Mülheim. Der gebremste Fahrplan für die Öffnung der Kitas bringt viele Mülheimer Familien in Schwierigkeiten. Nerven liegen blank, bei Eltern und Kindern.
Ein Anruf bei Daniela Heimann, Vorsitzende des Stadtelternrates, verläuft unter erheblichen Störgeräuschen - im Hintergrund kreischt die dreijährige Tochter, weil ihr Anliegen gerade kein Gehör findet. Doch die Mutter zieht das Telefonat durch, es ist ja wichtig. Die Elternvertreter machen mobil gegen den Öffnungs-Fahrplan für die Kitas, der am Freitag bekannt gegeben wurde.
NRW-Familienminister Joachim Stamp lässt bis Ende Mai nur zu, dass die Vorschulkinder und Kinder mit Handicap schrittweise zurückkehren. Der Großteil der Jungen und Mädchen wird seine Kita bis zu den Ferien kaum von innen sehen - vielleicht noch an zwei Tagen, so viele zumindest sind versprochen. Es folgen die Sommerferien und die Aussicht auf „eingeschränkten Regelbetrieb“ im September.
Viele Mülheimer Eltern zerreißen sich im Homeoffice
Der Stufenplan des Familienministeriums
Ab Donnerstag, 14. Mai, dürfen Vorschulkinder wieder in die Kitas, die Anspruch aus dem Bildungs- und Teilhabepaket haben. Ganz überwiegend sind dies Familien, die von Sozialleistungen leben. Auch Vorschulkinder mit einem besonderen oder sprachlichen Förderbedarf werden dann wieder betreut. Gleiches gilt für alle Kindergartenkinder mit einer Behinderung.
Zu Tagesmüttern oder -vätern dürfen alle Kinder zurück, die mindestens zwei Jahre alt sind.
Ab 28. Mai werden die Kitas für alle Vorschulkinder geöffnet. Für den Großteil der Kita-Kinder gibt es erst ab 10. Juni eine Chance, ihre Erzieher und Freunde zu treffen: Bis zum Beginn der Sommerferien werden sie an wenigstens zwei Tagen betreut.
Daniela Heimann empfindet das als „glatten Schlag ins Gesicht“ und glaubt, dass viele Mütter und Väter in Mülheim genauso denken, die sich seit acht Wochen im Homeoffice „zwischen Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit zerreißen“. Dabei spricht sie aus eigener Erfahrung: Ihre Tochter, die normalerweise eine städtische Kita besucht, ist seit zwei Monaten zu Hause. „Die Kinder sind aggressiv und traurig“, meint Heimann, ihr Nachwuchs heult und motzt derweil im Hintergrund.
Klage: Von der Politik im Stich gelassen
Schon Mitte April hatte der Stadtelternrat als Interessenvertretung der Kita-Eltern angemahnt, dass die Belastungsgrenze erreicht sei. Eine Forderung immerhin wurde inzwischen erfüllt: Die Möglichkeit der Notbetreuung ist ausgeweitet auf alle berufstätigen Alleinerziehenden. Der nun verkündete Stufenplan wird aber mit Enttäuschung und Ärger aufgenommen.
Zwar unterstützt die Elternvertretung die Entscheidung, vorrangig Vorschulkinder und Kinder mit Behinderung zurückzuholen. Die Regelung für alle restlichen Kinder „empfinden viele Eltern schlichtweg als Hohn“, meint Julia Othlinghaus-Wulhorst, stellvertretende Vorsitzende des Stadtelternrates. Mütter und Väter fühlten sich von der Politik im Stich gelassen und schließen aus den jüngsten Entscheidungen: „Das System Kita ist offenbar nicht systemrelevant.“ Auf kommunaler Ebene, mit dem Jugendamt und dem zuständigen Dezernenten, stehe man weiterhin im Kontakt, erklärt Daniela Heimann. „Das funktioniert. Aber die Stadt beruft sich auf die Beschlusslage des Landes.“
Derzeit rund 730 Kinder in der Notbetreuung
Und die ist für die kommunalen Behörden ebenfalls noch neu. „Wir recherchieren gerade, wie hoch der Betreuungsbedarf ab 14. Mai ist“, sagt Lydia Schallwig, Leiterin des Jugendamtes. Erst am Mittwoch werde man es wissen. Momentan haben rund 5600 Kinder einen Betreuungsplatz in Mülheim, davon 2600 in städtischen Einrichtungen. In der Notbetreuung, die die Kitas anbieten, befinden sich derzeit etwas mehr als 730 Mädchen und Jungen.
Als erste dürfen am 14. Mai ausgewählte Vorschulkinder hinzu kommen - aus Familien, die Sozialleistungen beziehen. „Wir müssen schauen, ob diese Eltern den Betreuungsanspruch überhaupt nutzen.“ Grundsätzlich hält Schallwig die Anzahl der Vorschulkinder, die ab Ende Mai wieder betreut werden können, für unproblematisch.
Zeitplan für das Spielen im Außengelände
Beate Staudinger, Leiterin der städtischen Kita „Fiedelbär“ am Hans-Böckler-Platz, klingt etwas skeptischer. „Wir müssen gucken, wie wir die Hygienestandards einhalten können“, sagt sie. Denn immer wenn neue Kinder hinzu kommen, sollen sie eine separate Gruppe bilden. Im eigenem Raum und möglichst mit eigenem Zugang zum Außengelände: „Vielleicht müssen wir einen Zeitplan machen“, überlegt Staudinger, „wer wann draußen spielen darf.“
Das Betretungsverbot für die Eltern soll weiter gelten, sagt auch die Leiterin des Jugendamtes. „Sie bleiben vor der Tür, wenn sie ihre Kinder bringen. Wir wollen so wenig Kontakt wie möglich.“ Die Erzieherinnen müssen bei der Arbeit mit den Kindern keinen Mundschutz tragen, wohl aber, wenn sie Elterngespräche führen.
Elterngespräche nur mit Mundschutz
Die Stadt Mülheim hat - im Rahmen ihrer Handlungsmöglichkeiten - den Eltern Unterstützung versprochen. Zum einen soll ihnen geholfen werden, die Sommerferien zu überbrücken, falls sie ihren Jahresurlaub aufgrund der Corona-Krise schon verbraucht haben. Zum anderen soll eine Lösung für die neuen Kita-Kinder gefunden werden, die theoretisch am 1. August starten. Bekommt man es hin, den Kleinen eine Eingewöhnungsphase zu ermöglichen?
Mit dem Land klären muss die Stadt Mülheim, wer die Finanzierungslücke füllt, wenn die Elternbeiträge erstattet, die Einrichtungen aber weiter voll finanziert werden. Nach jetzigem Stand werden diese Kosten jeweils zur Hälfte geteilt. „Der Mehraufwand, allein für die beiden Monate April und Mai, liegt für uns bei 700.000 Euro“, berichtet die Jugendamtsleiterin. Man hoffe, dass das Land hier voll einsteigt.