Mülheim. Der neue Kinderschutz-Bericht für Mülheim zeigt, wie wichtig Meldungen von Schulen oder anderen Stellen sind. Corona sorgte für trügerische Ruhe.
Immer mehr Kinder in der Stadt müssen häusliche Gewalt miterleben, sind von Misshandlung oder Vernachlässigung betroffen. Immer häufiger fallen Eltern negativ auf. So lässt sich der neue Bericht zum Kinderschutz in Mülheim zusammenfassen – er bezieht sich auf 2019. Schon seit Jahren geht es in diese Richtung, allerdings nicht nur in Mülheim. „Der Anstieg liegt im Bundestrend“, sagt Martina Wilinski, Leiterin des Kommunalen Sozialen Dienstes (KSD).
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Warum immer mehr Kinder mies behandelt werden, lässt sich demografisch nicht erklären. Und wie sich letztendlich die Corona-Krise auswirkt, die Kinder und Jugendliche monatelang in häusliche Umgebung zwang, können die Fachleute noch nicht verlässlich beurteilen. „Wir hatten damit gerechnet, dass es mehr Meldungen aufgrund von Gewalt gibt“, so Wilinski. „Dies hat sich aber nicht bestätigt.“
Mülheimer Kinder gefährdet: In 246 Fällen hat sich 2019 der Verdacht bestätigt
Laut Bericht für 2019, der jetzt im Sozialausschuss vorgestellt wurde, haben den KSD im Vorjahr insgesamt 790 Meldungen erreicht. Das heißt: 790 Mal hat jemand den Verdacht geäußert, dass ein Kind gefährdet ist, 722 Mal geschah dies im Jahr 2018 - hier gehen die Zahlen seit einiger Zeit stetig nach oben.
In 246 Fällen hat sich der Verdacht nach Prüfung durch den KSD bestätigt. Das Team in der Behörde kam zu dem Schluss: Hier muss sofort etwas geschehen. 76 dieser Mädchen und Jungen waren mutmaßlich misshandelt worden, zumindest fanden die Helfer Anzeichen dafür.
Vielfach kommen Hinweise von den Schulen
Dass dem KSD weitaus häufiger als früher Verdachtsfälle gemeldet werden, hat mit einer Änderung des Bundeskinderschutzgesetzes in 2012 zu tun und ist absolut erwünscht. Im vergangenen Jahr kamen insgesamt 543 Meldungen durch Institutionen in Mülheim (in 2018 waren es 450), allen voran durch die Polizei. Aber auch Schulen haben in vielen Fällen ihre Besorgnis geäußert, gelegentlich gab es Hinweise aus Kindertagesstätten. Bekannte oder Nachbarn haben ebenso offene Ohren und Augen wie die Beschäftigten ärztlicher oder sozialer Dienste, Kinderärzte, Jugendheim-Mitarbeiter, Therapeuten ...
Nun sind die Kinder aus bekannten Gründen seit Mitte März weitgehend der Schule fern geblieben, die allermeisten wurden auch in den Kitas nicht gesehen, Jugendzentren mussten schließen. Zugleich sind die Meldungen möglicher Kindeswohlgefährdungen beim KSD im Zuge der Corona-Krise massiv zurückgegangen.
Nach Lockerung der Corona-Auflagen deutlich mehr Meldungen
Zwischen 16. März und 12. Mai wurden insgesamt nur 54 Hinweise registriert. Normalerweise sind es rund 60 in jedem einzelnen Monat. Zehn Kinder wurden in Obhut genommen, sonst sind es im Durchschnitt doppelt so viele. „Es war sehr ruhig“, berichtet Martina Wilinski. „Seit aber das öffentliche Leben wieder hochgefahren wurde, kommen deutlich mehr Anrufe, auch von Institutionen.“
Häufig häusliche Gewalt
Wenn dem KSD Verdachtsfälle auf Kindeswohlgefährdung gemeldet werden, geht es häufig um häusliche Gewalt. Diese richtet sich nicht unbedingt direkt gegen die Kinder, aber sie müssen sie miterleben.
Im Vorjahr (2019) stand dieser Vorwurf bei 262 von insgesamt 790 überprüften Fällen im Raum, das entspricht einem Drittel.
Etwa 1500 Mülheimer Familien werden durch den KSD betreut. „Um sie haben wir uns am Anfang große Sorgen gemacht“, sagt die KSD-Leiterin. „Gerade um Familien, die generell sehr isoliert leben.“ Wo ein erhöhtes Risiko vermutet wird, gab und gibt es auch in Corona-Zeiten durchgehend Hausbesuche. Zudem wird telefonisch häufiger nachgehakt.
Kinder kehren nach Inobhutnahme meist nicht mehr nach Hause zurück
In besonders massiven Fällen nimmt man Kinder sofort aus der Familie. Im vergangenen Jahr hat der KSD diese Maßnahme 88 Mal ergriffen. Diese Kinder waren akut gefährdet. Daneben gab es auch 26 Kinder oder Jugendliche, die von sich aus nicht mehr nach Hause wollten, sogenannte „Selbstmelder“. Erfahrungsgemäß kehrt nach einer Inobhutnahme weit weniger als die Hälfte der betroffenen Mädchen und Jungen zu ihren Eltern zurück. 45 von 114 waren es im Vorjahr. Der größte Teil lebt jetzt in einer Einrichtung.