Mülheim. Die Corona-Krise schlägt in Mülheims Wirtschaft kräftig zu. Im März zeigten 1974 Mülheimer und Oberhausener Firmen Kurzarbeit an.

„Das Coronavirus hat auch die Mülheimer Wirtschaft mit voller Wucht getroffen und stellt unsere Stadt vor große Herausforderungen“, stellt der Geschäftsführer der Arbeitsagentur, Jürgen Koch, zum Monatsende fest. Seit Beginn der Corona-Krise im März haben 1974 Mülheimer und Oberhausener Betriebe bei der Agentur Kurzarbeit angezeigt.

Diese Zahl veröffentlichte die Agentur für Arbeit am Dienstag. Vergleiche zeigen, wie immens die Krisensymptome sind: Im Februar hatten nur zehn Firmen aus dem Agenturbezirk Kurzarbeit angezeigt, im Krisenjahr 2009 seien es insgesamt „nur“ 549 Betriebe gewesen, die wegen mangelnder Auslastung Kurzarbeit angezeigt hätten. Wie viele Beschäftigte hinter den fast 2000 Kurzarbeit-Anzeigen stehen, vermag die Agentur momentan nicht abzuschätzen. Kurzarbeitergeld wird erst im Nachgang von bis zu drei Monaten abgerechnet – nach dem tatsächlichen Umfang in den Betrieben.

Agentur-Chef Koch: Arbeitsmarkt wird schwierige Zeit erleben

In der Statistik ist die Krise noch nicht ablesbar

In der Arbeitsmarkt-Statistik lassen sich die Auswirkungen der Corona-Krise derzeit noch nicht ablesen. Für Ende März registriert die Arbeitsagentur gar einen leichten Rückgang der offiziellen Arbeitslosenzahlen in Mülheim. 6275 Menschen waren offiziell als Arbeitslose registriert, die Quote sank auf 7,2 Prozent.

Als „unterbeschäftigt“ gelten Ende März 8735 Mülheimer, 325 weniger als im März 2019. Die Unterbeschäftigungsquote liegt bei 9,9 Prozent. In der Zahl der Unterbeschäftigten sind auch Menschen enthalten, die zwar keinen regulären Job am ersten Arbeitsmarkt haben, offiziell aber nicht als arbeitslos gelten, etwa Teilnehmer von Weiterbildungsmaßnahmen oder Ein-Euro-Jobber.

Anzeigen seien bisher aus nahezu allen Branchen eingegangen, überwiegend aber aus den Bereichen Transport/Logistik, Hotel- und Gaststättengewerbe, Messebau und Tourismus. „Inwieweit es bisher gelungen ist, durch die erleichterten Zugänge zu Unterstützungsleistungen Existenzen zu sichern und Arbeitslosigkeit zu vermeiden, wird wohl erstmals mit den Arbeitsmarktzahlen für April deutlich, so Koch. Er rechnet mit „dramatisch ansteigenden“ Arbeitslosenzahlen schon im April. Es sei realistisch, dass viele Betriebe sich noch zum Quartalsende von Mitarbeitern trennen würden, auch wenn das Kurzarbeitergeld zurzeit „das erste Mittel der Wahl sein sollte“, um Beschäftigte für wirtschaftlich wieder bessere Zeiten zu halten.

Insgesamt sei wegen der enormen wirtschaftlichen Ausfälle für den Arbeitsmarkt eine schwierige Zeit vorherzusehen, spricht Agentur-Chef Koch gegenüber der Redaktion von „noch nie dagewesenen Zeiten“. Neben den Mülheimer Großunternehmen, die schon vor Corona in Schieflage gewesen seien, schlügen jetzt auch Unternehmen Alarm, die „eigentlich kerngesund“ waren.

Produzierendes Gewerbe: Einige Betriebe stehen still, andere laufen noch auf Hochtouren

Die Geschäftsführerin des Unternehmerverbandes, Kerstin Einert-Pieper, sieht Bedarf, den mittelständischen Unternehmen mehr Hilfen zur Liquiditätssicherung zukommen zu lassen.
Die Geschäftsführerin des Unternehmerverbandes, Kerstin Einert-Pieper, sieht Bedarf, den mittelständischen Unternehmen mehr Hilfen zur Liquiditätssicherung zukommen zu lassen. © Unternehmerverband

Der Unternehmerverband berät derzeit laut Geschäftsführerin Kerstin Einert-Pieper Unternehmen in allen möglichen Lagen. Im produzierenden Gewerbe hätten einige Unternehmen ihren Betrieb komplett auf Null runtergefahren. Andere wiederum hätten Probleme entweder, weil Vormaterialien nicht geliefert werden oder weil Abnehmer, etwa aus der Automobilbranche, im Moment keine Ware haben wollten. Es gebe aber immer noch auch Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Überstunden abverlangen müssten, um ihre Produkte termingerecht beim Kunden abliefern zu können.

Probleme mache insgesamt aber die Auftragsakquise, fasst Einert-Pieper Rückmeldungen aus Mülheimer Unternehmen zusammen. Schon seit Beginn der Corona-Krise seien jene sozialen Dienstleister hart getroffen, die etwa die Inklusionsbetreuung in Schulen und Kitas sicherstellen. Sie seien alle ohne Arbeit. Besser dran seien die Verwaltungseinheiten von Unternehmen, die ins Home Office geschickt werden konnten. Jetzt werde sich zeigen, wer in dieser Hinsicht gut aufgestellt ist, rechnet Einert-Pieper für die Zeit nach Corona aber schon jetzt damit, dass der Anteil von Home Office deutlich zunehmen wird.

Lob für den Rettungsschirm der Bundesregierung

Lob vernimmt Einert-Pieper aus der Unternehmerschaft für den Rettungsschirm, den der Bund innerhalb kürzester Zeit für notleidende Betriebe gespannt hat. „Die Bundesregierung macht da einen guten Job“, sagt die Geschäftsführerin des Unternehmerverbandes. Gleichzeitig mahnt sie Nachbesserungen für größere mittelständische Unternehmen an. Die ihnen lediglich gebotenen Kredite seien nicht ausreichend. Echte Liquiditätshilfen seien notwendig, „gerade in Branchen, wo es keine Nachholeffekte gibt“. Nicht alle Unternehmen würden die Krise überstehen, ist sich Einert-Pieper sicher. Schwer hätten es insbesondere kleinere und frisch gegründete Betriebe, auch Dienstleister.

Der Unternehmerverband steht seinen Mitgliedsbetrieben beratend zur Seite. Die Agentur will für Unternehmen und Bürger als Ansprechpartner parat stehen, um finanzielle Unterstützung zu bieten und Arbeitsplätze vor Ort zu sichern. Um Antragstellung und Antragsbearbeitung dabei so zügig wie möglich abzuwickeln, stocke die Agentur ihr Personal in den entsprechenden Teams fortlaufend auf, sagt Geschäftsführer Koch. Schon jetzt seien vier von fünf Mitarbeitern in den Bereichen Kurzarbeitergeld und Arbeitslosmeldung eingesetzt. Auch die telefonischen Beratungskapazitäten seien „massiv ausgebaut“ worden.