Mülheim. Häuser im Taschenformat gelten als Ressourcen schonend. Im dicht bebauten Ruhrgebiet werden sie just neu entdeckt. In Mülheim ist man skeptisch.
In Witten ist eines schon bezogen, Bochum lässt fünf von ihnen als „Pocket Park“ errichten und Dortmund will gleich eine ganze Siedlung im Hosentaschenformat aufstellen: „Tiny Houses“ – also das Wohnen auf kleinstem Raum – sehen einige Städte als Möglichkeit, günstig den Wohnungsmarkt im Ballungsraum zu erleichtern. Und das ist nicht alles: Klein wohnen gilt auch als Beitrag zur Klimawende. In der Wohnstadt Mülheim ist man skeptisch: Nur solche Grundstücke kämen in Frage, auf denen sich eine herkömmliche Bebauung nicht umsetzen lasse. Verpasst Mülheim Wohn- und Klimachancen?
Zwölf Flächen geprüft, kaum eine soll sich eignen
Zwölf Flächen hat die Mülheimer Verwaltung darauf hin untersucht, ob solche meist eingeschossigen Single-Häuschen umsetzbar seien. Zum Beispiel dort, wo ein Baum-Denkmalschutz eine herkömmliche Bebauung verhindert: So sei ein Grundstück an der Gneisenau-/Kolumbusstraße in der Heimaterde für die klassische Doppelhaushälfte wohl nicht geeignet, aber für gleich zwei Zwergen-Häuser („tiny“: Englisch für „winzig“).
An der Beckstadtstraße am Rumbachtal gebe es ein weiteres Grundstück für zwei Gebäude – dort aber sei die Altlastensituation nicht geklärt. Am Heißener Rühlweg sei dafür eine Bebauungsplanänderung notwendig, an der Oberhausener Straße und Stockhecke sei es unter anderem wegen der A 40 zu laut und an der Nord-, Ecke Boverstraße stehen wiederum die Bäume zu eng: Wurzeln könnten durch den Druck der Häuser beschädigt werden.
In Dortmund erprobt man das Tiny House als „Wohnraum der Zukunft“
Was in Mülheim an vielen Ecken krachend zu scheitern droht, wird in anderen Städten als alternatives Wohnen mit einigem Elan vorangetrieben. In Dortmund ist das Tiny House ein „Wohnraum der Zukunft“, eben ein Weg, weniger und anders zu bauen, sagt Gerald Kampert vom dortigen Stadtbau- und Bauordnungsamt. Die Leerstandsquote liegt hier bei unter zwei Prozent.
Wie viel Platz aber soll das Wohnen künftig in den sogenannten Ballungsräumen einnehmen? Das hat man sich in verschiedenen Ruhrgebietsstädten gefragt. Das klassische Einfamilienhaus von heute beansprucht 150 Quadratmeter, die Durchschnittswohnung rund 90. Das Tiny House kommt als Eigenheim mit etwa 27 Quadratmetern aus.
Doch wer klein wohnen will, will nicht nur Platz, sondern oft auch Ressourcen schonen: Weniger Baustoffe und damit weniger Energie stecken in den Tiny Houses, weniger Raum, den es zu heizen und zu beleuchten gilt. Die Parole „Bauen-bauen-bauen“ ist für den Dortmunder Planer Kampert daher nicht „die einzige Lösung, mit dem Wohnungsproblem umzugehen“. Die „Hosentaschenhäuser“ können aus seiner Sicht auch einen Paradigmenwechsel für die Klimawende in den Großstädten herbeiführen.
So rechnet Dortmund: 54 Wohneinheiten dank Tiny Houses statt 24 durch klassische Bebauung
So gab der Rat der Stadt Dortmund für das Versuchsprojekt „Tiny House Village“ 2018 schon grünes Licht, um das Winz-Dorf auf einem Sportplatz in Sölde anstelle von Einfamilienhäusern zu errichten. Vor allem Bürger über 50, die allein oder zu zweit leben, fanden die Idee offenbar spannend, mit 45 bis 60 Quadratmetern auszukommen.
Tiny Houses – schlecht für die Rendite?
Die Idee der „Tiny Houses“ stammt aus den USA und wird dort bis ins 19. Jahrhundert auf den amerikanischen Philosophen Henry Thoreau zurückgeführt. Auftrieb bekam die Idee in den 1970er- und 2000er-Jahren, insbesondere nach der Immobilienkrise um 2007.
Was das Kleinstwohnen möglicherweise für eine Stadt unattraktiv macht, liest sich zwischen den Zeilen der Stellungnahme der Verwaltung – Tiny Houses bringen für Investoren weniger Rendite: „Da die Fläche gemäß Ratsbeschluss veräußert werden soll und in der Regel für Tiny-Houses eher Pacht nachgefragt wird, wären für den Fall, dass ein Verkauf an Einzelabnehmer nicht möglich ist, in diesem Zusammenhang auch die fiskalischen Auswirkungen zu prüfen.“
Vier Einfamilienhäuser, acht Doppelhaushälften sowie zwölf Wohneinheiten als Baugruppe – 24 Wohneinheiten. Das war die eine, klassische Seite der Dortmunder Rechnung. Zwölf kleine Häuser plus zwölf Tiny Houses und sogar noch Platz für 30 Wohneinheiten durch eine Baugruppe – macht 54 Wohneinheiten auf demselben Gelände. So die alternative, heutige Rechnung der Stadt.
So rechnet Mülheim: Kaum Flächeneinsparung aufgrund von Abstandsregelungen
In Mülheim rechnet man jedoch anders, erläuterte Stadtplaner Felix Blasch kürzlich im Planungsausschuss: Das klassische zweigeschossige Doppelhaus mit vier Wohneinheiten bemisst die Stadt mit 90 Quadratmetern Grundfläche auf einem 225 Quadratmeter großen Grundstück. Die Nutzfläche betrage 115 Quadratmeter für acht bis 16 Personen.
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Bei den Tiny Houses geht sie von 27 Quadratmetern benötigter Grundfläche pro Wohneinheit aus – also 108 Quadratmeter insgesamt. Denn obwohl die Häuser schmaler sind, müsse der Abstand von drei Metern zur jeweiligen Grundstücksgrenze eingehalten werden. Vier Tiny Houses für – in dieser Rechnung – vier bis acht Personen beanspruchten, auf die Person gerechnet, folglich nur eine geringfügig kleinere Grundstücksgröße als ein Doppelhaus.
Mülheim denkt über Projekt am Fängerweg nach, wo Sportlärm eine ,normale’ Bebauung erschwert
Bei tiefen Grundstücken ergeben sich zudem höhere Kosten der Erschließung der tieferliegenden Häuser. Wohl auch deshalb wurden laut Stadt „bei den bisherigen Anfragen ausschließlich Pachtmodelle nachgefragt und die Übernahme von Investitionen in Kanal- und Versorgungsanschlüsse – die Hausanschlüsse – gescheut“, heißt es in einer Stellungnahme der Verwaltung.
Bedeutet dies also das K.O. für das ressourcenschonende Wohnen in der Ruhrstadt? Möglicherweise nicht: Die Verwaltung will vorschlagen, Tiny-Häuser am Fängerweg in Saarn prüfen zu lassen. Dort wären ,normale’ mehrstöckige Wohnhäuser aufgrund des nahen Sportplatzes besonders lärmgeplagt. Denn der Lärmschutzwall hat nur eine geringe Höhe: Eine nur eingeschossige Bauweise mit Tiny-Houses – meint die Stadt – könnte hier eine Alternative sein.