Mülheim. Statistisch gesehen war Mülheim schon lange nicht mehr so sicher wie heute. Aber die Kriminalitätskurve zeigt auch erschreckende Tendenzen.

Die Kriminalität in Mülheim ist 2020 weiter zurückgegangen, noch deutlich stärker als im Landesschnitt. Die Zahl der Straftaten sank um rund 6,5 Prozent auf insgesamt 9018 Delikte - das ist der niedrigste Stand seit drei Jahrzehnten. So steht es in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik, die am Montag veröffentlicht wurde. Aber auch die Schattenseiten wiegen schwer.

Bestimmte Delikte sind im vergangenen Jahr viel seltener vorgekommen, und das hat teilweise mit den Umwälzungen durch die Corona-Pandemie zu tun. Besonders krass zeigt sich das beim Schwarzfahren: gut halb so viele Fälle wie 2019. „Bedingt durch Corona fährt kaum noch jemand mit Bus und Bahn“, bemerkt Ralf Wagener, der die Direktion Kriminalität für Essen und Mülheim leitet. Das Gleiche gilt für die Ladendiebstähle (minus 16 Prozent) oder den Kreditkartenklau (minus 38 Prozent).

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Viel weniger Wohnungseinbrüche in Mülheim

Und da viele Menschen rund um die Uhr zu Hause hocken, gab es in Mülheim im (ersten) Corona-Jahr 130 Wohnungseinbrüche weniger als 2019, ein Rückgang um etwa 19,4 Prozent. In fast der Hälfte der Fälle blieb es auch beim Versuch - „ein Trend“, wie Wagener erläutert. Die Vorbeugung mit technischen Mitteln werde immer besser, die Nachbarschaft aufmerksamer, „auch die Wohnungsbaugesellschaften investieren immer mehr in Präventionsmaßnahmen“.

Sechs Tötungsdelikte im Vorjahr, alle wurden aufgeklärt

Auch in Sachen Gewaltkriminalität war Mülheim schon lange nicht mehr so sicher: Insgesamt 327 Fälle registrierte die Polizei, 20 weniger als im Vorjahr. Da der Begriff jedoch ein breites Feld umfasst, vom leichteren Raub bis zum Mord, lohnt hier genaueres Hinschauen. Sechs Tötungsdelikte (auch fahrlässige Tötung), das sind doppelt so viele wie 2019. Jeweils wurden alle Taten aufgeklärt. Und bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung spricht die Polizei drastisch von einem „Allzeithoch“. 142 Fälle passierten im vergangenen Jahr, davon 22 Vergewaltigungen. 109 Opfer hat es erwischt, darunter 96 Frauen oder Mädchen.

Alarmierend: „Allzeithoch“ bei Sexualstraftaten

Besonders alarmierend ist die Entwicklung im Bereich der Kinderpornografie: 28 Fälle kamen ans Licht, neun mehr als im Jahr zuvor. Sicher nur ein Bruchteil dessen, was sich im Dunkelfeld tatsächlich abspielt, betont auch die Polizei. Von den 27 Tatverdächtigen, die in Mülheim ermittelt wurden, war fast die Hälfte (13 Personen) jünger als 21 Jahre. Kinder und Jugendliche sind also massiv an der Verbreitung von Kinderpornografie beteiligt, die ältere Gewalttäter produzieren. „Es sind bislang geringe Fallzahlen“, erläutert Ralf Wagener, „aber es macht große Mühe, diese Delikte und die Spur zu möglichen weiteren Opfern zu verfolgen.“

Kinder und Jugendliche verbreiten Kinderpornografie

Von einer Aufklärungsquote wie in diesem Bereich, weit über 90 Prozent, kann die Polizei ansonsten nur träumen. Sie liegt im Schnitt bei 52,3 Prozent, noch einmal unter dem Wert von 2019. Vor allem bei den Wohnungseinbrüchen mit einer Aufklärungsquote von kaum mehr als zehn Prozent müssen sich die Ermittler meist geschlagen geben.

Corona-spezifische Straftaten

In der Polizeistatistik 2020 tauchen erstmals auch Straftaten auf, die direkt mit der Covid-19-Pandemie zusammenhängen.

Subventionsbetrug im Zusammenhang mit Corona, etwa bei der Beantragung von Soforthilfen, ist in Mülheim 39 Mal aufgeflogen. Der Gesamtschaden betrug rund 487.000 Euro.

Jedes fünfte Delikt gehört in die Kategorie „Straßenkriminalität“, sei es Raub, Sachbeschädigung, Exhibitionismus, Körperverletzung auf öffentlichen Wegen oder Plätzen. Ganz im Gegensatz zum persönlichen Empfinden vieler Mülheimer zeigt hier die Kurve seit 2015 stetig nach unten. 1801 Straftaten gab es im vergangenen Jahr, ein Minus von gut 15 Prozent. Zum Vergleich: 2012 passierten noch 4117 Straftaten auf Mülheimer Straßen.

Statt der Straße wird zunehmend das Internet zum Tatort

Diese langfristige Tendenz lässt sich nicht nur mit der Corona-Pandemie erklären, die das öffentliche Leben beschneidet. Aber sie wird dadurch verstärkt. Generell hat sich nach Beobachtung der Polizei das kriminelle Geschehen in letzter Zeit von der Straße in andere, weniger sichtbare Sphären verlagert. Zunehmend ins Internet. So ist die Computerkriminalität in Mülheim und Essen insgesamt um mehr als 20 Prozent gestiegen. Um etwa ein Viertel zugenommen haben Betrugsdelikte bei Online-Geschäften.

Und: Gutgläubige Seniorinnen und Senioren leben zunehmend gefährlich. Die Polizeistatistik kennt eine eigene Kategorie für die Straftaten zum Nachteil älterer Menschen. Die Drahtzieher agieren immer häufiger vom Ausland aus, starten von dort betrügerische Anrufe. Im Vorjahr hat es 595 solcher grenzüberschreitenden Betrugsdelikte in Mülheim gegeben, die auf ältere Menschen zielten. 592 sind allerdings im Versuch gescheitert.

Fast 600 betrügerische Anrufe aus dem Ausland

Für die Taten, die sich in der eigenen Stadt abspielen, gilt das nicht: In 52 Fällen wurden Senioren bösartig auf die Probe gestellt, 29 Mal sind sie tatsächlich auf Betrüger hereingefallen. Insgesamt entstand laut Polizei ein Schaden von 122.378 Euro. Die frechsten Attacken hatten schon Erfolg.

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Um solche Fälle zu verhindern, haben die Polizeipräsidien Essen und Oberhausen eine spezielle „Ermittlungsgruppe Call Center“ eingerichtet. So wollen sie Bandenbetrug aus dem Ausland bekämpfen, die Täter ermitteln, aber auch „Opfernachsorge“ betreiben.

Ein letzte, erfreuliche Zahl zum Schluss: Bei der Kriminalitätshäufigkeitszahl (KHZ), die die Straftaten pro 100.000 Einwohnern angibt, steht Mülheim im Großstadtvergleich harmlos da. Die KHZ ist von 5645 (im Jahr 2019) auf aktuell 5285 gesunken. In Essen liegt sie bei 7472, in Duisburg gar bei 8641.

Fallzahlen und Aufklärungsquote in Mülheim
Fallzahlen und Aufklärungsquote in Mülheim © funkegrafik nrw | Anda Sinn/Marc Büttner