Mülheim. Mülheimer Verdi-Mitglieder signalisieren große Streikbereitschaft. Die Warnstreiks beginnen am Dienstag. Die Stadt hat kaum Geld für höhere Löhne.

„Jetzt sind wir dran!“ Die Stimmung unter den Mitarbeitern sowie Angestellten im öffentlichen Dienst ist gereizt. Die Signale stehen auf Streik. „Die Arbeitgeber haben nach der zweiten Verhandlungsrunde nicht einmal ein Angebot gemacht. Erst waren die Kolleginnen und Kollegen unersetzbar, weil systemrelevant. Jetzt sollen sie mit einer Nullrunde hingehalten werden“, schimpft Bernt Kamin-Seggewies (stellvertretender Verdi-Geschäftsführer Ruhr-West). „Auch in der Coronazeit lassen wir uns nicht unterkriegen und werden in den kommenden Wochen zeigen, wofür wir kämpfen: Für bessere Arbeitsbedingungen, mehr Anerkennung unserer Dienstleistungen und eine bessere Bezahlung.“ Die Stadt hat dafür kaum Geld.

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Ab Dienstag, 22. September, wird es daher in zahlreichen Branchen Warnstreiks geben, „auf die sich die Bevölkerung einstellen muss“, erläutert Bernt Kamin-Seggewies. Die Gewerkschafter sind sich darüber im Klaren, dass es vor allem bei der Kinderbetreuung wieder Eltern trifft. „Die Ausbildung der Kinder ist gerade wieder angelaufen. Aber die Mitarbeiterinnen in den Kitas haben mehr verdient als nur eine Anerkennung. Wir werden die Eltern rechtzeitig informieren.“

Hohe Belastungen in der Altenpflege

Noch größer sind die Belastungen in der Altenpflege: Auf mehr als 300 Bewohnerinnen in drei städtischen Pflegeheimen kommen etwa 420 Pflegekräfte. Das sind überwiegend Frauen, oft alleinerziehende Mütter“, beschreibt Daniela Grütz (Mülheimer Seniorendienste).

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„In der Corona-Pandemie ist die Arbeit mit Atemschutzmaske schwerer geworden. Die Personalsituation ist sehr angespannt, weil wir kaum Nachwuchs haben“, ergänzt Michaela Winterscheid. Fallen Kolleginnen aus, müssen wir für sie mitarbeiten.“ Das belaste nicht nur den Rücken. Für nervliche Zusatzbelastungen sorgten oft Besucher, die sich nicht an die geltenden Regeln halten wollten.

Bei der Ruhrbahn hat sich Druck aufgestaut

Streikbereit sind ebenfalls Bus- und Straßenbahnfahrer der Ruhrbahn. „Immer kürzere Pausenzeiten, zusätzliche Belastungen in der Coronazeit, da nutzen modernste Fahrzeuge und Technik kaum, um Stress im fast täglichen Stau abzubauen“, beschreibt Christian Boden (Vertrauensmann bei der Ruhrbahn)

Wie bei den Pflegeberufen sei es auch für den Nahverkehrsbetrieb schwer, neue Fahrerinnen und Fahrer für den Beruf zu begeistern. „Wenn wir jetzt nicht für mehr Entlastung und mehr Lohn kämpfen, ist der Bus abgefahren und der Betrieb wird weiter an uns sparen“, schildert Boden die Stimmung im Betrieb. „Da ist eine Menge Druck drauf.“ Beim angesagten Warnstreik würden nur wenige fahren – wenn überhaupt.

Der Applaus für den Dauereinsatz ist verstummt

Vielschichtige Aufgaben haben die Kolleginnen und Kollegen der Stadtverwaltung zu erledigen. „Wir und andere Bereiche des öffentlichen Dienstes halten den Laden am Laufen. Aber selbst der Applaus für den Dauereinsatz während der Pandemie ist verstummt“, kritisiert Dirk Neubner (Personalratsvorsitzender der Stadt Mülheim) die fehlende Wertschätzung bei Kunden und Arbeitgebern.

Am 22./23. Oktober sei die dritte Verhandlungsrunde angesetzt, „in der es bisher stets ein Ergebnis gab“. In der aktuellen Tarifrunde sei das nicht in Sicht. „Also werden die Streiks wohl auch länger dauern“, blickt Neubner nach vorn. „Die Kolleginnen und Kollegen arbeiteten bis an ihre Belastungsgrenzen. Dafür soll es keine finanzielle Anerkennung geben? Die Jobs in der Verwaltung müssen besser bezahlt werden, damit wir nicht alle in die Privatwirtschaft abwandern.“

Längere Demonstrationszüge mit Abstandsregel

Als höchstverschuldete Kommune des Landes könne Mülheim keine Luft mehr holen, sagt dazu Kämmerer Frank Mendack. „Jedes zusätzliche Prozent an Lohnerhöhung kostet sich Stadt 1,7 Millionen Euro mehr. Das müssen wir auch wieder einnehmen. Später kämen noch die Erhöhungen für die Beamtengehälter hinzu. Gleichzeitig sieht Mendack, dass bei den kleineren Einkommen etwas passieren sollte.

„Auch mit Mund- und Nasenschutz wird die Streikbereitschaft nicht sinken. Dafür werden die Demonstrationszüge wegen der Abstandsregeln länger“, betont Bernt Kamin-Seggewies, der bei Verdi für die Städte Mülheim, Essen und Oberhausen spricht. „Die Bereitschaft zu streiken, ist bei den Mitarbeitern gerade jetzt besonders groß. Wir spüren dazu die Unterstützung aus der Bevölkerung.“ Es werde viele kleine Streiks geben, die das öffentliche Leben lähmen und lahmlegen sollen.