Mülheim. Elf Städte wollen bei der Hilfe für Kinder und Jugendliche voneinander lernen und möglichst auch Kosten sparen. Was bedeutet das für Mülheim?

Wenn Eltern mit der Erziehung überfordert sind, ist jede Kommune verpflichtet, Hilfe zu leisten. Um die verfügbaren Mittel möglichst effizient einzusetzen, gibt es seit nunmehr 17 Jahren einen NRW-weiten Vergleich ausgewählter Städte. Der jüngste Bericht wurde kürzlich veröffentlicht - Mülheim ist dabei.

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Ein Team der Hamburger Consulting-Firma con_sens trägt die Daten elf mittelgroßer Großstädte im Land zusammen und wertet sie aus. Seit einigen Jahren werden die Ergebnisse in den politischen Gremien Mülheims präsentiert und diskutiert, namentlich in den Ausschüssen für Jugendhilfe sowie für Arbeit, Gesundheit und Soziales (AGS).

„Fall Kevin“ rückte Kinderschutz in den Blickpunkt

Erkennbar sind einige Entwicklungen, die alle Städte betreffen. So hat es ab 2006, nach dem Fall „Kevin“, eine höhere Aufmerksamkeit für den Kinderschutz gegeben. Fallzahlen und Ausgaben für Hilfen zur Erziehung sind deutlich gestiegen. 2015/2016 hat die Zuwanderung unbegleiteter Minderjähriger erheblichen Aufwand erfordert. Generell sei die Bevölkerung sensibler geworden für Kindeswohlgefährdungen, heißt es im neuesten Bericht. Entsprechend häufiger werden Fälle den Ämtern gemeldet.

Schwierige soziale Rahmenbedingungen in Mülheim

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Die Studie trägt den Titel „Benchmarking Hilfen zur Erziehung in NRW“, ist also eine vergleichende Analyse, mit Zahlen für 2018. Direkt vergleichbar sind die elf Städte nicht. Daher berücksichtigen die Forscher auch die soziostrukturellen Rahmenbedingen, unter denen die Jugendämter arbeiten. Mülheim ist danach vergleichsweise stark belastet, weil hier besonders viele Kinder und Jugendliche von Sozialleistungen leben. Auf der anderen Seite gibt es hier eine geringe Jugendarbeitslosigkeit und wenige Schulabgänger ohne Abschluss.

Seit Jahren deutlich steigend und mittlerweile überdurchschnittlich hoch ist in Mülheim der Anteil derjenigen, die ambulante Hilfen zur Erziehung erhalten: 3,7 Prozent aller Einwohner unter 21 Jahren, der Mittelwert in den elf Städten liegt bei 3,4 Prozent. Bei den stationären Hilfen sieht es anders aus: Hier liegt Mülheim mit 2,4 Prozent leicht unter dem Schnitt (2,5 Prozent). Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die etwa in Heimen oder Wohngruppen leben, ist zuletzt deutlich gesunken.

Lob für die „Präventionskultur“ hier in der Stadt

Im con_sens-Bericht wird die „gute Versorgungslage“ durch ambulante Erziehungshilfen in Mülheim hervorgehoben. Sie würden „offensiv“ eingesetzt, um zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche aus den Familien genommen werden müssen. Auch Marc Buchholz, als Mülheimer Sozialdezernent erst seit Anfang 2019 im Amt, lobte in einer Ausschusssitzung die „Präventionskultur“ hier in der Stadt: „Da haben mein Vorgänger und die Verwaltung Großes geleistet“, sagte er.

Vergleichende Zahlen gibt es auch zu den Ausgaben der einzelnen Städte für Hilfen zur Erziehung. Bei den Nettoausgaben pro Einwohner unter 21 Jahren lag Mülheim 2018 erstmals deutlich über dem Durchschnitt: 1093 Euro gegenüber 1014 Euro. Da immer weniger Kinder und Jugendliche in der deutlich teureren stationären Betreuung sind, erwarten die Berater, dass diese Zahlen im kommenden Jahr zurückgehen.

Netto-Ausgaben pro Hilfeempfänger sind unterdurchschnittlich hoch

Bemerkenswert auch: Bei der Nettosumme, die die Stadt pro Jahr für jeden einzelnen Hilfeempfänger ausgibt, liegt Mülheim klar unter dem Mittelwert: rund 17.800 Euro gegenüber 18.600 Euro.

Vergleich und fachlicher Austausch seit 2003

Hilfen zur Erziehung gewähren die Kommunen, wenn die Ressourcen der Familie nicht ausreichen, um das Wohl des Kindes zu gewährleisten. Zuständige Stelle in Mülheim ist der Kommunale Soziale Dienst (KSD).

Die einzelnen Leistungen regelt das SGB VIII: Hier wird unterschieden nach ambulanten Hilfen (z.B. Erziehungsbeistand oder Tagesgruppen) und stationären Hilfen (z.B. Heimerziehung oder Inobhutnahmen).

Im Rahmen des „Benchmarking Hilfen zur Erziehung in NRW“ werden elf mittelgroße Großstädte betrachtet: Aachen, Bonn, Düren, Iserlohn, Krefeld, Lüdenscheid, Mönchengladbach, Mülheim an der Ruhr, Neuss, Oberhausen und Solingen.

Den Kennzahlenvergleich gibt es bereits seit 2003. Düren ist erst seit 2017 dabei. Die Städte stehen auch im fachlichen Austausch untereinander zu aktuellen Themen wie Personalmanagement oder Kooperation zwischen Jugendhilfe und Gesundheitswesen.

Erstellt werden die Berichte durch das Consulting-Institut con_sens mit Sitz in Hamburg.

Die Mitarbeiter, die in den Ämtern über Hilfen zur Erziehung entscheiden (Allgemeiner Sozialer Dienst, in Mülheim: Kommunaler Sozialer Dienst), haben große Verantwortung, heißt es im Bericht, „nicht nur fachlich, sondern auch fiskalisch“. Tatsächlich werden hier hohe Summen bewegt, durchschnittlich verteilt jeder ASD- bzw. KSD-Mitarbeiter pro Jahr fast 1,13 Millionen Euro. Mülheim liegt mehr als 100.000 Euro darunter.

Gefragt nach den konkreten Konsequenzen, die Mülheim aus der neuesten Vergleichsanalyse ziehen will, sagt Dezernent Marc Buchholz: „Es gibt Hinweise darauf, dass Qualifizierungsmaßnahmen für das Personal zu Kostensenkungen führen, beispielsweise bei Inobhutnahmen, weil die Mitarbeiter ihre Entscheidungen dann rechtssicher treffen können.“

Dezernent: Von anderen lernen, die effizient arbeiten

Der Bericht soll weiter jährlich der Politik vorgestellt und als „Best Practice“ diskutiert werden, „um von anderen zu lernen, die in der Jugendhilfe effizient arbeiten“, so Buchholz weiter. „Wenn das zu Kostensenkungen führt, ist das gut. Wenn es zu Qualitätssteigerung für die Kinder führt, ist das umso besser.“