Mülheim. Drittimpfung besonders gefragt: Die Mülheimer Arztpraxen stoßen an ihre Grenzen. Warum nicht alle Impfwilligen auf einmal versorgt werden können.

Für das „Boostern“, die Auffrischungsimpfung gegen Covid-19, muss man die Mülheimer nicht zum Impfen jagen: Allein in der städtischen Impfstelle in Saarn wurden am Mittwoch 544 Personen mit der dritten Impfung versorgt, Tendenz steigend. Dass Gesundheitsminister Jens Spahn jetzt eine Impfung ab 18 Jahren fordert, und das auch noch vor Ablauf der sechs Monate, dürfte die Nachfrage befeuern. Zumal die Stiko eine Impfempfehlung auch für diese Altersgruppe schon angekündigt hat. Das zumindest befürchten die niedergelassenen Ärzte in den Mülheimer Praxen, die schon jetzt mit unzufriedenen Patienten diskutieren müssen, denen es zu lange bis zum nächsten Impftermin dauert.

Impfarzt Dr. Stephan von Lackum, Vertreter der örtlichen Kassenärztlichen Vereinigung (KV), freut sich als Arzt darüber, dass am Mittwoch an der Impfstelle auf dem ehemaligen Kirmesplatz neben der dritten auch wieder 39 Menschen die erste Impfung erhalten haben (und 31 zum zweiten Mal.) Bisher sei an den Städtischen Impfstellen das Chaos ausgeblieben, weil das betreuende Personal einen guten Job mache und die Wartenden informiert, wenn sie nicht mehr berücksichtigt werden können.

Impfstoff gibt es genug: Auch in Mülheim fehlen aber die Impfkapazitäten

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Damit das auch weiterhin so bleibt, hat Mülheims Feuerwehrchef bereits mehr Personal eingeplant. „Wir werden das Personal an der Impfstelle an der Mintarder Straße massiv aufstocken“, kündigte Sven Werner an. Auch werde derzeit über die Ausweitung der Öffnungszeiten an den vier festen städtischen Impfstellen (Mintarder Straße, Willy-Brandt-Schule, Forum und Rhein-Ruhr-Zentrum) nachgedacht.

Doch bei den Praxen habe sich die Situation vor Ort ja nicht verbessert, nur weil Spahn jetzt Druck mache, sagt Hausarzt von Lackum: „Die meisten Praxen, die in Mülheim impfen, impfen auch wie verrückt. Wir haben jetzt zwar genug Impfstoff, aber wir können in den Praxen trotzdem nicht alle auf einmal versorgen. Die Ressourcen sind begrenzt: Es fehlt an Zeit, an den Räumlichkeiten und auch am Personal.“

Mülheimer Impfarzt: „Leute werden fordernd und benehmen sich zum Teil auch unmöglich“

Nach der Aussage von Minister Spahn fühle sich nun jeder Patient berufen und möchte den Booster sofort haben, das erlebt auch Dr. von Lackum in seiner Praxis. „Die Leute werden fordernd und benehmen sich zum Teil auch unmöglich.“ Die Mülheimer Ärzte machten schon so viele Impftermine wie möglich, sagt er. Seine Praxis in Speldorf etwa schaffe in der Woche rund 240 Impfungen.

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Sein Kollege Uwe Brock aus der Gemeinschaftspraxis Ruhrquartier bestätigt das: „Wir planen mit 1000 Impfungen bis Weihnachten“, sagt er. „Wir impfen auch am Samstag.“ Die Termine seien beinahe alle vergeben. Zumeist an Mülheimer über 70 Jahre, denn an die, erinnert Brock, habe die Stadt ja 32.000 Briefe mit dem Hinweis auf die Auffrischungsimpfung verschickt. Die Forderung Spahns empfindet auch Brock als „kontraproduktiv“. Im Frühjahr wurde nach Gruppen geimpft, das hätte er sich auch jetzt gewünscht. Die meisten seiner Patienten erlebt er aber als dankbar. „Die Menschen sind froh, dass sie den Booster bekommen können und sich weniger Sorgen machen müssen.“

Mülheimer Ärzte wünschen sich mehr Patienten für die Erstimpfung

Auch Uwe Brock betont: „Effektiver als die dritte sind die erste und die zweite Impfung. Dadurch wird auch die Allgemeinheit besser geschützt.“ Er freut sich, dass jetzt auch wieder ein paar Menschen mehr zur Erstimpfung kommen. Denn die meisten Intensivpatienten seien ja ungeimpft, so Brock.

„Der Impfschutz sinkt ja nicht rasant auf Null“, verweist Dr. von Lackum auf die gültige Stiko-Empfehlung, die Booster-Impfung frühestens nach sechs Monaten zu geben: „Das heißt ja auch, dass es auch später sein kann, weil doch schon ein Grundschutz da ist.“ Die Ärzte müssten ohnehin das Risiko des Patienten abschätzen: Ist er vorerkrankt? Macht die berufliche Situation eine Auffrischungsimpfung dringlicher?

In Mülheimer Praxen wird schon lange außerhalb der Sprechstunden geimpft

Über die unglückliche Formulierung von NRW-Gesundheitsminister Laumann „Statt Golfplatz am Samstag, impfen am Samstag“ an die Adresse der Ärzte (Laumann hat sich inzwischen dafür entschuldigt), hat sich auch Dr. von Lackum geärgert. Denn die Mülheimer Ärzte bieten schon lange Impfsprechstunden auch außerhalb der Sprechzeiten an. „In Mülheim gibt es aktuell vier Praxen, die auch am Wochenende impfen“, sagt der Hausarzt. Auch die Medizinischen Fachangestellten (MFA) seien längst am Limit, müssten motiviert werden.

Appell: Impftermine einhalten

Die beiden Hausärzte appellieren an die Patienten, einmal vereinbarte Impftermine auch einzuhalten. Wer seine Impfung anderswo vor dem Praxis-Termin bekomme, solle dann wenigstens in der Praxis absagen.

Werde das versäumt, könne der Termin nicht anderweitig vergeben und die Impfung müsse unter Umständen sogar weggeworfen werden.

„Ohne MFA können wir Ärzte nicht impfen“, betont von Lackum, dass Impfen Teamarbeit ist. „Wir dürfen das Personal nicht überlasten“, sagt auch Hausarzt Brock. Es gehe auch nicht nur um finanzielle Zuwendungen: „Es geht auch um die Motivation und die Wertschätzung durch die Politik.“ Das Personal in den Praxen und in den Krankenhäusern gehe nun seit eineinhalb Jahren an die Grenzen der Belastbarkeit. „Das ist hier nicht so ein Job, bei dem man seine Zeit absitzt. Es tut auch mal gut, zu hören, dass der Job wichtig ist und eine gewisse Dankbarkeit da ist.“

Eine weitere Belastung für die Praxen sei zudem, dass sie, sofern sie Testzentrum sind, seit Montag auch wieder Bürgertests machen müssen. Viele Praxen bieten das ohnehin nur für die eigene Patienten an. Dennoch wäre es sinnvoller gewesen, das Testen ganz in die Testzentren auszulagern, sagt Stephan von Lackum.