Mülheim. Nicht nur mancher Mülheimer, sondern auch Insekten und Vögel geraten durch zu viel LED-Licht aus dem Rhythmus. Gerade rüstet die Stadt massiv um.
Wem’s in der sympathischen Stadt an der Ruhr zu hell ist, der könne doch in den Wald ziehen – der Mülheimer Thorsten Wegner ist über den Rat, den er auf eine Beschwerde hin aus der Stadtverwaltung erhielt, baff erstaunt. Der öffentliche Raum gehöre doch den Bürgern, meint Wegner, und dort solle man sich doch wohlfühlen. Und nicht nur sie, auch Insekten, Vögel sind von Lichtverschmutzung betroffen. Im kritischen Fokus steht das LED-Kaltlicht, auf das Mülheim an vielen Stellen umrüstet.
Auch interessant
4000 Kelvin hat eine LED-Lampe im Straßenbereich
Seit 2015 stellt die Stadt von Natriumdampf- auf LED-Lampen in der Straßenbeleuchtung um. 2500 von 13.900 sogenannten Lichtpunkten sind ausgetauscht. Das spart enorm: Geld, Ressourcen und auch CO2. Bislang konnte Mülheim durch diese Maßnahme 250.000 Watt einsparen, verbraucht nunmehr eine Million Kilowattstunden weniger im Jahr als zuvor, sagt Roland Jansen vom Tiefbauamt.
4000 Kelvin hat eine LED-Lampe im Straßenbereich. Die Farbtemperatur gilt als „neutralweiß“, also knapp unterhalb des Tageslichts. Zuhause würde man wohl im gemütlichen Wohnbereich etwa warmweiße 2700 bevorzugen. Im Büro erzeugen etwa 3500 Kelvin eine sachliche Arbeitsatmosphäre.
Zu viel Licht bringt den Biorhythmus durcheinander
Doch je höher die Farbtemperatur, desto mehr Blauanteile hat die „Funzel“ und desto mehr geht LED in Richtung Tageslicht. Das kann nicht nur den menschlichen Biorhythmus aus dem Takt bringen, sondern lässt Falter um Leuchtkörper schwirren und sogar Amselmännchen in der Nacht trillern, weil sie die Laterne für den beginnenden Morgen halten.
Oder Blaumeisenweibchen früher im Jahr Eier legen. Für Jungvögel, die dann zu wenig Nahrung finden, kann das fatal enden.
Auch interessant
Straßenbeleuchtung ist von der Lichtverschmutzung per Gesetz ausgenommen
Das alles wäre durchaus ein Grund, über die Beleuchtung der Straßen nachzudenken. Straßenlaternen allerdings fallen aus dem Schlaglicht der Lichtverschmutzung, denn das Bundesimmissionsschutzgesetz nimmt die Beleuchtung öffentlicher Verkehrswege, Lichtsignalanlagen und die Beleuchtungsanlagen von Kraftfahrzeugen explizit davon aus.
Denn die Verkehrssicherheit hat hier Vorrang vor Umweltschutz. Dabei ließe sich die Farbtemperatur der Straßenbeleuchtungen durchaus „künstlich“ absenken, meint Verkehrsplaner Jansen. Auf gut 3000 Kelvin – fast Wohnzimmerstandard. „Es gibt einige Anwohner, die in ihrer Straße mehr Atmosphäre wollen, aber das ist nicht unsere Priorität“, spricht der Verkehrsplaner.
Die Temperaturabsenkung hat zudem noch eine weitere Schattenseite: Sie kostet rund sieben Prozent mehr Energie.
Nachbar Oberhausen ging erst spät ein Licht auf
LED kann tückisch sein und nicht überall glückt die Umrüstung. Nachbar Oberhausen etwa ging erst spät das Licht auf, nachdem die neue Straßenbeleuchtung hauptsächlich für eines sorgte: Außerhalb des Lichtkegels sah man kaum die andere Straßenseite, geschweige denn entgegenkommende Mitbürger.
Die Konsequenz: Man stellte an 108 Straßen mehr Masten mit weiteren 488 Lichtkörpern auf. Oder erhöhte die Masten, damit sich der Lichtkegel erweitert. Die millionenteure Umrüstungsposse ließ die erhofften Einsparungen ebenfalls in Millionenhöhe dahinschmelzen um 735 000 Euro.
So handelt Mülheim gegen Lichtverschmutzung
Bewegungsmelder gegen zu viel Helligkeit
Für die Beleuchtung der Schulen, Sportanlagen und städtischen Gebäude sowie ihrer Außenanlagen ist der Immobilienservice zuständig. Hier ist man seit 2018 dabei umzustellen: 8500 Leuchtmittel sind bereits ausgetauscht. Das spare 1,5 Millionen Kilowatt ein, sagt Immobilienservice-Chef Frank Buchwald.
Gespart hat die Umstellung über den gesamten Verlauf neben 350.000 Euro auch 600.000 Tonnen CO2. Von 2021 bis 24 sollen es jährlich 150.000 Euro werden. Ab 2025, wenn alle 16.500 Leuchtmittel ausgetauscht sind, sinken die Energiekosten um jährlich 500.000 Euro.
Doch selbst wenn in Gebäuden und auf Zuwegen gilt „Sicherheit first“, hat der Immobilienservice auf Lichtverschmutzung mit Bewegungsmeldern reagiert. Es wird nur dann hell, wenn es gebraucht wird. Oder die Nachbarskatze vorbeiläuft.
Was das LANUV empfiehlt und weitere Infos zur Lichtverschmutzung: www.lanuv.nrw.de.
In Mülheim ist die Lage zwar anders, abgeneigt ist der Mülheimer Verkehrsexperte Jansen dennoch nicht, dort Maßnahmen gegen Lichtverschmutzung zu ergreifen, wo es geht. „In kleineren Straßen haben wir die Lichtmasten bereits tiefer gesetzt, damit das Licht weniger streut. Wir setzen auch Pollerbeleuchtungen in Parkanlagen ein“, zählt er auf. „Teilweise gehen wir sogar weiter als das Lanuv (Anm. d. Red.: Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW) empfiehlt.“
Das Dimmen hingegen hält Jansen für kostspieliger. Auch sogenannte Nachtabschaltungen kämen nicht in Frage: „Dort, wo wir es umgesetzt haben, stellten wir oft fest, dass man die Lampen im Grunde gar nicht braucht. Dann haben wir sie gleich abgebaut.“