Mülheim. Weil sich ein Mülheimer Ratsherr durch weibliche Anrede diskriminiert fühlt, stellt er den Antrag an seiner Fraktion vorbei. Das hat Sprengstoff.
Die Seele des starken Geschlechts ist bekanntlich eine sensible, wenn nicht gar feinfühlige Angelegenheit. „Ich fühle mich als Mann dauerhaft diskriminiert“, beklagt nun ein Antrag an die Mülheimer Stadtverwaltung und Politik für den Sozialausschuss im September. Die Ursache des offenbar unerträglichen Affronts gegen die Männlichkeit? Die weibliche Anrede in den Leitlinien der Stadt.
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Krieg den Sternchen: Mülheimer Ratsherr stellt einen Antrag gegen „das generische Femininum“
Oder wie es im Antrag heißt: „das generische Femininum“. Denn die Stadt will nun auch die Ansprache mit „Gendersternchen“ verfolgen, also Politiker*in schreiben anstelle von „Politiker und Politikerinnen“. Was Frauen in der deutschen Sprache seit ihrer Existenz, sprich seit Jahrhunderten, mal mit Gleichmut, mal mit Protest ertragen mussten und oft noch müssen – gemeint ist die männliche Verallgemeinerung etwa in Berufsbezeichnungen wie Lehrer, Bäcker, Anwalt, Politiker – ist dem Mann offenbar nicht einmal wenige Monate zuzumuten, so prompt folgte sein Protest.
Die gar doppelte Pikanterie der Angelegenheit ist aber die: Der „Diskriminierte“ muss wohl selbst nicht nur Politiker ohne Sternchen, sondern auch Mitglied des Rates sein. Seinen Antrag aber stellt der Rats-Herr nach Paragraf 24 der Gemeindeordnung NRW. Diese ist eigentlich den privaten Bürgerinnen – und selbstverständlich auch Bürgern – vorbehalten. „Ich hätte gerne die aktuelle Fragestunde des Rates für mein Anliegen genutzt, war aber daran gehindert worden“, begründet dieser.
Den Antrag wollte die eigene Partei lieber nicht stellen
Von der eigenen Partei? Im politischen Raum wird das bestätigt. Welcher Fraktion der gehinderte Stadtverordnete angehört, bleibt allerdings so unter Verschluss wie der Name des Antragstellers selbst. Aus „Datenschutzgründen“ heißt es offiziell. Er soll nur im nicht-öffentlichen Teil genannt werden, das verpflichtet die Stadtverordneten zum Stillschweigen.
Die Sache ist also geheim und der betroffenen Fraktion wohl nicht nur derart peinlich, dass sie den Antrag unter Fraktionsflagge nicht führen wollten, vermutet mancher und manche. Sie könnte auch einen besonderen Sprengstoff bergen im fragilen Geflecht geschlechtlicher, wenn nicht gar politisch-strategischer Allianzen. Heißt es vieldeutig im fraktionellen Flurfunk.
Neue Mülheimer Leitlinien schlagen neutrale Geschlechterformulierung oder alternativ Sternchen plus „in“ vor
Zurück aber zur Sache, die dem Ratsherrn offenkundig wichtiger scheint als parteiliche Empfindlichkeiten oder gar andere Mülheimer Probleme: die neuste Leitlinie zur genderfreundlichen Sprache „Fair formulieren“ vom Januar 2020. Sprache transportiere auch Botschaften, heißt es dort. Ist etwa der Mörder immer der Gärtner oder vielleicht auch die Gärtnerin? Das griffige Beispiel zeigt, wie weibliche Formen oftmals in Formulierungen verschwinden oder implizit mitgemeint sein sollen.
Auch viele Zeitungen schreiben oft die männliche Verallgemeinerung – aus Gründen der Lesbarkeit, heißt es – und das starke Geschlecht nahm daran höchst selten Anstoß. Etliche „Tipps“ für das Amtsdeutsch sind in der neuen Leitlinie formuliert, etwa kürzere Sätze, Klarheit und Eindeutigkeit. Auch Vorschläge, keinesfalls Vorschriften zur geschlechterneutralen Formulierung wie „Mitarbeitende“ oder „Person“.
OB Marc Buchholz bittet um Akzeptanz „in einer weltoffenen Stadt mit moderner Verwaltung“
MBI- und CDU-Ratsherren kritisieren Gender-Sprache
Allein ist besagter Ratsherr in seiner Haltung offenbar nicht: Schon 2020 kritisierte die MBI im Hauptausschuss die „genderisierte Sprachform“ in der Verwaltung. Sie wirke „künstlich und aufgesetzt, zumindest für die Mehrheit der Bevölkerung, ob weiblich oder männlich oder divers“ – behauptete Fraktionssprecher Lothar Reinhard damals und zweifelt an der Frauendiskriminierung durch das „generische Maskulinum“. Gendergerechte Sprache sei „für manche Geschwurbel“.Für CDU-Ratsherr Max Oesterwind handelt es sich gar um „eine ideologische Forderung aus dem links-akademischen Milieu“, gab dieser auf Facebook kund. Menschen sollen angeblich damit „gezwungen werden, eine Sprache zu sprechen, die ihrem Alltag in keiner Weise entspricht“.Die Gleichstellungsstelle der Stadt entgegnete der damaligen Kritik im Hauptausschuss sachlich: Der §4 des Landesgleichstellungsgesetzes NRW schreibe die Notwendigkeit vor, in der Amtssprache beide Geschlechter zu adressieren. Es würden aber keine Vorgaben gemacht, wie dies umzusetzen sei. Es handle sich nicht um „Geschwurbel“, sondern um das Bemühen um eine diskriminierungsfreie Sprache.
Der Ratsherr aber stößt sich an dem Sternchen plus „innen“, das an die – wohlgemerkt – männliche Grundform angehängt werden soll: Mitarbeiter*innen. Mann wäre damit nicht nur freundlich mitgemeint, sondern bliebe sprachlich explizit sichtbar. Ein fairer Deal zu mehr moderner Gleichberechtigung? Der Betroffene bezieht sich dagegen auf Landesleitlinien von 1999. Damals schrieb das Gesetz der Verwaltung vor, „die weibliche und männliche Sprachform zu verwenden“, wenn keine geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen gefunden werden können.
Doch die Gesellschaft ist inzwischen 20 Jahre weiter: „Solange Frauen und LSBTIQ*-Menschen unerwähnt bleiben, sind sie es auch in der Vorstellung der Lesenden und Zuhörenden“, befürwortet OB Marc Buchholz die Schreibweise und bittet um Verständnis in einer „weltoffenen Stadt mit einer modernen Verwaltung“: „Von Ihnen als Teil des öffentlichen Dienstes und Aushängeschild unserer Stadt erhoffe ich mir Akzeptanz und sehe uns in der Pflicht, diese Sprache anzuwenden.“
Offenbar aber ist „Mann-cher“ im politischen Raum noch nicht dort angekommen.