Mülheim. Vor 50 Jahren: Die Stadt Mülheim will ihr Wahrzeichen, den Wasserbahnhof, einem 400-Betten-Turm opfern. Der Plan versinkt schnell in der Ruhr.

„Der Wasserbahnhof weicht einem Hotel mit 400 Betten“ – so titelt vor mehr als 50 Jahren diese Zeitung in fetten Lettern. Gigantomaische Stadtplanung ist damals angesagt. Die Städte des Ruhrgebietes wollen sich gegenseitig übertreffen. Die Ruhrstadt – das sagen Prognosen oder erhoffte Zukunftszahlen voraus – wächst bis zur Jahrtausendwende auf 250.000 oder mehr Einwohner. Die Pläne für eine U-Bahn reifen. Auf der großen Brachfläche Hans-Böckler-Platz sollen fünf Hochhäuser mit mehr als 20 Etagen entstehen. „Mülhatten“, wie Spötter bald formulieren, ziehen Architekten und Investoren hoch. Sie treiben Tunnelröhren unter der Oberfläche voran. Aber der Bettenbau auf der Schleuseninsel versinkt (zum Glück) im Ruhrwasser.

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„Abgerissen wird Ende der Sommersaison 1970 wahrscheinlich der Wasserbahnhof. An seine Stelle soll am Eingang des Ruhrtals auf der Schleuseninsel eines der feudalsten Hotels des Ruhrgebietes entstehen. Es soll 400 Betten haben. Die Baukosten für das Objekt werden auf 25 bis 30 Millionen DM geschätzt“, druckt die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ).

Das beliebte Lokal steht mehrmals auf der Kippe

„Pläne, den Wasserbahnhof abzureißen und das Gelände anderweitig zu nutzen, sind nicht ganz neu, wie uns die WAZ schon am 30. Dezember 1969 wissen ließ“, hat Hans-Dieter Strunck in seinem Archiv entdeckt. Er bezieht sich damit auf Berichte aus den letzten Wochen über die Zukunft des denkmalgeschützten Gebäudes. Nach dem vernichtenden Brand im Wasserbahnhof 1973 sowie vor der Sanierung Ende der 1980er Jahre gibt es ebenfalls Überlegungen, den bei Mülheimern und Auswärtigen so beliebten Freizeittreffpunkt aufzugeben.

„Wegen zu lauter und rhythmischer Freizeitmusik“ versuchen Anwohner der Straße Auf dem Dudel vor 35 Jahren, dem Lokal am Kanalufer gegenüber Storm und Wasser abzudrehen. Diese Klage scheitert auf dem Richtertisch. „Die Schleuseninsel ist ein Freizeitbereich, der Wasserbahnhof ein Mülheimer Wahrzeichen. Eine gewisse Belastung ist daher hinzunehmen“, stellte das Gericht einst fest.

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Stadtspitze verkündet für Ende 1970 den Abriss

„Das Hotel wird überregionale Bedeutung haben“, kündigt Oberstadtdirektor Heinz Heiderhoff zum Ende des Jahres 1969 an. Schon deshalb sei dieses Vorhaben für Mülheim „sehr interessant“. „Gebaut werden soll es von den Firmen Terratrust Amsterdam und Eurotel AG Schweiz. Beide haben an bekannten Plätzen Europas bereits ähnliche Hotels errichtet“, schreibt die WAZ.

„Ende 1970, spätestens im Frühjahr 1971 soll mit dem Bau des 15-geschossigen Gebäudes begonnen werden“, verkündet damals die Stadtspitze. „Der bisherige Ausflugsverkehr“, betont der Heiderhoff, „soll durch den Hotelbau nicht beeinträchtigt werden. Die Schiffe der Weißen Flotte werden auch künftig hier ihren Ausgangspunkt zur Fahrt ins Ruhrtal haben.“

Von der Getränkeverkaufsbude zum Restaurant erweitert

Zwei Restaurants sollen für Ausflügler – abgetrennt vom Hotelbetrieb – eingerichtet werden. Das neue Gebäude soll die Bezeichnung „Eurotel Wasserbahnhof Mülheim an der Ruhr“ erhalten. „Mit dem Abbruch des Wasserbahnhofs wird auch sein Vorgelände neu gestaltet. Es soll aber als Grünanlage zugänglich bleiben“, steht in dem Bericht. Über die Zukunft der Blumenuhr sagt der Artikel nichts.

Mülheimern fehlt die Blumenuhr

Der Wasserbahnhof wird erst am 19. Oktober 1989 in die Denkmalliste eingetragen. Damals verkauft die Stadt das Gebäude für „eine kleine Mark“. Der Immobilienmakler Henning Conle saniert das Gebäude – mit pünktlicher Eröffnung zur Mülheimer Landesgartenschau 1992.

Neben der Gastronomie im Wasserbahnhof möchten die Mülheimer auf der Schleuseninsel auch den Brunnen und die Blumenuhr vor dem Gebäude erhalten sehen. Während der Brunnen dieses Jahr noch plätscherte, drehen sich die Zeiger der Blumenuhr seit Jahren dort nicht mehr.

Der Wasserbahnhof entstand in fünf Bauabschnitten. Aus der 1926 eröffneten Fahrkarten- und Getränkeverkaufsbude ließ die Stadt als Eigentümer bis Ende der 1930er Jahre ein angesehenes Restaurant und Ausflugslokal entstehen. „Trotz engagierter Pächter will die Stadt das Haus aber möglichst bald aufgeben“, heißt es in der Neuen Ruhrzeitung (NRZ) zum gleichen Thema.

15 Etagen, 200 Zimmer, eine Ladenstraße und mehrere Restaurants sollte das Eurotel auf der Schleuseninsel bekommen. Skizze aus der Zeitung vom 30. Dezember 1969 aus der WAZ-Lokalausgabe
15 Etagen, 200 Zimmer, eine Ladenstraße und mehrere Restaurants sollte das Eurotel auf der Schleuseninsel bekommen. Skizze aus der Zeitung vom 30. Dezember 1969 aus der WAZ-Lokalausgabe © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Eine Ladenstraße mit 200 Zimmern darüber

Im Parterre des Bettenturms „mit 200 Zimmern, die alle Ausblick auf das Ruhrtal bieten, soll neben den beiden Ausflugsrestaurants eine Ladenstraße entstehen. Damit verschwindet eines der renommiertesten Ausflugslokale im Ruhrtal. Nur ein Teil der Tradition des Wasserbahnhofs wird fortbestehen“, steht in der NRZ.

„Der Rat muss dem Verhandlungsergebnis zwischen Bauherrin und Stadt noch zustimmen“, ist die Darstellung der Ruhrnachrichten (RN) am 30. Dezember 1969 etwas ausführlicher. „Nach den Plänen der Verwaltung dürfte damit die Geschichte des Wasserbahnhofs nach 43 Jahren zu Ende gehen.“

Kein Zweifel daran, das der Bettentrum scheitern könnte

Damit verliere Mülheim zugleich sein Wahrzeichen, „das außerhalb der Stadt am bekanntesten ist – mehr jedenfalls als Petrikirche, Rathaus, Bismarckturm, die Monning oder Kloster Saarn“, schreiben die RN. Wo die Autos der Hotelgäste parken sollen – bei Vollbelegung und mit Personal immerhin mehr als 200 Pkw –, ist nicht Gegenstand der Berichterstattungen.

Alle drei Mülheimer Tageszeitungen zweifeln in der damaligen Größer-Höher-Weiter-Euphorie nicht daran, dass das 400-Betten-Hotel eine Luftnummer sein könnte.

„Nachdem diese Pläne scheiterten, sollte das Hotel anstelle des Bismarckturms auf dem Kahlenberg stehen. Gott sei Dank ist aus beidem nichts geworden“, fügt Hans-Dieter Strunck hinzu.