Mülheim. Tausende Mülheimer Schüler bekommen dieser Tage ihre Zeugnisse. Hier berichten Ex-Schüler aus der Stadt-Prominenz ihre irren Schulerinnerungen.
Vorfreude auf die Sommerferien, aber Bammel vor den Zeugnissen? Zum Ende des Schuljahres haben wir Mülheimer gebeten, sich an ihre Zeugnisse zu erinnern. Was der Bürgermeister, der Rock’n’Roller, die neue Schulleiterin und andere auch taten.
Horst Bilo: Der Schnellste auf der Realschule
„In meinem ersten Zeugnis stand: Horst kann sich nicht konzentrieren und stört den Unterricht, erinnert sich der Mülheimer Unternehmer und ehemalige OB-Kandidat Horst Bilo. „Ich hatte von klein auf das Problem, dass mir die Praxis deutlich lieber war als die Theorie. Das Zeugnis auf der Realschule war für meine weitere schulische Laufbahn entscheidend. Im ersten Halbjahr standen da sechs Zweien – und dann kam mir meine Konzentrationsschwäche in Form von Tischtennis ein bisschen in die Quere. Beim nächsten Mal standen da plötzlich drei Fünfen, und das bedeutete entweder Sitzenbleiben oder den Wechsel auf die Hauptschule, aber dort dann doch in die siebte Klasse versetzt werden. Also wechselte ich die Schule.“
Seine mündliche Beteiligung sei immer sehr gut gewesen, berichtet Bilo. „Aber bis dann die Arbeit geschrieben wurde, hatte ich einiges schon wieder vergessen. Im Schnitt bin ich immer mit einem guten Befriedigend durch meine Schulzeit geflogen, und da ich schon konkrete Zukunftspläne hatte, freute ich mich auf deren Ende. Mein Lehrer Herr Rose nannte mich mal einen Minimalisten und Saisonarbeiter, und meine Kinder haben mich mal gefragt, warum ich nur so kurz auf der Realschule war. Ich war der Schnellste, hab’ ich geantwortet“, so Horst Bilo mit einem Augenzwinkern.
Andreas Wildoer: Zwillingsbrüder als „Das doppelte Lottchen“
Der Chef der Mülheimer SWiMH GmbH hat einen eineiigen Zwillingsbruder, was in der Schule für gewisse Verwirrungen sorgte. Der 46-Jährige berichtet: „Mein Zwillingsbruder und ich sahen uns in der Kindheit und Jugend sehr ähnlich, so dass es auch den Lehrkräften sehr schwerfiel, uns auseinanderzuhalten. Dies haben wir einmal genutzt, um unseren Klassenlehrer in der Grundschule so zu verwirren, dass er nicht wusste, wem er welches Zeugnis geben sollte. Dies führte sodann dazu, dass unsere Mutter in die Schule kommen musste, um uns zu ,identifizieren’. In den Ferien durften wir dann eine Interpretation zu Erich Kästners ,Das Doppelte Lottchen’ schreiben.“
Elke Brandt: Auf einer „Neuauflage“ des Zeugnis bestanden
Die Mülheimerin Elke Brandt ist die zweite Vorsitzende des Nabu, Regionalverband Ruhr. „Schon als Kind hatte ich großes Interesse an der Natur. So lag es nahe, dass Biologie zu meinem Lieblingsfach wurde, und mein erster Blick ins Zeugnis immer auf dieses Fach fiel. Welche Enttäuschung, als dort eines Tages „Befriedigend“ stand. „Das ist ungerecht, die Zensuren der Klassenarbeiten ergeben einen anderen Durchschnitt“, nörgelte ich, damals 14 Jahre alt, bis meine Eltern sagten: „Dann beschwer dich doch.“
Noch während der Ferien besuchte ich meinen Biologielehrer, der versuchte, mich zu beschwichtigen. „Es ist ja nur ein Zwischen- und kein Abschlusszeugnis.“ Es stellte sich heraus, dass in seinem Notizbuch die alphabetische Reihenfolge der Namen vertauscht worden war. Eine Mitschülerin hatte „meine“ Zensur bekommen. Mit „nur ein Zwischenzeugnis“ wollte ich mich nicht abfinden und bestand auf einer Korrektur.
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Nach den Ferien bekam ich vom Klassenlehrer die Mitteilung, ich möchte mich mit meinem Zeugnis im Schulbüro melden. Dort wies die Sekretärin auf die Tür der Schulleiterin. Diese nahm mein Zeugnis in Empfang und überreichte mir kühl ein neues. Freudig ging ich mit der ,Neuauflage’ nach Hause.“
Markus Püll: Mit der „Löwenmutter“ um das richtige Zeugnis gekämpft
Bürgermeister Markus Püll (CDU) sollte im Juni 1975 sein Abschlusszeugnis der 9. Klasse bekommen, was ihn berechtigte, in die 10. Klasse zu wechseln. „Da ich ein schulischer Spätstarter war, habe ich mich in diesem Jahr besonders angestrengt. Am Tag der Zeugnisausgabe wurde mir und meiner Mutter aber nur knapp gesagt, was wir heute in der Schule wollten. Ich hätte das Ziel nicht erreicht und das Zeugnis sei per Post unterwegs. Auch der Direktor versuchte uns abzuwimmeln. Wir verließen enttäuscht und verärgert die Schule.
Mein Vater reagierte entspannt, denn der Junge habe doch eine Lehrstelle als Schornsteinfeger im Familienbetrieb. Er verstand aber, dass ich die mittlere Reife erlangen wollte und unterstützte mich. Über den damaligen OB Dieter aus dem Siepen, Schulleiter Bruchstraße, bekamen wir Kontakt zum Schulrat. Der versprach, sich zu kümmern. Drei Tage später kam der Anruf von der Schule, ich kann mein neues Zeugnis mit dem positivem Vermerk abholen.
Die Erklärung des Missverständnisses: Es wurden vom Klassenlehrer die Noten falsch übertragen und der Notenschnitt falsch errechnet. Lehrer und Direktor waren an diesem Tag nicht vor Ort, angeblich schon im Urlaub. Deren Glück, denn die „Löwenmutter“, die insgesamt vier Kinder hatte, war noch mächtig sauer.
Die mittlere Reife habe ich dann auch geschafft, die Gesellenprüfung im Schornsteinfegerhandwerk als Jahrgangsbester bestanden, und die Meisterprüfung mit einem guten Ergebnis abgeschlossen.“
Andy Brings: Hängen geblieben und dem eigenen Rhythmus gefolgt
Der Rockmusiker und frühere OB-Kandidat Andy Brings hat tatsächlich … Abitur. Doch der Weg dorthin war Hardcore. Brings berichtet: „Sechs Fünfen, nicht versetzt! Die einstige Albtraumfabrik Otto-Pankok-Gymnasium hatte mir im Sommer 1986 ihren eiskalten Hauch der Verdammnis ins Gesicht geblasen. ,Dieses Zeugnis wird dich bis an dein Lebensende begleiten, Andreas’ und ähnlich Verheißungsvolles aus der Phrasendreschmaschine der Anstalt waren mein täglicher Begleiter.“
Nur war ihm das total egal, „denn ich wusste längst, dass das alles nichts mit mir zu tun hatte. Rock´n´Roll, Heavy Metal und meine E-Gitarre hatten längst gesiegt. Mir war klar, dass mein durch Desinteresse bedingtes Versagen beim Zeichnen von Bienentanzdiagrammen im Biologieunterricht in diesem Leben keinen Einfluss auf meine Zukunft haben würde.“
Andy Brings sagt auch: „Meiner Familie hätte ich diese und weitere Sorgen gerne erspart, aber rückblickend hat mein Weg, den ich nach meinem eigenen Rhythmus gegangen bin, gezeigt, dass sie unbegründet waren. Wenn die innere Flamme lichterloh brennt, kann nichts und niemand sie löschen. Auch kein Schulzeugnis in der 9. Klasse, von dem ich erst 2021 - beim Schreiben dieser Zeilen - glaube, dass es vielleicht ungültig war. Denn mein damals wie heute hochverehrter Klassenlehrer Klaus-Dieter Henning hatte es versehentlich falsch datiert: 1983 statt 1986. Hätte auch nix geändert. Selbst nach meinem Abiturzeugnis von 1992 hat nie mehr jemand gefragt. Ergo: Always be yourself“.
Ute Gibbels: Immer wieder mit Prüfungsängsten gekämpft
„Meine mündliche Abiprüfung in Geschichte war traumatisch“, erzählt Ute Gibbels (57), die neue Leiterin der Karl-Ziegler-Schule. „Ich war absolut kein Prüfungstyp und konnte irgendwann auf jede Frage nur noch ,Ebert’ antworten.“ Ihr sei niemand anders mehr eingefallen als der erste deutsche Reichspräsident; „ich habe sogar irgendwann Aden-Ewert gesagt, anstelle von Adenauer“.
Die Erfahrung hielt die Duisburgerin nicht davon ab, Geschichte (und Deutsch) zu studieren. Im mündlichen Staatsexamen aber war die Panik wieder da: „Ich hatte solche Angst, dass ich wie verrückt geschlottert habe und mir ein Prüfer verboten hat, weiter zu zittern. Das würde ihn nervös machen.“
Auch als Gibbels ihr Abizeugnis überreicht bekam, war die Aufregung riesig: „Ich konnte nicht mal die Note lesen.“ Anders als heute, wo die Schüler sich vorab vieles ausrechnen könnten, sei es damals eine Überraschung gewesen, was am Ende herauskommt. „Meine schriftlichen Arbeiten waren zum Glück gut, das mündliche aber hätte mir alles verhageln können. Erst als ich gesehen habe, dass meine Eltern stolz sind – die hatten die Note nämlich schon gelesen –, wusste ich: So schlimm kann’s nicht sein.“
Gibbels’ Vater kannte seine Tochter und ihre Ängste übrigens sehr genau: Als ihn der Fahrlehrer nach der Führerschein-Prüfung anrief und sagte, ,Hier sitzt jemand und heult’, blieb der Vater cool und freute sich: „Super, dann hat sie ja bestanden. . .“
Heike Grüter-Hommerich: Ein einziges Mal gepfuscht – und gleich aufgefallen
„Ich war eigentlich immer die ,Dame Untadelig’“, sagt Heike Grüter-Hommerich, die als Nachhilfelehrerin Generationen von Mülheimer Schülern und Schülerinnen durchs Abitur gebracht hat. „Vielleicht nicht unbedingt eine Streberin, aber es kam dem schon ziemlich nah.“ Sie habe immer sehr gute Zeugnisse gehabt und nie gepfuscht.
Einmal allerdings gab es doch eine Art Betrugsversuch, erinnert sich die 65-Jährige, die heute noch Pädagogische Leiterin der Klugen Gesellschaft in Mülheim ist und als Privatlehrerin Studenten begleitet. „Eine Klassenkameradin muss unbedingt die Abi-Vorklausur in Französisch bestehen. Und ich habe ihr versprochen, ihre Arbeit vor dem Abgeben nachzugucken.“
Heike Grüter-Hommerich war wegen des illegalen Tuns „aufgeregt wie sonst was“. Und die Sache ging auch tatsächlich schief: „Als ihre Arbeit vor mir lag, hat der Lehrer das gesehen.“ Erstaunlicherweise habe er nur gegrinst. „Ich glaube, er fand es schön, dass ich geholfen habe.“ Die Klassenkameradin fuhr ein gutes Ergebnis ein – die Helferin aber kassierte die erste und einzige Fünf ihres Lebens: „Das Pfuschen war nervlich so eine Belastung, dass ich meine eigene Arbeit total verzockt habe.“