Mülheim. Die Anlieger der Mülheimer Kolumbusstraße sind verärgert über den satten Aufschlag für die Sanierung um 50 Prozent. Sie vermissen Transparenz.

Mitsprache? Null Prozent. Kostentransparenz? Nicht viel besser. Kostenforderung? 70 Prozent. Wenn man die Anwohner der Heißener Kolumbusstraße 55 bis 89 auf ihre ,frisch’ sanierte Straße anspricht, steigt bei nicht wenigen der Puls. Denn unerwartet steht ihnen eine Kostenexplosion ins Haus: Um 50 Prozent hat die Stadt ihre Forderung überraschend erhöht. „Wir fühlen uns wie am Nasenring durch die Arena gezogen“, sagen Betroffene mit Zweifeln an der Richtigkeit der Abrechnung.

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Tiefbauamt erhöhte Kosten kurz nach Beschluss der Mülheimer Bezirksvertretung

Die Stimmung an diesem Nachmittag an der Kolumbusstraße ist entsprechend verhagelt. Bis zu 13.500 Euro pro Haus sollen sie nun zahlen. „Dabei sollte die Straßensanierung jeden Anwohner ursprünglich 6000 bis 8500 Euro kosten, so hatte es das Mülheimer Tiefbauamt bei einer Bürgerversammlung im Januar 2017 kommuniziert. Kurz darauf beschloss die Bezirksvertretung im März 2017 die Sanierung mit dem Hinweis auf die Kostenteilung von 30 Prozent Stadt und 70 Prozent Anwohner. Die Aufteilung ist für Anliegerstraßen durchaus üblich.

Doch schon fünf Monate nach dem Beschluss in der BV – im August 2017 – ,besserte’ das Tiefbauamt nach und schlug noch einmal 1500 Euro pro Kopf drauf. Der Grund? Ein Gutachten der Geobau GmbH in Bochum über den Gehweg- und Fahrbahnaufbau brachte eine unschöne Überraschung zutage: Angeblich haben mehrere Bodenproben ergeben, dass 200 Tonnen „kohlenteerhaltige Bitumengemische“, also schadstoffbelastetes Material, im Boden schlummern.

Gutachten verschätzt sich um das Vierfache

Dabei blieb es allerdings nicht. Inzwischen müssen die meisten Hauseigentümer zwischen 9000 und 13.500 Euro hinlegen. Denn laut Angaben der Stadt haben sich die Gutachter bei der Einschätzung der Schadstoffmenge wohl grob verschätzt, genauer gesagt um satte 400 Prozent. Statt 200 sollen angeblich 880 Tonnen schadstoffbelastetes Material unter dem etwa 280 Meter langen Teilstück gesteckt haben.

In der Regel gelinge es, die Arbeiten gut einzuschätzen, antwortet die Stadt auf die Beschwerden der Betroffenen, „in seltenen Fällen stellt sich aber leider heraus, dass die vor Ort angetroffenen Verhältnisse doch in höherem Maß von den bei der Planung unterstellten Verhältnissen abweichen“. Nettomehrkosten: allein 40.000 Euro.

Anliefer zweifeln: Wurden zu viel Schadstoffe abgerechnet?

Die Anwohner haben jedoch Zweifel, ihre Aufnahmen von der Baustelle sollen vielmehr zeigen, dass unter der Straße hauptsächlich lehmhaltiger Boden lag. Hat man mit den Schadstoffen auch ungefährlichen Lehmboden abgerechnet?, fragen sie sich. Ausschließen kann es das zuständige Amt für Tiefbau offenbar nicht.

Es verweist hingegen in einem Antwortschreiben darauf, dass sich erst bei der Durchführung der Baumaßnahme feststellen lasse, „inwieweit das schadstoffbelastete Teermaterial am darunterliegenden Schotter anhaftet und Schadstoffe auch bis in diese Schichten durchgesickert“ seien. Und sieht sich hier im Recht. Darauf, dass bei „unerwarteten Schwierigkeiten im Bauablauf“ der endgültige Beitrag von dem ursprünglichen abweichen könnte, habe man ja in einem „Informationsschreiben“ hingewiesen.

Tiefbauamt entscheidet sich für „hochwertigeren“ Ausbau

Bodenwellen und deutlich sichtbare Schäden weist das erst 2018 verlegte Straßenpflaster auf.
Bodenwellen und deutlich sichtbare Schäden weist das erst 2018 verlegte Straßenpflaster auf. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Doch das allein macht die Steigerung nicht aus. Während der Sanierungsarbeiten hatte die Stadt ebenfalls entschieden, von der Ausschreibung abzuweichen und „anstelle des eigentlich vorgesehenen Recycling-Materials zum Teil hochwertigeren Kalksteinschotter einzubauen“. Sie seien deswegen nicht einmal um Einverständnis gefragt, geschweige denn über die Abweichungen samt Mehrkosten zeitnah informiert worden, so die Anwohner.

Und auch die Kosten für die Entfernung von Baumstümpfen – 2014 hatte der Sturm Ela in Heißen kräftig gewütet und auch an der Kolumbusstraße massive Schäden angerichtet – hatte man den Eigentümern mit auferlegt. Obwohl diese Bäume, so der Einwand der Anwohner, auf der anderen Seite der Straße, also gar nicht auf deren Grundstücksseite standen. Die Kolumbusstraße aber sei „eine schmale Straße, die kein Übermaß für eine nur einseitig angebaute Straße aufweist“, weist das Tiefbauamt jedoch den Einwand zurück. „Ganz selbstverständlich“ gehörten diese zum „beitragsfähigen Aufwand einer jeden Baumaßnahme“.

Mängelanzeige der Anlieger nur zögerlich bearbeitet

Greift die neue Förderung von Straßenbaubeiträgen?

Straßenausbaubeiträge für Eigentümer in NRW sind inzwischen durch eine neue Landesregelung deutlich entlastet worden. Das Land übernimmt die Hälfte der kommunalen Beiträge, die von den Beitragspflichtigen (Eigentümern) zu erheben sind. Doch die Kolumbusstraße falle nicht unter die neue Regelung, argumentiert die Stadt, weil das Bauvorhaben vor der Regelung beschlossen wurde. Die Landesförderung sei aber „bei dem Beschluss zum Ausbau der Kolumbusstraße noch nicht abzusehen“ gewesen.Initiativen seien erst 2018 gestartet und erst im April 2020 vom zuständigen Landesministerium mit einem Runderlass festgelegt worden. Bauvorhaben, die vor dem 1. Januar 2018 beschlossen worden sind, seien durch „die Fördermodalitäten ausdrücklich“ ausgeschlossen worden, antwortet das Mülheimer Tiefbauamt. Das sei durch das Land NRW „gewollt“.Ob die Haltung der Stadt zutrifft, wollen die Anwohner der Kolumbusstraße prüfen: Denn auch Beschlüsse, die bereits im Jahr 2017 gefasst wurden, können berücksichtigt werden, wenn sie im Rahmen der Haushaltsgebung für das Jahr 2018 dazu zählen.

„Wer die Musik bestellt, muss auch dafür zahlen“, meint ein verärgerter Eigentümer am Dienstagnachmittag. Doch nun drohen diese Mehr-Beträge zu 70 Prozent an den Eigentümern hängen zu bleiben, ohne dass sie ein Mitspracherecht hatten oder gar die Kosten transparent durchschauen können. Denn zwischen Bauunternehmen und Hauptfinanzier – den Anwohnern – steht stets die Stadt als Auftraggeberin.

Und diese bleibt bei Beanstandungen der Anwohner wiederum allzu zurückhaltend, auf Seiten des Bauunternehmens, wie mancher Eigentümer glaubt: So haben diese einige Mängel bei der Verarbeitung festgestellt. Pflastersteine und Gullideckel seien teilweise offenbar nicht ordentlich verfugt worden, sind inzwischen teils verschoben, es bildeten sich Kanten an der Entwässerungsrinne. Auch weise die Straße nunmehr sichtbare Wellen auf, die darauf hindeuten, dass der Untergrund nicht ausreichend verdichtet worden sein könnte.

Droht nun der Klageweg?

Die Stadt hingegen gab 2018 an, die Mängel konnten „in dem dargestellten Ausmaß nicht nachvollzogen werden“. Jetzt erst will man die offenkundig sichtbaren Mängel nachbessern.

Was bleibt den Eigentümern nun? Offenbar nur der Klageweg vor dem Verwaltungsgericht. Dabei lehnen sie eine Beteiligung nicht grundsätzlich ab, die Maßnahmen hätten den Abschnitt durchaus verbessert. Doch die Höhe, auf die sie keinen Einfluss hatten, halten sie für ungerechtfertigt. In einem Schreiben an Oberbürgermeister Marc Buchholz bieten die Eigentümer ein Musterklageverfahren an. Das würde die Klagekosten und den Ärger erheblich senken – für die Anlieger wie auch die Stadt.