtsvergessenheit und Anstandslosigkeit dieser Aktion zu reflektieren! Ich rate Ihnen dringend zu einem Besuch einer KZ-Gedenkstätte, um für die Zukunft klüger zu handeln.“

Aufruf zur Kundgebung am Sonntag: „Solidarisch durch die Corona-Pandemie“

Auch Nadia Khalaf und Margarete Wietelmann zeigen sich entsetzt über die Aktion. Khalaf gehört zu denjenigen, die am Wochenende auf ihre Art ein Zeichen setzen wollen. Das Bündnis „Mülheim stellt sich quer“, als dessen Sprecherin Khalaf fungiert, ruft für kommenden Sonntag, 30. Januar, zu einer Kundgebung auf unter dem Motto: „Solidarisch durch die Corona-Pandemie - Wir sind mehr“. Treffpunkt ist um 17.30 Uhr auf dem Mülheimer Rathausmarkt. Dort sollen Kerzen angezündet werden.

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Wahlweise können auch Solidaritätslichter daheim ans Fenster gestellt und die Fotos in sozialen Netzwerken gepostet werden (unter #MHSSQ #SolidarischdurchdieCoronapandemie #wirsindmehr #Muelheimstelltsichquer).

Das Netzwerk „Mülheim stellt sich quer“ wurde im Oktober 2019 als Gegenbewegung zu einer AfD-Veranstaltung gegründet und mobilisierte seinerzeit rund 2500 Menschen. Ob das Motto „Wir sind mehr“ faktisch auf die Straße gebracht werden kann, angesichts von über 600 Teilnehmenden beim letzten Mülheimer „Montagsspaziergang“, muss man abwarten. „Wir können schlecht einschätzen, wie viele Leute kommen“, sagt Nadia Khalaf. Angemeldet sei die Solidaritätskundgebung für 350 Personen.