Mülheim. Mülheimer Wissenschaftler hat für „Kleine Frau im Mond“ über die Filmindustrie im Dritten Reich recherchiert. Sein Pseudonym: Stefan Boucher.
Wissenschaft und Schriftstellerei müssen sich nicht ausschließen. Das zeigt das neue Buch des Mülheimer Autors Stefan Boucher. „Kleine Frau im Mond“ ist ein Roman mit einer frei erfundenen Liebesgeschichte, basierend aber auf umfangreichen Recherchen zu einem hochinteressanten Thema deutscher Geschichte. Der Untertitel lautet: „Das Leben zwischen Traumfabrik und totalem Krieg“. Es geht um die Film- und Unterhaltungsindustrie im Dritten Reich.
Mülheimer Autor hat wissenschaftliche Arbeit belletristisch aufgearbeitet
Stefan Boucher ist ein Pseudonym. Der Autor heißt eigentlich Prof. Dr. Stefan Piasecki, lehrt an der Uni Essen und der FH für Öffentliche Verwaltung und Polizei in Mülheim. Er ist Politik- und Sozialwissenschaftler sowie Religions- und Medienpädagoge – dazu Computerspiel-Erfinder und Science-Fiction-Fan. Und nebenbei auch schon seit längerem Schriftsteller. „Long forgotten“, ein Thriller über neue Chip-Technologien, war sein erster Versuch, wissenschaftliche Arbeit belletristisch aufzuarbeiten.
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„Kleine Frau im Mond“ verfolgt das gleiche Ziel – verpackt in eine Lovestory: Berlin 1944. Die 16-jährige Mara arbeitet an einem Fahrkartenschalter, liebt den Film und die noch junge Weltraumforschung. Ihre Bekanntschaft mit zwei Musikern bringt sie in die Traumwelt der UFA-Studios und zu den Dreharbeiten des bekannten Films „Unter den Brücken“. Aber die Reihen der Stars lichten sich. Beliebte Schauspieler verschwinden, werden verhaftet... Gleichzeitig lernt Mara einen Verwaltungssoldaten und einen Flakhelfer kennen, die ihre Interessen teilen und Gefühle in ihr wecken. Bald werden Gestapo und militärische Abwehr auf das junge Mädchen aufmerksam.
In der Drehpause rannte die Crew in den Bunker
„Die Frage, die mich interessierte, war: Wie konnten Menschen unter dem Druck des Nazi-Regimes Unterhaltung produzieren“, sagt Stefan Boucher. „Die UFA in Berlin hat in Kriegszeiten Filme en masse gemacht – und in der Drehpause rannte die Crew in den Bunker.“ Viele Kulturschaffende seien damals von Zensur, Verhaftung oder Einziehung zur Wehrmacht bedroht gewesen. „Wie schafften sie es, zu überleben und Filmkunst zu kreieren?“, wollte der 51-Jährige wissen.
Um die Gegebenheiten so realistisch wie möglich darzustellen, recherchierte er monatelang akribisch. Er besuchte zahlreiche Archive und suchte nach Menschen, die die alten Zeiten noch miterlebt hatten – oder nach Personen, die sich in irgendeiner Form mit dem Thema beschäftigten. So stieß er beispielsweise auf Heinz J. Galle, einen Unterhaltungsforscher. Oder auf Adrian Kutter, den Sohn des Dokumentarfilmers Anton Kutter (1903-1985), der ihm Drehbücher und Drehpläne aus den 1940er-Jahren zeigte.
Mülheimer Autor legt gerne Spuren zu Wissensfragen
„Ich wollte den Zeitgeist einfangen, musste mich zum Beispiel anhand von Original-Dokumenten, Zeitungsberichten und alten Filmen in die Zeit eindenken und einfühlen“, sagt Stefan Boucher. Zwei Jahre lang war er mit seinen Nachforschungen beschäftigt – neben seiner Arbeit als Dozent. „Ich habe zwar Politik studiert. Wie Totalitarismus funktioniert, wie er Menschen in ein Schema presst, wie ein Bedrohungsgefühl erzeugt wird, ist mir bei der Beschäftigung mit diesem Thema erst so richtig deutlich geworden“, so der Autor. Für das Verfassen des Romans gab es aber auch noch einen weiteren Grund. „In einem Seminar an der Uni stellte ich fest, dass die Studierenden von heute nichts darüber wissen, wie damals Film und Fernsehen waren.“
Zum Lebenslauf
Stefan Piasecki ist gebürtiger Mülheimer. Er hat in Duisburg promoviert (über den Mohammed-Karikaturenstreit) und in Kassel habilitiert über „Religion und weltanschauliche Inhalte im Computer- und Videospiel“. Seit 2018 lehrt er an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW Soziologie und Politikwissenschaften.Von 1993 bis 2004 arbeitet er als Producer in der internationalen Computerspielindustrie. Er ist aktuell auch Jugendmedienschutzprüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK).Seine Tranthal-Romanreihe in vier Bänden zählt zum Genre „Science Fiction“.
In seinen Büchern legt Stefan Boucher „gerne Spuren“, reißt Historisches so an, dass Leser angeregt werden, sich näher mit den geschichtlichen Hintergründen zu befassen. Zwei weitere historische Romane hat der Familienvater auch schon in Arbeit. Der erste spielt in den 1920er-Jahren in Teheran, im zweiten Buch geht es um die HVA, den Auslandsnachrichtendienst der DDR.
Der Roman ist im Buchhandel erhältlich - in verschiedenen Formaten und auch mit Großschrift (19,90 - 34,90 Euro), das E-Book kostet 9,99 Euro.