Mülheim. Die Weißen Nächte 2021 in Mülheim sind gestartet. Ein vielseitiges Programm wurde an Tag eins geboten. Drei Wochen lang gibt es nun Kultur pur.
Freitag, der 13. – für das Theater an der Ruhr ist es ein Glückstag. Die neue Spielzeit wird eröffnet – mit den auf drei Wochen ausgedehnten „Weißen Nächten“ im Raffelbergpark. Der laue Sommerabend lädt zum Schlendern im Grünen ein. Bevor es losgeht mit dem Bühnenprogramm, gönnt sich so mancher Besucher schon ein Gläschen Wein und begibt sich auf eine Entdeckungstour durch die Parkanlage.
Ausstellung lockt mit zwölf Stationen auf der Wiese und im Wald
„Natur Retour“ sind nicht nur die „Weißen Nächte“ überschrieben, so heißt auch eine Ausstellung mit zwölf Stationen, die sich auf Rasenflächen, unter Bäumen, im Unterholz und in einem Ausstellungsraum im Theatergebäude befinden. Los geht es mit „Wild Cube“, einer Stahlskulptur von Lois Weinberger, die einem kleinen Käfig gleicht. Der Stahl rostet vor sich hin und im Innern des Käfigs wächst das Gras in die Höhe, während es draußen kurz geschnitten wurde. Der Mensch „zähmt“ die Natur, die Natur erobert sich ihren Platz aber auch zurück.
Skulpturen, Installationen und Video-Filme, die von Philipp Preuss (Künstlerische Leitung TaR) für die Ausstellung ausgesucht wurden, zielen auf das (überdenkenswerte) Verhältnis von Mensch und Natur ab. Die Exponate sind zum Teil aus Naturmaterialien gefertigt. So zum Beispiel die Installation „Bressniks“ von Uwe Bressnik: ein DJ-Pult mit zwei Plattenspielern, das aus Zweigen, Baumscheiben, Zapfen und Moos besteht. Eine einfache Idee und doch so aussagekräftig: die „Mother Watches“ von Naoko Oriane. Miteinander verbundene Armbanduhren bilden einen Ring um einen dicken Baumstamm. An der Natur lässt sich auch die Zeit ablesen – in diesem Fall ist es weit mehr als nur ein Menschenleben.
Im dichten Wald steht da ein Kühlschrank
Viele weitere Kunstwerke greifen das Grundthema auf: In einem Video berichten Menschen in China über die Heilkraft eines Baumes, Fotografien dokumentieren die Besetzung des Dannenröder Forstes vor der drohenden Abholzung. Mitten im dichten Wald steht ein Kühlschrank: Im kleinen Eisfach befindet sich eine Abbildung des Eismeeres – also das, was davon noch übrig geblieben ist.
Nicht stattfinden kann am Eröffnungsabend die Performance „Amoesia vulgaris raffelbergensis“. Es gibt technische Probleme, die bis zum Folgetag aber gelöst sein sollen .Poetry-Künstler Bas Böttcher leitet daher das Programm ein. Die Bühne befindet sich diesmal vor dem Theatergebäude – im Innern eines mit goldenem Lametta ausstaffierten Lastwagens. Böttcher liefert Naturbetrachtungen der besonderen Art, er ist ein Wortakrobat und ein hervorragender Rezitator, sinniert über das „Erntedankfest“ („da hagelt es Haselnüsse“) ebenso wie über das „Rosen-Massaker“ am Valentinstag und lässt beim Publikum „Sommersonnen-Gefühl“ aufkommen.
Kunterbunte Müll-Figuren stolzieren durch den Park
Durch den Park stolzieren derweil kunterbunte Figuren, die aus Müll konstruiert wurden. An die 1000 solcher Figuren sollen – auch unter Mitwirkung von Mülheimer Bürgern – im Laufe der nächsten Monate entstehen. Am Ende werde eine „Riesen-Performance“ entwickelt, in der die Müll-Objekte eine Rolle spielen. „Eine Oper vielleicht oder eine Choreographie“, kündigt Sven Schlötcke an.
Der Geschäftsführer und Dramaturg des Hauses liefert eine kleine Vorschau auf die kommende Spielzeit. „Sie wird bis auf eine Premiere nur aus Uraufführungen bestehen.“ Das sei ein Risiko, aber ein Wagnis, das man nach der Durststrecke durch die Corona-Pandemie eingehen wolle. Ebenfalls neu: Der Spieltrieb soll auf „en suite“ umgestellt werden. Das heißt ein Stück wird an einer ganzen Reihe von Tagen hintereinander gezeigt, ist danach dann aber raus aus dem Programm.
Der Eröffnungsabend am Mülheimer Raffelberg
Langsam trudeln immer mehr Theaterfreunde ein, der Eröffnungsabend ist ausverkauft. Die Zuschauer erleben ein stimmungsvolles Konzert des bekannten Musikers Martin Kohlstedt mit. Der aktive Naturschützer breitet über dem Raffelbergpark einen Klangteppich aus. Klavier-Improvisationen gehen eine spannende Symbiose mit elektronischen Sounds ein. Klänge und Geräusche beschwören Stimmungen herauf. Da meint man manchmal das Rauschen der Blätter im Wind zu hören, dann das Plätschern eines Baches oder das Flirren in einer Sommernacht. Sogar die Vögel, die hoch über dem Solbad Raffelberg fliegen, scheinen im Takt der Musik die Flügel zu schlagen.
Kurz vor 21 Uhr wird die Bühne weggefahren, denn bei der folgenden Premiere von „Onkel Wanja. Into the trees“ (Regie: Philipp Preuss) dienen die Balkone und Fenster des Theatergebäudes als Spielfläche. Die multimediale Inszenierung setzt auch Projektionen auf den Hauswänden ein. Vor dem Start schalten alle Zuschauer Kopfhörer ein. Sie leuchten in Grün – dass passt zum Motto des Abends. Es wird langsam kühl, die Leichtigkeit des lauen Sommerabends verfliegt – auch weil Tschechows Stück nicht gerade ein Stoff ist, der die Laune hebt und das Herz erwärmt.
Eine ausführliche Kritik zum Stück „Onkel Wanja. Into the trees“ finden Interessierte auf waz.de im Kulturteil sowie Anfang der Woche in der Mülheimer Printausgabe.