Ob multimediales Lernen die Arbeit im Klassenzimmer ersetzen kann, darüber gehen die Meinungen auseinander. Nachhilfe per Skype gibt es schon.
„Es gibt Schüler, die sehe ich gar nicht live“, sagt Heike Grüter-Hommerich und lacht. Die Geschäftsführerin der Kluge gemeinnützige Gesellschaft für Bildungsförderung mbH setzt auf Unterricht über Videotelefonie. Worin einige die Gefahr der Isolation wittern könnten, darin sieht sie viele Vorteile. „Der Witz ist, dass man mit allen Medien gleichzeitig arbeiten kann“, erklärt sie. Während sie mit einem Schüler über Skype spricht, kann sie einen Text aus einem Buch mit dem Handy abfotografieren und per Messenger an ihn verschicken. Das spare Zeit.
Gleichzeitig könne der Lehrer dank digitaler Angebote auf alle Lerntypen individuell eingehen. Hochbegabte beispielsweise, mit denen Grüter-Hommerich arbeitet, könnten flexibel „links und rechts vom Lehrstoff ihren Interessen nachgehen“. Wer Pausen brauche, um neue Informationen einzuordnen, könne sich die Zeit nehmen. Wer schnell abgelenkt sei, könne an einem ruhigen Ort lernen. Dank Internet sei es möglich, „unterm Apfelbaum zu sitzen, Limo zu trinken und Unterricht zu machen“.
Wird die Schule überflüssig?
Doch wenn Schüler jederzeit und überall lernen können, wird Schule, so wie wir sie kennen, dann überflüssig? Grüter-Hommerichs Einschätzung: „Die Schule ist nicht unverzichtbar zum Lernen, sondern unverzichtbar zum Beaufsichtigen.“ Schließlich müssten die Eltern arbeiten und ihre Kinder in der Zeit irgendwo unterbringen.
Schule sei also eine „Aufbewahrungsstelle für Kinder von Berufstätigen“. Für digitales Lernen böte der Schulunterricht daher „keine sinnvollen Anlässe“, sagt sie.
Klassischer Unterricht nicht in Gefahr
Martin Teuber, Leiter der Karl-Ziegler-Schule, sieht das anders. Seiner Auffassung nach gibt es „viele Einsatzbereiche“ für das Digitale, „die den Lernprozess bereichern können“. Etwa wenn die Schüler spezielle Programme auf ihrem Smartphone nutzten, um Fremdsprachen zu lernen.
Den klassischen Unterricht sieht er durch die fortschreitende Digitalisierung nicht in Gefahr. „Bildung ist Bindung“, erklärt er. Schule habe einen wichtigen „Sozialisationswert“ und die Gemeinschaft mit anderen Schülern sowie der unterrichtende Lehrer hätten „entscheidenden Anteil am Lernerfolg“.
Dieser Überzeugung ist auch Markus Jäke, stellvertretender Leiter der Schülerhilfe in Mülheim. „Klassischer Unterricht kommt bei uns am meisten vor“, sagt er. Zwar gebe es auch ein Online-Lerncenter mit Lernvideos, Übungen und der Möglichkeit, sich zu vernetzen, doch „der Lehrer, der vor Ort ist und vorne an der Tafel steht, ist unersetzbar“. Denn die Frage „Wo bin ich im Kopf falsch abgebogen?“ könne die Plattform nicht lösen.
Kombination von klassischem und digitalem Unterricht
Darum setze die Schülerhilfe auf eine Kombination von klassischem und digitalem Unterricht. Für Online-Recherche und Übungen zum Hörverstehen nutzten die Schüler beispielsweise Tablets. Bei Fragen außerhalb des Unterrichts seien die Nachhilfelehrer per Messenger erreichbar. Ein Angebot, was sich bei kleinen Gruppen eher anböte als bei ganzen Schulklassen, so Jäke. Auch er sieht, wie Grüter-Hommerich, die Nachhilfeinstitute bei der Digitalisierung des Unterrichts gegenüber den Schulen vorn.
Tatsächlich werden Handy, Tablet und Co., die bereits zu einem selbstverständlichen Teil der Freizeit geworden sind, in Schulen noch zurückhaltend eingesetzt. Ein Grund dafür ist die mangelnde Ausstattung, etwa mit kabellosem Internet. Der Bildungsausschuss hat kürzlich beschlossen, dass Mülheimer Schulen in vier Jahren flächendeckend mit WLAN ausgestattet sein sollen. Bis die Schüler im Unterricht problemlos mit Tablets und Laptops arbeiten können, dauert es also noch eine Weile.
Kenntnisse im Umgang mit Hard- und Software
Dabei würden Kenntnisse im Umgang mit Hard- und Software von vielen Arbeitgebern vorausgesetzt, weiß Claudia Hammer, Studiendirektorin des Berufskollegs Lehnerstraße. Dort arbeiten die Jugendlichen mit Smartphones, Tablets und nutzen verschiedene e-Learning-Angebote. Bei den Ausbildungsstellen käme das gut an, sagt sie.
Heike Grüter-Hommerich von der Klugen Gesellschaft hält multimedialen Unterricht auch als Vorbereitung auf ein Studium für unerlässlich. Sie fordert sogar, dass der Umgang mit dem Digitalen schon im Kindergarten vermittelt werden sollte.
>>> MEDIENKOMPETENZ WIRD IM UNTERRICHT VERMITTELT
m Berufskolleg Lehnerstraße gehört auch die Vermittlung von Medienkompetenz zum Unterricht. Oft würden Quellen nicht ausreichend geprüft und „Dinge unreflektiert aus dem Internet“ übernommen, sagt Studiendirektorin Claudia Hammer.
Auch an der Karl-Ziegler-Schule spielt das Thema eine Rolle. Dort wird beispielsweise der kritische Umgang mit Smartphones gefördert. Die Geräte dürfen nur in bestimmten Zonen innerhalb des Gymnasiums genutzt werden.