Mülheim. Der Verein Hühnerrettung NRW hat in Mülheim 120 Hühner vermittelt. Auf sie wartet in verschiedenen Familien ein Neuanfang. Was ihre Retter bewegt.

„Pooaaack! Pock-Pock-Pock.“ Es dauert keine fünf Minuten, bis sich die weißgefiederten Neuankömmlinge aus dem Stall auf den Gartenrasen trauen. Und tun, was Hühner so tun: gackern und picken. Für Thora Fiebig ist das, was sich auf ihrem Heimaterden-Grün neugierig tummelt, jedoch ein kleines Wunder: „Diese Legehennen haben heute zum ersten Mal in ihrem Leben blauen Himmel gesehen und Rasen gespürt.“ Hühner im Glück. Und Menschen.

Vor Fiebigs Haus an der Kleiststraße 100 ist das Gackern groß – und auch die Freude bei den Menschen: 120 ehemalige Legehennen warten am Samstagmorgen auf gut 30 Familien, die aus Mülheim, aber auch aus Dinslaken und sogar Ennepetal kommen. So wie Mutter Jutta Rudolph und ihre Tochter Lea, die schon acht gerettete Hennen im Dinslakener Garten beherbergen. Eine haben sie übrigens nach ihrer Großmutter benannt – Marianne.

„Wir wollen, dass die Hühner ab jetzt ein gutes Leben haben.“

Warum diese Hühner? Um die Eier geht es den allermeisten Hühnerfreunden hier nicht. „Wir haben Bilder gesehen, wie Legehennen in Ställen gehalten werden. Uns war vorher nicht bewusst, was sie für ein Leben haben – mit welchem Recht nehmen wir uns das heraus? Wir wollen, dass die Hühner ab jetzt ein gutes Leben haben“, antworten Mutter und Tochter.

Spenden decken die Kosten

Der Verein Hühnerrettung NRW ist vor gut einem halben Jahr zuerst in Mönchengladbach, später in Marl, Köln und Mülheim ins Leben gerufen worden.

Seine Mitglieder arbeiten ehrenamtlich und sind zum Teil seit Jahren im Tierschutz aktiv. Spenden werden gern entgegengenommen.

Die Spenden decken die Kosten der Tierrettung und des Gesundheitschecks, den jedes gerettete Tier von einem Tierarzt erhält. Mehr Info: https://huehnerrettung.de

Denn diese Hennen hat der Verein Hühnerrettung NRW aus einem Betrieb im Ruhrgebiet gerettet – mit Zustimmung des Landwirts. Seinen Namen und den Ort will der Hühnerbauer dennoch nicht nennen. Es handelt sich um so genannte Lohmann-Hühner in braun und weiß, die vom gleichnamigen Konzern etwa auf das Eierlegen hin gezüchtet und weltweit an Hühnerbauern verkauft werden.

Hennen sind auf das Eierlegen im Akkord gezüchtet

Diese Legehybriden sind aufs Eierlegen im Akkord gedrillt, haben eine vorgesehene Lebenserwartung von normalerweise anderthalb Jahren und leben größtenteils unter den Bedingungen einer Kleingruppenhaltung in riesigen Hallen ohne Sonnenlicht und Freilauf. In der Regel sind die Hühner am Ende entkräftet und zerrupft, wenn sie der Schlachtung übergeben werden.

Nina Horstkamp und Karin Neumann von der Hühnerrettung NRW verteilen die 120 Hühner aus Bodenhaltung in Mülheim an Tierfreunde.
Nina Horstkamp und Karin Neumann von der Hühnerrettung NRW verteilen die 120 Hühner aus Bodenhaltung in Mülheim an Tierfreunde. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Auch interessant

„Diese Hühner sehen noch vergleichsweise gut aus“, schildert Nadine Soboll von Hühnerrettung NRW allerdings auch andere Szenen. „Oft riechen sie nach Ammoniak, und wissen erst gar nicht, wie sie mit der Freiheit umgehen sollen, weil sie nichts kennen: kein Gras, keine Würmer, kein Sonnenlicht.“ Manche sterben auch kurz nach ihrer Rettung.

Ein schönes restliches Leben wollen ihnen die Hühnerretter geben. So wie die Familie von René und Patrizia Schaible, die schon zwei Hühner haben. Und zwei hühnerbegeisterte Kinder: „Sie machen lustige Sachen und werden unheimlich zutraulich, man kann mit ihnen toll kuscheln“, verraten Tochter Charlotte (9) und Sohn Anton – stolze 5½. Namen haben die Neuen auch schon: Traudel und Hilde.

Hühner für ein tierisches Leben im Gemeinschaftsgarten

Anderswo sollen Hühner Leben in den Gemeinschaftsgarten bringen. Daniel Kentrup und Jonas Milker haben sie für die Anlage „Buntes Grün“ am Mehrgenerationenhaus in Essen-Frohnhausen geplant. „Die Kinder und älteren Menschen freuen sich schon“, sehen die beiden Essener auch keine Probleme bei der Haltung – „die ist eigentlich unkompliziert“.

Thora Fiebig freut sich über ihre zwei neuen, geretteten Hühner.
Thora Fiebig freut sich über ihre zwei neuen, geretteten Hühner. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Hähne braucht man nicht unbedingt, ergänzt Vereinssprecherin Nadine Soboll, aber sie können den neuen Hühnern zeigen, was sie fressen dürfen und was nicht. Die nicht nur sprichwörtliche Hackordnung unter den Hühnern stellt sich von selbst ein, sie sollten aber den Platz haben, sich aus dem Weg gehen zu können. „Hühner sind grundsätzlich sozial und werden schnell zahm“, sagt Soboll. Damit die Hühner gut leben können, stellt der Verein Vermittlungsbedingungen, die auch spontan kontrolliert werden.

Drei bis maximal 30 Hennen sollten gehalten werden. Das Freigehege sollte mindestens zehn Quadratmeter pro Tier haben und – so wie der Stall – vor Fressfeinden wie Fuchs und Greifvögeln geschützt sein. Zu empfehlen ist ein gemauerter Stall, denn dort kann sich die gefürchtete Rote Milbe nicht so gut einnisten wie im Holzstall. Selbstredend dürfen die Tiere nicht geschlachtet, gezüchtet und ihre Eier nicht gewerblich verkauft werden.

Hühner als Haustiere sind schlau und neugierig

Thora Fiebig und ihr Mann Andreas Lauterfeld beheimaten in ihrem Garten bereits elf Hühner, einen ziemlich vorlauten Hahn und fünf Enten. Heute kommen zwei dazu. „Legen bringt Segen“ und „Wer gackert, muss auch legen“ steht ironisch auf Holzschildern am Stall. Denn darauf kommt es ihnen nicht an. „Hühner werden als Haustiere oft verkannt. Sie sind sehr schlau und neugierig“, meint Thora Fiebig: „Wenn ich von der Arbeit gestresst nach Hause komme und dann die Hühner im Garten beobachte, komme ich ganz schnell wieder runter.“ Glückliche Hühner machen glückliche Menschen.