Vertreter von neun Mülheimer Schulen wenden sich öffentlich an Krisenstab, Polizei, Ordnungsamt. Sie kritisieren „unverhältnismäßige“ Bußgelder.

Mülheim. Die Stadt hat in jüngster Zeit streng an den weiterführenden Schulen durchgegriffen. Dort wird verstärkt kontrolliert, ob die Jugendlichen Mund-Nasen-Schutzmasken tragen, ob sie in größeren Gruppen dicht zusammenstehen. Jede Menge Bußgelder wurden auch schon verhängt, so gab es allein am vergangenen Donnerstag mehr als 30 Anzeigen an den beiden Berufskollegs Stadtmitte und Lehnerstraße. Wegen Nichteinhaltung der Corona-Regeln drohen den Jugendlichen bis zu 250 Euro Strafe.

Kritik der Mülheimer Schüler: Sogar Jugendliche mit Mundschutz bestraft

Jetzt reagieren die Schülervertretungen (SV) auf diese harte Linie. In einem offenen Brief unter anderem an den OB, den Leiter des Corona-Krisenstabes, an Polizei und Ordnungsamt kritisieren sie, dass „unverhältnismäßige“ Bußgelder verhängt worden seien. So habe es Jugendliche an der Gustav-Heinemann-Gesamtschule und am Gymnasium Heißen erwischt, obwohl sie Masken getragen hätten, „weil sie den Mindestabstand nicht einhielten“.

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Die Schülervertreter finden das nicht in Ordnung - und sie sind viele. Unterschrieben haben die Schülervertretungen von neun weiterführenden Schulen in Mülheim: der Gustav-Heinemann-Schule, Willy-Brandt-Schule, Gesamtschule Saarn, der Gymnasien Heißen, Broich, Otto-Pankok und Luisenschule, der Freien Waldorfschule und des Berufskollegs Lehnerstraße. Nicht mit im Boot sind die Karl-Ziegler-Schule, die drei Realschulen und die Hauptschule am Hexbachtal. Leonard Ehren, Schülervertreter am Gymnasium Broich, erklärt auf Anfrage dieser Redaktion: „Wir haben versucht, alle zu berücksichtigen, aber wir können nicht erwarten, dass sich alle zurückmelden.“ Er sei aber sicher, dass die überwiegende Mehrheit hinter dem Brief steht.

Schülervertreter „begrüßen“ Kontrollen von Polizei und Ordnungsamt

Die Jugendlichen betonen, dass sie nicht gegen Maßnahmen wie Maskenpflicht und Mindestabstand sind, dass sie die Präsenz von Polizei und Ordnungsamt, die Kontrollen an den weiterführenden Schulen in Mülheim sogar „begrüßen“. Bußgelder in Nähe der Schulen seien aber dort unverhältnismäßig, wo der Mindestabstand praktisch überhaupt nicht eingehalten werden könne . „So ist es unmöglich, während der Stoßzeiten in öffentlichen Verkehrsmitteln, an Haltestellen oder auf zuleitenden Wegen den Mindestabstand einzuhalten“, schreiben die SV.

Schon 1000 Bußgeldbescheide verschickt

Seit Beginn der Pandemie hat das Mülheimer Ordnungsamt rund 1000 Bußgeldbescheide wegen Verstößen gegen die Corona-Vorschriften verschickt. Diese Zahl nannte OB Marc Buchholz zuletzt im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales.

Mitte November hatte die Stadtverwaltung verstärkte Kontrollen an den weiterführenden Schulen angekündigt. Unter anderem soll überprüft werden, ob sich tatsächlich nicht mehr als zehn Personen aus zwei Haushalten treffen.

Daher könnten sie nicht verstehen, warum ein Bußgeld in Höhe von 250 Euro als angemessen verstanden wird. „Diese Summe entspricht bei vielen Schülern einem Jahrestaschengeld!“ Da die Stadt den Jugendlichen gar keine andere Wahl lasse, als dicht gedrängt in öffentlichen Verkehrsmitteln zu stehen, „erscheinen diese Maßnahmen verstärkt sinnfrei“, kritisieren die Schüler.

Forderung: „Sinnfreie“ Bußgelder prüfen und zurückziehen

Ihre Forderungen an die Stadt Mülheim lauten: Die Sicherheit aller Schüler durch ein Konzept gewährleisten, mit dem Fahrplanangebot und Zahl der Busse und Bahnen angepasst werden. Und: Die Verhängung von Bußgeldern prüfen und gegebenenfalls zurückziehen. An der Aufklärung und einer gemeinsamen Lösung wollen die Jugendlichen gerne mitwirken.

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Sie werden in Kürze eine Antwort bekommen, ebenfalls in Form eines offenen Briefes, verspricht Stadtsprecher Volker Wiebels. „Der Krisenstab wird in seiner nächsten Sitzung am Donnerstag darüber sprechen und reagieren.“ Es sei aber schon einmal „sehr positiv, dass die Schüler im Grundsatz das Ziel der Regeln - die Infektionszahlen zu verlangsamen - erkannt haben“, heißt es in einem ersten Statement der Stadt Mülheim.

Vorschlag des OB: nach Stadtteilen gestaffelter Unterrichtsstart

Oberbürgermeister Marc Buchholz plädiert mittlerweile für eine neue Linie beim Schulunterricht: Um die Lage in den Schulbussen zu entzerren, schlägt er versetzte Anfangszeiten vor, wie sie beispielsweise schon in Duisburg praktiziert werden , heißt es auf Anfrage dieser Redaktion. In Mülheim soll der Unterricht gestaffelt nach Stadtteilen starten. Am Mittwoch will der OB darüber mit den Mülheimer Schulformsprechern beraten. Wenn die Schulen mitziehen, könnten die Stundenpläne nach den Weihnachtsferien entsprechend geändert sein.

Stundenpläne könnten nach den Weihnachtsferien geändert sein

Was mit den bisherigen Bußgeldbescheiden passiert , ob die Stadt tatsächlich auf 250-Euro-Überweisungen besteht, ist ohnehin fraglich. In der jüngsten Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses hatte OB Marc Buchholz die verschärften Kontrollen und Sanktionen grundsätzlich verteidigt. Man habe den Eindruck, dass vor allem Jüngere die Gefahren der Pandemie oft ausblenden, so der OB. „Entweder haben manche Heranwachsende zu viel Geld im Portemonnaie oder den Ernst noch nicht verstanden. Wir wollen deutlich machen, dass wir uns nicht auf der Nase herumtanzen lassen.“

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Die Höhe des Bußgeldes legt das Ordnungsamt aber erst nach einer Anhörung fest, abhängig von den finanziellen Möglichkeiten des Betroffenen. „Wenn da jemand Einsicht zeigt, kann man auch von einer Geldstrafe absehen“, lässt der Oberbürgermeister durchblicken. Das hören die Schüler sicher gerne.