Mülheim. Eine Mülheimer Ärztin behandelt Long-Covid-Kranke mit Blutwäsche - oft erfolgreich. In ihre Praxis kommen „einige der schwersten Fälle der Welt“.
Im stillen Elend von Long Covid, das viele Erkrankte aus ihrem früheren Leben verschwinden lässt, geht eine Mülheimer Internistin neue Wege und macht den Betroffenen große Hoffnung. Die Praxis von Dr. Beate Jaeger in der Altstadt hat sich zur Anlaufstelle verzweifelter Menschen aus aller Welt entwickelt. Die Ärztin behandelt Long-Covid-Betroffene mit einer Art Blutwäsche - das Verfahren heißt HELP-Apherese und ist lange bekannt.
Die Patienten werden an eine Maschine angeschlossen, die ihr Blut durch einen äußeren Kreislauf führt, in seine Bestandteile zerlegt, mit Heparin versetzt und nach einer Art Dialyse wieder in die Venen leitet. Seit nunmehr 37 Jahren hat sich die Methode etwa bei Menschen mit schweren Herzerkrankungen bewährt. Dr. Beate Jaeger ist fest überzeugt, dass sie auch bei Long Covid helfen kann. Denn durch die HELP-Apherese werden Blutgerinnsel aufgelöst, Entzündungsstoffe und das Gerinnungseiweiß Fibrinogen herausgefiltert.
Mülheimer Internistin kam im März 2020 durch Forschungen aus der Schweiz auf die Idee
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Auf die Idee gebracht habe sie im März 2020 eine Veröffentlichung der Schweizer Pathologieprofessorin Zsuzsanna Varga, die gezeigt habe, dass Long Covid eine akute Entzündung der Ader-Innenhäute hervorruft. In der Lunge, im Herzen und in anderen inneren Organen. Der Sauerstoffaustausch im Gewebe werde so massiv beeinträchtigt. Forschende aus Südafrika und San Francisco hätten zudem Mikrogerinnsel im Blut von Long-Covid-Patienten nachgewiesen.
HELP-Apherese heißt...?
Die Abkürzung HELP steht für Heparin-induzierte Extrakorporale LDL/Fibrinogen-Präzipitation. Apherese bedeutet so viel wie Blutwäsche, bei der Blutbestandteile oder krank machende Stoffe mit Hilfe einer speziellen Maschine entfernt werden.
Bei der HELP-Apherese werden Blutzellen vom Plasma getrennt. Das Plasma wird mit hoch dosiertem Heparin versetzt, der pH-Wert abgesenkt. So können etwa Cholesterin und Blutfette abgetrennt werden.
Mit der 1984 entwickelten Methode werden beispielsweise Patientinnen und Patienten behandelt, die Bypass-Operationen oder Schlaganfälle hinter sich haben oder an schweren Fettstoffwechselstörungen leiden. Der Einsatz der HELP-Apherese bei Long-Covid-Betroffenen ist neu und wissenschaftlich noch nicht systematisch erforscht.
Eine Behandlung dauert in der Regel zwei bis drei Stunden und kostet rund 1300 Euro. Meist sind mehrere Behandlungen notwendig. Gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten bislang nicht.
Laut Dr. Beate Jaeger haben rund 20 Nephrologische Zentren (Nieren-/Dialysezentren) deutschlandweit begonnen, Post-Covid-Patienten zu behandeln, unter anderem in Bochum und Witten.
Hier könnte die HELP-Apherese hilfreich sein, so die Überlegung von Dr. Jaeger. Bereits im Juni 2020 wurde im Ärzteblatt ein Artikel veröffentlicht, in dem die Mülheimer Internistin ihre Überlegungen erläutert.
Im Februar 2021 ist sie in die praktische Umsetzung eingestiegen und hat seitdem rund 120 Long-Covid-Patientinnen und -Patienten auf diese Weise behandelt. Schwerkranke reisen an aus Kanada, Kasachstan, Norwegen, Südafrika, Russland, Schweden, Frankreich, den USA. Bei einigen habe eine einzige Behandlung ausgereicht, um das Leiden zu lindern, berichtet die Ärztin. Ein britischer Patient habe dagegen 14 Blutwäschen benötigt. „Aber er kam im Rollstuhl und verließ die Praxis aufrecht gehend.“
„Grausame Krankheit“ trifft Menschen in der Mitte ihres Lebens
„Meine Patienten waren jung, sehr sportlich, Leute in der Mitte ihres Lebens“, schilderte Dr. Beate Jager kürzlich in einem Interview mit BBC News, wo ihre Methode als „Long Covid Durchbruch“ betitelt wurde. Dieses Leben sollten ihre Patienten zurückbekommen. Long Covid sei „eine grausame Krankheit“ und ihre Methode eine Möglichkeit zu helfen.
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Mittlerweile haben etliche in- und ausländische Medien über die Mülheimerin berichtet. Die Praxis führt eine lange Warteliste - rund 7000 Long-Covid-Kranke haben sich schon gemeldet, obwohl bislang nur wenige private Krankenkassen die teure Behandlung bezahlen. Rund 1300 Euro kostet eine HELP-Apherese. Um den Andrang zu bewältigen, stockt die Praxis jetzt auf, erweitert ihre Kapazitäten. Bislang konnten täglich sechs Patienten behandelt werden, künftig sollen es zehn sein.
Ärztin wirbt für ihre Methode: „Wirksamkeit ist hervorragend“
Nach ihren Erfahrungen aus nunmehr neun Monaten ist Dr. Beate Jaeger von der Richtigkeit ihres Ansatzes restlos überzeugt. „Die Wirksamkeit ist hervorragend“, sagt sie. „Einen Nutzen haben alle Patienten.“ Doch nicht alle werden wieder ganz gesund. Wenn Covid bereits Organe geschädigt hat, ist diesen Betroffenen nur noch bedingt zu helfen. „Was an Gewebe zerstört wurde, kann man Monate später nicht mehr reparieren“, so die erfahrene Internistin. „Je später sie behandelt werden, desto schwieriger wird es. Bei mir sammeln sich einige der schwersten Fälle der Welt. Leute, die schon seit Monaten sehr krank sind. Einigen kann man keine Genesung versprechen.“ Doch kritische Stimmen zu ihrem Ansatz habe sie bislang kaum wahrgenommen.
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Im Essener Uni-Klinikum, wo eine spezielle Post-Covid-Ambulanz eingerichtet wurde, möchte man zur Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit des von Dr. Jaeger praktizierten Verfahrens auf Anfrage keine Stellung nehmen. Ähnlich reagiert das Evangelische Krankenhaus in Mülheim. Eine EKM-Sprecherin erklärt, so lange es noch keine Studien gibt, könne man betroffenen Patienten auch noch nicht explizit zu dieser Methode raten.
Bei der KV Nordrhein heißt es auf Anfrage: Das Krankheitsbild Long Covid sei noch Gegenstand der medizinischen Forschung - „auch, weil es viele verschiedene Symptome und individuelle Anzeichen haben kann“. Diese seien noch nicht vollständig bekannt, daher gebe es derzeit „allenfalls nur erste Erkenntnisse und Hinweise auf mögliche medizinisch geeignete Therapien und Behandlungsmaßnahmen“.
Professor aus Ulm gibt zu bedenken: Auch sinnvolle Botenstoffe werden durch Blutwäsche entfernt
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In einem Fernsehbeitrag von 3sat, das in seiner Wissenschaftssendung „Nano“ über den Vorstoß von Dr. Beate Jaeger berichtet hat, nimmt ein Wissenschaftler des Universitätsklinikums Ulm zur Methode Stellung. Dr. Jürgen Steinacker, der selber die Spätfolgen von Covid erforscht, „möchte nicht die Ehrenhaftigkeit dieser Einzelbehandlungen bestreiten“, würde aber andere Methoden bevorzugen. Er gibt zu bedenken: Wenn mit Hilfe der Apherese Botenstoffe aus dem Blut herausgefiltert werden, würden nicht nur pathologische Stoffe ausgetauscht, sondern auch sinnvolle Botenstoffe.
Derweil arbeitet Dr. Beate Jaeger selber daran, ihre Beobachtungen wissenschaftlich zu untermauern. Mitte November erwartet sie Forschende aus Südafrika: eine Delegation der Stellenbosch University. Gemeinsam werde man Blutuntersuchungen und Lungenfunktionstests bei den Patienten durchführen, „um den Erfolg der Behandlung zu validieren“, so Dr. Beate Jaeger.
„Wir machen hier keine Wundertherapie“
Es sei bereits ihre zweite Studie. Für die erste Untersuchung habe sie ab Februar zahlreiche Patienten kostenlos behandelt. Außerdem sei sie in mehrere internationale Forschungsvorhaben eingebunden. Der Mülheimer Fachärztin ist klar: „120 Patienten sind noch zu wenig. Und wir wollen auf keinen Fall den Eindruck erwecken, wir machten hier eine Wundertherapie.“
Doch die Not ist groß. Nach Angaben der KV Nordrhein wurde die Diagnose „Long Covid“ schon 37.800 Mal in ihrem Zuständigkeitsbereich getroffen. In diesem Jahr gab es rund 600 neue Fälle allein in Mülheim.