Mülheim. Yoana Tuzharova erhält das Atelier-Stipendium der Stadt Mülheim für „Junge Kunst“. Sie wird im Schloß Styrum und draußen in der Stadt arbeiten.

Ihr Atelierraum im Schloß Styrum wirkt noch unbewohnt. Der Start ihres Stipendiums musste wegen des Corona-Lockdowns um ein paar Wochen verschoben werden. Jetzt aber soll es losgehen für Yoana Tuzharova. Die Künstlerin wird die Stadt erkunden, inspirierende Orte suchen, an denen sie spannende Projekte realisieren kann. Die 33-Jährige hat sich der Kunst im öffentlichen Raum verschrieben. Sie ist die dritte Stipendiatin für „Junge Kunst“ des Mülheimer Kunstmuseums.

Das Gewohnte anders betrachten

An Temperament und Lust aufs Entdecken fehlt es der Künstlerin nicht. Lebhaft erzählt sie, worum es ihr bei ihrem künstlerischen Wirken geht. „Ich setze mich konzeptionell mit dem Raum auseinander. Ich möchte Räume für die Menschen öffnen, neue Perspektiven schaffen, mit denen man das Gewohnte anders betrachtet“, sagt sie. Das Alltägliche, das ständige Wiederholen bestimmter Tätigkeiten, schränke die Sicht auf die Realität ein. „Wir verschließen unsere Augen vor Dingen, die eben auch da sind. Ich möchte das Unbemerkte sichtbar machen“, so Tuzharova.

Die gebürtige Bulgarin hat von 2005 bis 2009 an der Universität von Veliko Tyrnovo Bildende Kunst mit dem Schwerpunkt Wandmalerei studiert. 2013 nahm sie erneut ein Studium auf. An der Kunstakademie Münster beschäftigte sie sich in der Klasse der Professoren Mail und Dirk Löbbert mit Bildhauerei und Kunst im öffentlichen Raum und erwarb 2018 den Akademiebrief.

Interesse am Ruhrgebiet groß

Mit ihren Performances und künstlerischen Eingriffen im öffentlichen Raum hat sie laut Museumsleiterin Dr. Beate Reese die Mülheimer Jury überzeugt. „Ich wollte immer schon im Ruhrgebiet arbeiten. Es ist so groß, komplex und divers. Mehrere Stadträume fließen hier ineinander, das ist spannend. Mich interessiert die Frage nach den Grenzen und den Gemeinsamkeiten“, freut sich Yoana Tuzharova. Aber sie sagt auch: „Ich bin offen für neue Gedanken, die bei der Begegnung mit Künstlern und Bürgern in Mülheim entstehen.“


Die 33-Jährige ist eine vielseitige Künstlerin, die in Frage stellt, neue Realitäten zu kreieren versucht, gerne auch mal ein wenig provoziert. Ganz schlicht, aber umso eindrücklicher ist ihre Arbeit „Bitte nehmen Sie Platz“, die derzeit in Münster zu sehen ist. Nachgebaute Theatersitze hat sie dort mitten im Wald aufgestellt - als Möglichkeit, die Natur aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Plattenbaufassade für modernes Gebäude

Viel beachtet war auch ihre Arbeit „Warmlight“ an einem Haus in Münster. Die Treppenhausfassade eines modernen Hochhauses aus Beton gestaltete sie mittels großflächiger Fotografien und Lampen so um, dass sie wie die Fassade eines Plattenbaus in ihrer bulgarischen Heimatstadt Russe wirkten. „Gänzlich andere Architekturen wurden so gegenüber gestellt - und zwar so geschickt, dass man es erst auf den zweiten Blick erkennt“, sagt Beate Reese. Die Gegensätze von Bauweise und -material spielen natürlich auch an auf soziale und politische Gegensätze.

Das Verfremden von Alltagsgegenständen ist eine weitere Arbeitsweise der jungen Künstlerin. So hat sie beispielsweise die Skulptur „Volksfachwerkwagen“ geschaffen - aus Fachwerkmaterialien einen VW Golf nachgebaut. Er war unter dem Titel „Früher war alles besser“ im Freilichtmuseum in Münster ausgestellt. „Es geht mir bei dieser Skulptur um Begriffe wie Heimat, Identität, Mobilität“, so Tuzharova.

Piazza wird zu einem Spielbrett

Schließlich realisiert die Stipendiatin auch immer mal wieder Performances. So hat sie etwa die Piazza in Montepulciano (Italien) als eine Art Spielbrett aufgefasst und eine Choreographie entwickelt, bei der Personen sich nach vorgegebenem Muster bewegen und es zu spannenden Begegnungen kommt.

Auch sich selbst machte sie schon zur Protagonistin einer Performance. Bei einer Jahresausstellung der Kunstakademie Münster trat sie als wandelndes Bild, als „Nomade“, auf. „Die Art und Weise, wie junge Talente für den Kunstmarkt ausgewählt werden, hat mich gestört - und dass die Kriterien dafür nicht thematisiert werden. Ich wollte das kritisch beleuchten“, sagt Yoana Tuzharova.

Man darf gespannt sein, was ihr in Mülheim alles auffällt. Im Museum Temporär wird es in ein paar Monaten eine Ausstellung ihrer aktuellen Werke geben.