Mülheim. Kann man beim Nahverkehr sparen und ihn gleichzeitig attraktiver machen? Jetzt bringen sich die Mülheimer in die Debatte ein. Die Knackpunkte.

Schlanker soll der Nahverkehr in Mülheim werden, um gut zwei Millionen Euro – oder, wie es im Jargon von Politik und Verwaltung heißt: Er soll „optimiert“ werden. Damit daraus keine „Null-Diät“ für Bus- und Bahn-Kunden wird, tüfteln Stadt und Politik daran, etwa parallel fahrende Linien auf möglichst eine einzukürzen, Strecken zu verbessern. Doch die Änderungen wirbeln das gewohnte Fahrverhalten durcheinander – es drohen Konflikte. Ab Donnerstag können deshalb Bürger mitreden: Noch ist alles offen. Das sind die möglichen Knackpunkte.

Den ersten hat bereits Selbeck entdeckt: Die Linie 753 soll mit dem neuen Entwurf Geschichte sein und durch die Verbindungslinie V2 ersetzt werden. Weil die aber andere Wege fährt, ginge dem Stadtteil allerdings die direkte Verbindung zur Luisenschule verloren. Das hat bereits etliche Eltern aufgebracht, deren Kinder zum Gymnasium am Oppspring pendeln.

Knackpunkt 1: Weniger Linien – und dennoch gute Anbindung?

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Die direkte Linie war für sie ein Argument, die Schule in Holthausen zu wählen, mit der künftigen Linie V2 müssten sie - nach aktuellem Entwurf – in Broich in die Straßenbahn 102 zur Stadtmitte umsteigen und anschließend in die 104 Richtung Oppspring. Es ist nicht die einzige Verbindung, die auch der Selbecker Bürgerverein mit deutlichen Worten kritisiert hat. Er befürchtet, der Stadtteil werde „abgehängt“ und „mehr Individualverkehr und eine steigende Umwelt- und Verkehrsbelastung“ gefördert.

Mehr Bereitschaft umzusteigen wird das künftige Liniennetz seinen Kunden aber auch sonst abverlangen. Denn im Grundsatz soll sich alles auf die vier kurz getakteten Straßenbahnen 102, 104, 112, 901 sowie die U18 konzentrieren, die aus allen vier Himmelsrichtungen in der Regel den Hauptbahnhof als Knotenpunkt ansteuern.

Knackpunkt 2: Mehr Umsteigen – und dennoch schnell ankommen?

Ein Ring aus Buslinien soll grundsätzlich dazu dienen, diese schnellen Achsen auf kurzem Wege anzusteuern. Doch es gibt Ausnahmen: So genannte Metrobusse (M1 und M2) sollen ebenfalls die Aufgaben der Straßenbahnen übernehmen, also siedlungsstarke Stadtgebiete möglichst schnell zum Hauptbahnhof führen. Die Verbindungslinien (V) hingegen spannen weite Bögen zwischen verschiedenen Stadtteilen und quer zu den Straßenbahnen.

Macht das zwangsläufig häufigere Umsteigen den Nahverkehr langsamer? Nicht unbedingt: Alles hängt an der Frequenz der Linien und an der Koordination zwischen Straßenbahn und dem „Zubringer-Bus“. Im Idealfall liefe es so: Man geht zur nahen Bushaltestelle, dort kommt in kurzen Abständen der Bus. Er nimmt den kürzesten Weg zur Bahn – und die ist so abgestimmt, dass kaum Wartezeiten entstehen. Ob ein 15-Minuten-Takt der Bahnen dafür ausreicht, ist bereits heiß umstritten. Manche Fraktion sähe gerne Bahnen alle zehn Minuten.

Doch schon jetzt ist die Frage der Straßenbahn-Taktung schwierig zu koordinieren. Denn fast alle Linien sind interkommunal unterwegs und damit mit den Nachbarstädten abzustimmen – Ausnahme: die Linie 102.

Knackpunkt 3: Klares Liniennetz oder Spaghettiknoten

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Das häufige Umsteigen hat eine zweite Problematik: den roten Faden. Wie also kommt man von A nach B? Wo muss man umsteigen? Das neue Liniennetz gleicht, trotz theoretisch klarer Hierarchien aus Bahn und Bus, derzeit optisch einem wirren Spaghettiknoten. Was jedoch gut für die „Saucenbindung“ ist, könnte für die Kundenbindung ein Ärgernis bedeuten.

Ein Problem dabei: Nicht alle wichtigen Anlaufpunkte liegen auf einer Achse von Straßenbahnen und Metrobussen. Sie müssen dennoch bedient werden. Und: Es gibt damit voraussichtlich einige Ausnahmen vom klaren System. Die Verbindung von Selbeck zur Luisenschule wäre dann etwa eine solche. Wie sehr man in Mülheim vom klaren System abweichen wird oder es sogar schärfen kann, hängt deshalb nicht zuletzt auch von der Bürgerbeteiligung ab. Und der Bürgerbereitschaft, sich auf Wege einzulassen, die von den vertrauten abweichen.

Knackpunkt 4: Die Kosten

So läuft die Bürgerbeteiligung

Am Donnerstag, 9. Dezember, stellt das Amt für Verkehrswesen und Tiefbau den neuen Entwurf auf Youtube vor. Aufgrund von Gesprächen mit den Nachbarstädten könnte dieser schon kleine Veränderungen zu der Variante aufzeigen, die noch im Sommer debattiert worden ist.

Wegen der Pandemielage soll die Bürgerbeteiligung nur online auf Youtube (youtu.be/OHAaBlh-z88) durchgeführt werden. Beginn ist um 17 Uhr.

Das Konzept wird anschließend auch auf der Website der Stadt veröffentlicht. So kann man während der Online-Präsentation, aber auch danach Anregungen zum ÖPNV-Plan an die Mailadresse senden.

Zwei Millionen Euro soll das neue ÖPNV-Angebot ab 2023 einsparen – pro Jahr. Anvisiert waren gar mal insgesamt sieben Millionen. Einsparungen ließen sich aber auch anders denken: durch Kundenzuwachs. Diesen Ansatz zumindest brachte vehement etwa die SPD in die Debatte ein um das damalige „Netz 23“, das die Stadt ursprünglich geplant hatte. Und das sehr umfangreiche Einsparungen vorsah.

Doch die Idee der Genossen – auch andere Fraktionen vertraten die Sicht – die Defizite des Nahverkehrs durch bessere Angebote und damit mehr zahlende Kunden ausgleichen zu können, setzte sich nicht durch. Allerdings ist eine Finanzierung des Nahverkehrs über Ticketverkäufe grundsätzlich nicht unumstritten. Denn so fehlen stets die Mittel, um den ÖPNV weiterzuentwickeln und auszubauen. Nicht zuletzt deshalb und aus ökologischen Gründen werden auch Forderungen in der Politik lauter, den Nahverkehr volkswirtschaftlich zu rechnen und etwa über Streichungen von Subventionen anderer Verkehrsmittel – etwa Pendlerpauschale und Dienstwagenprivileg – zu finanzieren.

Wie geht die Entwicklung des Nahverkehrs weiter? Nach der Bürgerbeteiligung am 9. Dezember reichen zum Jahresbeginn auch die politischen Fraktionen und Gruppen ihre Vorschläge ein. Aus den Anregungen beider Seiten erarbeitet die Stadtverwaltung einen Entwurf, über den schließlich politisch entschieden werden muss. Davor allerdings muss die Ruhrbahn diesen Entwurf durchrechnen und sagen, ob die Zielvorgabe von zwei Millionen damit erreicht wird.