Mülheim. Weil sich Bürger und Stadt über die saftigen Kostenaufschläge für die Mülheimer Kolumbusstraße nicht einig werden, ziehen vor Gericht.
Monatelang sind sie geduldig geblieben, haben Argumente und Bedenken mit der Stadtverwaltung ausgetauscht, eine Einigung gesucht, den Oberbürgermeister eingeschaltet. Doch offenbar blieben alle Wünsche und Appelle ohne gewünschte Wirkung, denn nun wollen die Anwohner der Heißener Kolumbusstraße 55 bis 89 die letzte Konsequenz ziehen – und in eine Musterklage gegen die Stadt einsteigen. Denn sie bemängeln Kostenerhöhungen der Straßensanierung um bis zu 40 Prozent.
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Streitpunkt: Aus 200 Tonnen schadstoffbelastetes Material wurden am Ende 888,42 Tonnen
Bis zu 13.500 Euro sollen die Hauseigentümer der Heimaterde nunmehr bezahlen, denen noch vor Beginn der Maßnahmen zwischen 6000 und 8500 Euro angekündigt worden sind. Schon damals – 2017 – ging ein Pfeifen durch die Luft, als die Stadt durch ein Gutachten der Geobau GmbH ankündigte, dass rund 200 Tonnen schadstoffbelastetes Material im Boden liegen sollten. Die müssten teuer entsorgt werden.
Was den Preis aber in unerwartete Höhen trieb: aus 200 wurden am Ende 888,42 Tonnen. Eine grobe Fehleinschätzung des Gutachters? Oder hatte das beauftragte Bauunternehmen doch pauschal jedwedes Bodenmaterial ohne Trennung einfach als „Sondermüll“ teuer entsorgen lassen. Dieser Verdacht jedenfalls treibt die Anwohner um.
Den Beweis zu führen allerdings wird schwierig, denn es ist fraglich, ob der abgelieferte Boden damals kontrolliert wurde. Die Menge des „belasteten Materials“ ist nur über Entsorgungs- und Wiederverwertungsscheine nachgewiesen. Die Stadt akzeptierte diesen einfachen Nachweis. Das angeblich schadstoffbelastete Teermaterial sei bereits am Geruch feststellbar gewesen, heißt es aus der Verwaltung. Eine vorherige Laboranalyse oder einen sogenannten Weißlack-Test gab es – das geht aus einem Schriftwechsel der Anwohner mit der Stadt hervor – jedoch nicht, trotz der unerwartet hohen Menge an Schadstoffen.
Stadt rückt von Kosten nicht ab, um den „Eindruck einer Ungleichbehandlung“ nicht entstehen zu lassen
Nachbesserung sorgt für Unmut
Dass nunmehr die Stadt das in Teilen mangelhaft verlegte Pflaster durch die Baufirma ,nacharbeiten’ ließ, hat für weiteren Unmut gesorgt. Denn „schon nach zwei Tagen waren die Mitarbeiter wieder weg“, erläutert ein Hauseigentümer: Dabei waren Arbeiten von zwei Wochen angekündigt.
Das Ergebnis ist für sie unbefriedigend – „kosmetisch“, heißt es in einem Schreiben an die Stadt: Nur wenige Stellen seien ausgebessert worden, der Fugensand dabei nicht richtig eingearbeitet. Infolge hatte die Kehrmaschine der Straßenreinigung den nur herumliegenden Sand aufgefegt.
Etliche „zu eng“ verlegte Stellen seien zudem ohne Korrektur geblieben: „Es sind in allen Bereichen noch Verschiebungen/Verrutschungen der Pflastersteine zu erkennen.“ Auch hier plädieren die inzwischen genervten Anwohner nicht mehr auf Nachbesserung, sondern wollen einen Minderungsanspruch geltend machen.
Die Stadt hält ebenso daran fest, dass die genauen Kosten erst mit Beginn der Bauarbeiten festgestellt werden konnten, alles andere seien nur Schätzungen gewesen. Auch die anfangs in einer Bürgerversammlung angeblich vorgetragene Kostenschätzung, die auch in der Presse verbreitet wurde, zweifelt die Stadt heute an: Es gebe darüber kein Protokoll und auch keine Aufzeichnung der Verwaltung.
In einem Schreiben des städtischen Tiefbauamtes erklärt ein Mitarbeiter: „Ich habe nicht vor, über den Eindruck, die Höhe der Beiträge sei im Einzelfall verhandelbar und den daraus wiederum entstehenden Eindruck einer Ungleichbehandlung der Bürgerinnen und Bürger, die immerhin vielfach doch vorhandene Akzeptanz der finanziellen Beteiligung am Straßenbau zu untergraben.“
Stadt ist nicht verpflichtet, die kostengünstigste Ausbaumöglichkeit zu wählen
Und es kommt hinzu: Die Stadt ist aber wohl nicht verpflichtet, die kostengünstigste Ausbaumöglichkeit für eine Straße zu wählen. So hatte sie etwa hier entschieden, anstelle des eigentlich vorgesehenen Recycling-Materials zum Teil hochwertigen Kalksteinschotter einzubauen. Die Kostensteigerung aber ging auch zu Lasten der Anlieger, die Stadt trägt davon nur 30 Prozent.
So bleibt im Falle der Sanierung aus öffentlicher Hand der Anlieger nur Geldgeber oder sogar Hauptgeldgeber, der in diesem Fall für 70 Prozent der Kosten aufkommt – nicht aber Bauherr. Und somit ohne Einflussmöglichkeit während des Bauprozesses. Diese einseitige Beteiligung beklagen die betroffenen Anwohner der Kolumbusstraße.
Musterklage ist für alle wirksam, wenn der neue, durch das Gericht festgelegte Betrag den alten um 15 Prozent unterschreitet
Nach monatelangem Ringen um Argumente scheint somit die Klage der einzige „Einigungsweg“ mit der Stadt zu sein. Auch die Verwaltung befürwortet das Musterklageverfahren. Und so soll es laufen: Bis zum 2. November muss sie am Verwaltungsgericht eingereicht werden. Die Anwohner müssen ihre Widersprüche zurückziehen, um in die Klage einzusteigen. Das besagt, dass für den Fall, dass 15 oder mehr Prozent der auf die Bürger umgelegten Kosten nicht berechtigt waren, diese für alle gelten, die an dem Verfahren anhängig sind.
Das Risiko: Sind es aber weniger als 15 Prozent, erhält nur der unmittelbare Kläger Beträge zurück. Und die anderen Beteiligten können im Nachgang nicht mehr klagen.
Die Chancen? Clemens Hues, der die Klage stellvertretend führen wird, ist zwar bereit, diese Auseinandersetzung zu führen, sieht aber auch, dass „die Stadt stets über mehr Informationen verfügt als wir“. Und diese erst vor Gericht preis gibt. Einen Tipp hat der Heimaterdler aber für die Anwohner zukünftiger Straßenbaumaßnahmen: „Wenn ich damals gewusst hätte, was dabei passieren kann, hätte ich mich von Anfang an bei jeden Schritt eingeschaltet. Ob es besser geworden wäre, weiß ich nicht, aber ich hätte mich zumindest besser eingebunden gefühlt.“