Mülheim. Über dem Mülheimer VHS-Gebäude liegt tödliches Schweigen: Jetzt hat die Initiative die Politik zum Gespräch eingeladen. Welche Ideen gibt es?
Da ist dieser Kipppunkt, den auch geprüfte Politikerinnen und Politiker fürchten, in dem sich aufgestauter Bürgerärger entlädt: „Bei der Ratssitzung von 2019 haben sich zur VHS alle enthalten. Das war eine Unverschämtheit. Sie haben alle mitgemacht und die Bürger verarscht!“, schmettert Heiner Schmitz beim Treffen der VHS-Bürgerinitiative in der Müga. Die Grüne Ratsfrau und geladener Gast Franziska Krumwiede-Steiner zieht instinktiv die Schultern nach vorne. Wechselt das Standbein. Abwehrhaltung.
18.000 Bürger stimmten für den Erhalt der VHS – mehr als irgendeine Partei zur letzten Kommunalwahl erhielt
Dennoch hat sich die Politikerin am Mittwochnachmittag – mitten im Bundestagswahlkampftrubel – der lokalen Initiative gestellt. Anderthalb Stunden diskutiert sie, verteidigt, bringt Vorschläge, wie das Gebäude wieder nutzbar würde. Die CDU wollte der Initiative hingegen nur schriftlich antworten, die SPD musste ihren Bundestagskandidaten Sebastian Fiedler kurzfristig wegen anderer Termine mit lokalen Parteimitgliedern vertreten.
Zu rechnen aber war mit dem Donnerknall, denn seit zwei Jahren führt die Initiative zur Rettung der VHS eine schwierige Kampagne gegen das ,tödliche’ politische Stillschweigen über das seit 2017 leerstehende Gebäude. Und womöglich gegen das schwindende Interesse in der Bürgerschaft. Im Oktober 2019 sorgte der Bürgerentscheid mit 18.022 Stimmen für größtmögliche Furore und insgeheim anerkennendes Nicken mancher Stadtverordneten über die unerwartet hohe Mobilisierung. 18.000 Stimmen - das sind mehr als irgendeine Partei im Kommunalwahlkampf 2020 erhielt. Doch das ist lange her.
Sorge der Bürgerinitiative: Läuft der Bürgerentscheid aus, könnten anderen Interessen Tür und Tor offen stehen
Zu lange? Damals mobilisierte auch der Unmut über Politik und Stadtverwaltung die Bürgerschaft. Zu viele Fälle tauchten auf, bei denen sich Bürger genasführt fühlten: Grundsteuer, Scholten-Affäre, Zoff um Friedhofskonzept, Gewerbeflächen, drastische ÖPNV-Sparvorschläge. Dieser Bürgerzorn scheint jedoch verraucht. Und mancher Initiativler ist besorgt: Läuft am 6. Oktober 2021 die Bindung des Bürgerentscheids aus – öffnet das anderen Interessen ungehindert Tür und Tor?
Denn mit dem Auslaufen des Bürgerentscheids könnte die Stadt wieder frei über das Gebäude bestimmen. Und anderen Nutzern als der VHS den Vorzug geben. Wird die Bildungsinstitution dann verkleinert oder gar auf verschiedene Dependancen aufgeteilt? Die grüne Politikerin Krumwiede-Steiner hält dagegen: „Ich will nichts zerhackstückeln. Und ich habe auch niemals gegen die VHS an der Bergstraße gestimmt.“ Doch wie geht es weiter?
VHS als alleiniger Nutzer des Gebäudes ist unwahrscheinlich: Initiative sieht darin kein Problem
Dass die VHS künftig alleiniger Nutzer des denkmalgeschützten Gebäudes wird, erscheint zunehmend unwahrscheinlich. Möglich hingegen erscheint, dass sich die Institution die Räumlichkeiten etwa mit einer Kita oder der Hochschule Ruhr-West teilen könnte. Auch ein „Bürgerzentrum“ wäre denkbar – „Wir haben nichts ausgeschlossen, die VHS war schon immer vernetzt“, sieht Erich Bocklenberg von der BI für weitere Beteiligungen kein Hindernis.
Sanierungsplan für VHS muss angegangen werden
Auch die SPD will den Rückholprozess vorantreiben – „gerne mit den Grünen zusammen“, ergänzt Völlmecke, sofern das die schwarz-grüne Koalition zulasse.
Ein Bürgerzentrum mit VHS favorisiert die SPD. Dafür könnte ein Förderverein gegründet werden, um einen Ansprechpartner und Koordinierungsstelle für die Verwaltung bei der Neukonzeption des VHS-Gebäudes einzurichten.
Wie aber lässt sich die Sanierung vorantreiben? Kontakte zum VHS-Architekten Dietmar Teich sollen aktuell wieder bestehen. Krumwiede-Steiner will sich darauf aber nicht verlassen. Mit dem Antrag der Grünen von 2019 sieht sie auch den Auftrag an die Stadt verbunden, einen Sanierungsplan für die VHS zu erstellen, unabhängig von Teich.
Voraussetzung für die BI aber ist: Die VHS, die sich aktuell an der Aktienstraße deutlich verkleinern musste, muss die Räume bekommen, um sich als Erwachsenenbildung weiterentwickeln zu können. Gerade hier sieht BI-Frau Inge Ketzer eine Zukunft angesichts des Arbeitsplatzabbaus in jüngster Zeit etwa bei Siemens. Und: Das Gebäude muss in öffentlicher Hand bleiben, fordert die BI. Das wollen die Grünen und auch die SPD, wie Parteisprecher Christian Völlmecke beim Treffen klarstellt: „Wir haben den Parteibeschluss, dass die VHS an der Bergstraße bleibt.“
VHS - Schmuckstück der IGA? Grüne und SPD hoffen auf Fördermittel für klimaneutrales Gebäude
Fördermittel könnte es geben – darauf allerdings müssten sich private Träger einlassen können. Das denkmalgeschützte Gebäude könnte sogar ein echtes Schmuckstück für Mülheim werden – ein klimaneutrales Vorzeigeobjekt. Solche Chancen böte die kommende Internationale Gartenausstellung 2027. Denn die Müga wird darin einen Schwerpunkt bilden. Eine VHS-Ruine passte nicht ins Bild, meint Bocklenberg, eher schon ein fortschrittliches klimaneutrales Gebäude, das mit Fördermitteln der IGA entstehen könnte.
Die Grünen und auch die SPD sehen hierfür gute Chancen – wenn ein solches Konzept auf die Beine gestellt wird. Nun aber müssten Politik und Verwaltung konkret werden. Krumwiede-Steiner pocht darauf, dass die Grünen bereits im Dezember 2019 einen Antrag gestellt haben, die Verwaltung solle unter Beteiligung der Öffentlichkeit ein „Nachnutzungskonzept“ für die Restgebäudeflächen erstellen, die von der VHS nicht benötigt werden. Die Verwaltung jedoch unternahm offenbar nichts. Nun wollen die Grünen nachhaken. Die Zukunft der VHS könnte damit doch noch Fahrt aufnehmen.