Mülheim. Noura Alhasan, ehemaliges Flüchtlingskind, hat an der Willy-Brandt-Schule jetzt das beste Abi (1,1) gemacht. Ihr Ziel: Medizin zu studieren.
Mit einem ohrenbetäubenden Hupkonzert zollten ihr Mitschüler, Lehrer und Eltern Respekt: Noura Alhasan wurde bei der Zeugnisverleihung der Willy-Brandt-Schule im Autokino lautstark gefeiert. Sie hat das beste Abitur der Styrumer Gesamtschule in 2020 gemacht - mit einem Notendurchschnitt von 1,1. Das ist eine ganz besondere Leistung. Denn: Die 22-Jährige kam erst vor fünf Jahren nach Deutschland - als Flüchtlingskind.
Heimatstadt in Syrien war weitgehend zerstört
In Syrien tobte der Krieg, als Noura, ihre Eltern und ihre fünf Geschwister 2015 die Flucht ergriffen. Ihre Heimatstadt Homs war weitgehend zerstört, über den Libanon gelangte die Familie in die Türkei. „Von dort aus sind mein Vater, meine große Schwester und ich dann nach Deutschland weitergefahren. Meine Mutter und meine drei anderen Geschwister sind zunächst in der Türkei geblieben“, erzählt die Abiturientin.
In Mecklenburg-Vorpommern, wo die Alhasans strandeten, wurden sie erstmal ausgebremst. „Es gab dort wenige Flüchtlinge und deshalb auch keine Deutschkurse“, erinnert sich Noura. Über einen Bekannten kamen Vater und Töchter nach etwa neun Monaten nach Mülheim. Dort fühlten sie sich schnell wohl, konnten wieder an eine Zukunft denken. Noura besuchte zunächst das Berufskolleg Lehnerstraße - und lernte endlich und mit viel Eifer Deutsch.
Schnelle Auffassungsgabe und große Lernbereitschaft
Die schnelle Auffassungsgabe und große Lernbereitschaft der Syrerin fielen einer pensionierten Lehrerin auf, sie drängte auf einen Schulwechsel, um der Jugendlichen das Abitur zu ermöglichen. Weil keine Zeugnisse aus Syrien vorlagen, war das nicht einfach. „Wir haben Noura dann bei uns aufgenommen - und wie sich gezeigt hat, war das richtig“, berichtet Oberstufenleiter Peter Klatte an der Willy-Brandt-Schule. Ihren anfänglichen Notendurchschnitt von 2,7 schraubte sie schnell hoch. „Meinen Lehrern und Mitschülern danke ich sehr, sie haben mich so gut unterstützt, dass ich auch an mich geglaubt habe“, sagt Noura.
Hart sei die gymnasiale Oberstufe aber schon gewesen. „Ich musste viel lernen und nebenbei ja immer noch mein Deutsch verbessern“, erzählt die Winkhausenerin. Besonders schwer fielen ihr die Fächer Philosophie und Deutsch. Das allergrößte Problem: „Gedichtanalysen!“. Als Leistungskurse wählte sie Mathe und Chemie (Abiklausuren: beide 1), drittes und viertes Fach wurden Sozialwissenschaften und Spanisch - eine weitere neue Fremdsprache. Noura sammelte zwei Jahre lang fleißig Punkte. „Für die Abi-Prüfungen habe ich eigentlich dann nur drei Wochen lang gelernt“, sagt sie.
„Ich wollte schon immer Ärztin werden“
Ihrem großen Ziel ist die 22-Jährige jetzt ganz nah gekommen. „Ich wollte schon immer Ärztin werden“, erklärt sie. Während ihre Mutter, eine Mathelehrerin, und ihr Vater, ein Rechtsanwalt, ihren Beruf in Deutschland nicht ausüben können, wird Noura nun wohl Medizin studieren können. Ihre Wunsch-Unis: Bochum, Essen, Düsseldorf. „Ende Mai wollte ich eigentlich ein Praktikum im Krankenhaus machen, das habe ich wegen Corona aber nicht angetreten“, sagt sie. Einen Plan B oder C, den sie wohl nicht brauchen wird, hätte sie übrigens auch: Informatik oder Chemie studieren.
Eine richtige Jugend habe sie in Syrien eigentlich nicht gehabt. „Der Krieg hat angefangen, als ich elf war. Wir mussten immer mit vielen Ängsten und Einschränkungen leben. Es war gefährlich, rauszugehen. Ein normales Leben habe ich erst hier in Deutschland wieder gefunden“, sagt die angehende Studentin. Neben der Schule konnte sie auch ihren Hobbys nachgehen: tanzen und lesen - „Sachbücher über Politik, Kultur, Religion. Romane sind mir zu dramatisch!“
Menschen in Kriegsgebieten medizinisch helfen
In ein paar Jahren würde Noura Alhasan gerne bei „Ärzte ohne Grenzen“ arbeiten. „Ich möchte den Menschen in Kriegs- und Krisengebieten medizinisch helfen - ich würde dafür sogar auch nach Syrien gehen“, sagt sie. Eins wäre ihr dabei allerdings ganz wichtig: „Ich möchte dann wissen, dass meine Familie in Deutschland in Sicherheit ist.“