Mülheim. Am Ele-Phone der Mülheimer Awo beraten Pädagogen seit einem Jahr wieder Kinder und Eltern bei sexueller Gewalt. Was in der Pandemie Besonders war.

Wer in Mülheim zur Schule gegangen ist, kennt es sicherlich: das Ele-Phone. Seit 30 Jahren betreibt die Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Mülheim das Hilfetelefon bei sexueller Gewalt für Kinder und Jugendliche. Nachdem das Ele-Phone 2015 abgeschaltet wurde und fünf Jahre lang nicht klingelte, ging das Hilfetelefon vor einem Jahr wieder an den Start – zeitgleich mit dem ersten Lockdown. Was hat die Anrufer in diesem besonderen Corona-Jahr bewegt?

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Zusammen mit neun geschulten Ehrenamtlichen und weiteren pädagogischen Mitarbeitern der Awo sitzt Kirsten Schumacher regelmäßig am Telefon und berät die meist jugendlichen Anrufer. „Zwischen März und Dezember gab es 65 Anrufe“, sagt die Diplom-Pädagogin. Von Januar bis Ende März seien es neun Anrufer gewesen, die Rat suchten. Darunter seien Mädchen und Jungen, Frauen und Männer gleichermaßen gewesen. Aber: „Die Themen waren sehr viel breiter gefächert als in den Jahren vor der Pandemie.“

Seit Corona geht es vielmehr um soziale Isolation und die Trennung von Freunden

Früher sei es viel um Liebeskummer und Fragen zu erster Sexualität gegangen, „etwa wie man ein Kondom benutzt oder Ähnliches“, weiß Kirsten Schumacher. Im Corona-Jahr dagegen erweiterten sich die Themen: Da drehte sich viel um soziale Isolation („Ich vermisse meine Freunde“) oder Konflikte in der Familie („Ich bin zu Hause rausgeflogen“). Schließlich brechen mit der Schule wichtige Strukturen für Kinder und Jugendliche weg. „Das soziale Miteinander, das gerade in Schulen gelernt wird, fehlt. Genau wie der emotionale Austausch und der Kontakt zu Vertrauenspersonen außerhalb der eigenen Familie.“

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Zwar berichten weniger Anrufer von sexuellen Übergriffen aus der Schule, die es dort unter Gleichaltrigen häufig gibt, dafür aber verstärkt von Cybergrooming. Dabei handelt es sich um die Kontaktaufnahme durch Erwachsene an Jugendliche in Online-Chats oder -Spielen. Sie geben sich meist als Minderjährige aus, um sich das Vertrauen der Kinder zu erschleichen – meist mit sexuellen Absichten. Dies sei in der Corona-Pandemie verstärkt aufgetreten, weiß die Beraterin. „Die Kinder treiben sich derzeit viel im Internet herum und die Täter knubbeln sich förmlich in den Chats.“

Täter knubbeln sich in den Chats, um Kontakt zu Kindern aufzunehmen

An sieben Tagen 24 Stunden erreichbar

Das Hilfetelefon ist unter der kostenlosen Rufnummer 0800/666 777 6 erreichbar, an sieben Tagen die Woche, 24 Stunden lang, und kann auch per WhatsApp angeschrieben werden.

Das Ele-Phone finanziert sich ausschließlich über Spenden. „Heiner Jansen ist unser Spendenmanager und hat es mit viel Arbeit geschafft, ein Paten-Netzwerk aus mittlerweile 90 Mülheimer Bürgern aufzubauen, die jährlich 200 Euro spenden“, sagt Kirsten Schumacher.

Hinzu kommen etwa acht Mülheimer Firmen, die das Projekt unterstützen, sowie die Polizeistiftung David und Goliath. Die Stiftung hat sich für fünf Jahre verpflichtet, das Ele-Phone zu unterstützen – mit insgesamt rund 35.000 Euro.

Seit Mitte des vergangenen Jahres können sich auch hilfesuchende Eltern beraten lassen. „Bei vielen ging es um Konflikte mit ihren pubertierenden Kindern, aber auch um den Umgang, nachdem ein sexueller Übergriff passiert war, oder um Cybergrooming.“ Was kann ich als Mutter oder Vater tun, wenn mein Kind Pornobilder zugeschickt bekommt? Wie kann ich mein Kind schützen? Der beste Schutz sei es, die Kinder früh über mögliche Gefahren im Netz aufzuklären und Vertrauen zu schaffen.

Auch einige Großeltern seien unter den Ratsuchenden gewesen, berichtet Schumacher. „Bei dieser Gruppe ging es vor allem um Einsamkeit, weil kein Kontakt zu den Enkelkindern besteht.“ In allen Fällen sei es wichtig, dass die Gespräche immer anonym bleiben und bei Bedarf weitere Hilfe angeboten wird. „In erster Linie hören wir zu und stärken den Anrufer.“

Schulprojekte müssen während der Pandemie ausgesetzt werden

Eine besondere Herausforderung in diesem Jahr sei der Umstand, dass die Awo-Mitarbeiter wegen Corona kaum in die Grund- und weiterführenden Schulen kommen, um die Kinder in Präventionsprojekten aufzuklären. Dabei ist die Schularbeit eine wichtige Säule des Ele-Phones, um Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt zu schützen. Dort lernen die Kinder die Berater kennen und wissen, wohin sie sich im Notfall oder bei Fragen wenden können.

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„Wir haben bereits Termine mit drei weiterführenden Schulen gemacht, hoffen aber, dass es bald wieder möglich sein wird, mehr Schüler zu erreichen“, sagt Kirsten Schumacher. Bis dahin werden möglichst viele Plakate geklebt, in Bussen und Bahnen oder auch an beliebten Aufenthaltsorten, um die Kinder und Jugendlichen zu erreichen.