Mülheim. Im Kampf gegen neue Gewerbeflächen in Mülheim hat sich nun eine Bürgerinitiative in Selbeck formiert. Die Grünen wollen ein Votum vor der Wahl.
Die Grünen wollen im Streit um die Ausweisung neuer Gewerbeflächen noch vor der Kommunalwahl im September eine Entscheidung des Stadtrates zu einem Wirtschaftsflächenkonzept. Dabei fordern die Grünen, auf fünf große Freilandflächen zu verzichten. Derweil hat sich in Selbeck eine weitere Bürgerinitiative gegründet.
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Gerade ist erst das Prüfschema für neue wie brachliegende oder unternutzte Gewerbeflächen in die politische Debatte eingebracht (und eine erste Bewertung der Verwaltung durchgesickert), gehen die Grünen mit einem Antrag für den Wirtschaftsausschuss am 31. August und die Ratssitzung am 3. September in die Vollen.
Grüne wollen keine 20 Hektar Entwicklungsfläche mehr geprüft sehen
Die Grünen wollen die Areale am Fulerumer Feld (20/24 Hektar), im Winkhauser Tal (46 Hektar), am Auberg (zehn Hektar), „Flughafen-Süd“ (38 Hektar) und im Südosten Selbecks (70 Hektar) aus der weiteren Prüfung gestrichen sehen. „Es handelt sich dabei ausschließlich um Flächen, die in Natur- und Landschaftsschutzgebieten liegen und eine hohe Bedeutung für Klima und Umwelt haben“, so Fraktionssprecher Tim Giesbert. Von den Flächen, die Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink im Herbst 2019 ins Spiel gebracht hatte, würde nicht mehr viel übrig bleiben: 3,7 Hektar an der Oberheidstraße in Dümpten, zwei Hektar an der Blücherstraße in Heißen und 14 Hektar im Norden des Flughafens.
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Der Grünen-Antrag dürfte allerdings nach jetziger Sicht zumindest in Gänze kaum eine Ratsmehrheit hinter sich versammeln. Zwar haben auch SPD und CDU sich gegen Gewerbe auf einzelnen dieser Flächen ausgesprochen, doch die Ablehnung aller fünf Flächen scheint ausgeschlossen. SPD-Parteichef Rodion Bakum etwa hatte sich ausdrücklich für die Option einer gewerblichen Entwicklung am Flughafen (Nord und Süd) und in Selbeck ausgesprochen.
Selbecker Initiative: „98 Fußballfelder unwiederbringlich zerstörte Natur“
So ist der Grünen-Antrag wohl eher ein Fingerzeig auf den Wahlkampf. Eine Entscheidung noch vor der Wahl ist laut Giesbert anzustreben, weil „die Leute wissen sollen, wen und was sie wählen. Es wird sich zeigen, für welche Parteien die kürzlich erfolgte Ausrufung der Klimanotlage nur bedrucktes Papier ist und welche sie zur Richtschnur ihres Handelns machen.“
Vermeulen sagt zu: Auch Tengelmann-Fläche wird geprüft
Zusätzlich zu den Potenzialflächen aus Dönnebrinks Wirtschaftsflächenkonzept sollen bestehende Gewerbegebiete mit unternutzten Flächen einer Prüfung unterzogen werden. Fünf davon hatte die Verwaltung schon benannt: 8,9 Hektar am Bauerfeld in Styrum, 7,8 Hektar Aurelis-Fläche an der Dümptener Straße, 3,3 Hektar Fläche von Aldi Süd an der Burgstraße, 3,1 Hektar ehemalige Jost-Fläche an der Weseler Straße sowie 4,8 Hektar an Kölner Straße/Erzweg.
Die ehemalige Tengelmann-Fläche in Speldorf war zunächst nicht dabei. Sie werde aber auf jeden Fall noch in die „lange Liste“ zu prüfender Flächen aufgenommen, sagte auf eine zweite Nachfrage dieser Redaktion nun Planungsdezernent Peter Vermeulen. Seine Liste will Vermeulen dem Wirtschaftsausschuss am 31. August vorlegen. An diesem Tag soll nach Sicht der Verwaltung zunächst nur das Bewertungsschema für eine Flächenprüfung beschlossen werden.
Derweil hat sich auch in Selbeck eine Bürgerinitiative (BI) gegründet im Kampf gegen ein ins Spiel gebrachtes Gewerbegebiet. Dieses soll grob begrenzt sein von der Straße Heidendoren im Nordosten, von der A52 im Osten und Süden sowie vom Hantenweg und der Stooter Straße im Westen. „98 Fußballfelder unwiederbringlich zerstörte Natur“, wären das, verkündete am Donnerstag die neu gebildete „Bürgerinitiative Natürlich Selbeck“, vertreten durch ihren kommissarischen Leiter Herbert Laschke und weiteren Mitstreitern.
Bürger haben bereits eine renommierte Anwaltskanzlei eingeschaltet
Die BI will für den Erhalt der 70 Hektar Natur und Landschaftsschutzgebiet kämpfen und hat bereits eine Anwaltskanzlei mit der Vertretung ihrer Interessen beauftragt, die auch für die Deutsche Umwelthilfe bei deren Engagement für die Dieselfahrverbote tätig geworden ist.
Aus Sicht der Bürger handelt es sich um ein wertvolles Naherholungsgebiet, das hier geopfert werde. „Die Selbeck-Saarner-Hochflächen bieten Lebensraum und Rückzugsgebiete für zahlreiche geschützte Tier-, Insekten- und Pflanzenarten. All das würde durch das Gewerbegebiet unwiederbringlich zerstört“, erklärte Anwohner Detlef Schrey. Weil dieser Teil Mülheims ohnehin von Verkehrsadern dominiert werde, sei eine Gewerbebebauung nicht nur „ein vernichtendes Urteil für die ansässige vielfältige Flora und Fauna“, sondern beeinträchtige auch den Luftaustausch gravierend, hieß es.
Selbecker haben Online-Petition gestartet
BI-Sprecher Laschke fordert die Stadt auf, zunächst einmal die zahlreich vorhandenen Gewerbebrachen im Stadtgebiet nutzbar zu machen. „Es ist unfassbar, wie die Stadt versucht, sich hier auf Kosten der Natur zu sanieren“, zitiert die BI die 86-jährige Rentnerin und gebürtige Selbeckerin Ingeborg Reul. „Früher wären solche Pläne vielleicht noch entschuldbar gewesen, weil die Folgen für die Umwelt noch weitgehend unbekannt waren. Heute gilt diese Entschuldigung nicht mehr. Die Verantwortlichen begehen Raubbau an den Ressourcen künftiger Generationen.“
Die Initiative hat unter Change.org („Kein Gewerbegebiet auf den Saarn-Selbecker Hochflächen“) eine Online-Petition gestartet. Zusätzlich ist eine Homepage geschaltet: kein-gewerbegebiet-in-selbeck.de.