Mülheim. Die Mülheimer Senioreneinrichtungen schotten sich in der Corona-Krise zum Schutz ihrer Bewohner ab. Wie kommen die Menschen damit zurecht?
Senioreneinrichtungen schotten sich in der Corona-Krise zum Schutz ihrer Bewohner ab. Das Besuchsverbot in Pflegeheimen bedeutet, dass es keinen persönlichen Kontakt mehr zwischen den Angehörigen gibt. Wie kommen die Menschen damit zurecht? Wie läuft das im Alltag ab?
Birgit Berlik, Pflegedienstleiterin im Evangelischen Wohnstift Raadt an der Parsevalstraße hat für das Verbot viel Verständnis bei den Angehörigen gefunden: "Wir haben den Familien erklärt, dass sie nicht hinein dürfen, weil wir unsere Bewohner vor einer Ansteckung schützen müssen." Die Türen im Wohnstift sind nun fest verschlossen, Lieferanten müssen klingeln. Einzig Angehörige, deren Familienmitglieder im Sterben liegen, dürfen überhaupt noch Besuche machen.
In Mülheim wurden die Angehörigen telefonisch informiert
Nicola Lutterbeck hat am Freitag vor einer Woche den Anruf bekommen, dass sie ihre Mutter im Haus Gracht aufgrund des Erlasses nicht mehr besuchen kann. Sorge macht ihr, dass der Physiotherapeut auch nicht mehr kommen darf, der die bettlägerige Marlies Lutterbeck (61) zweimal in der Woche behandelt hat. "Das ist wichtig, um ihre Beine durchzubewegen und die Funktion des rechten Arms zu erhalten", sagt die 38-Jährige. "Wenn das über mehrere Wochen ausfällt, ist das schon eine böse Sache."
Die Tochter schmerzt, dass sie ihrer Mutter nicht mehr die kleinen Zuwendungen geben kann, Bücher, Süßigkeiten, den Lieblingstee vorbeibringen. Oder die Blumen im Zimmer gießen, das sie für ihre Mutter wohnlich dekoriert hat. "Da fehlt ja schon was, das eben nicht am Telefon geht." Ab und zu und nur nach vorheriger Absprache mit der Station kann sie etwas an der Haustür der Einrichtung für die Mutter abgeben.
Manche Mülheimer Senioren können gut mit der Situation umgehen
"Unsere Bewohner wissen im Prinzip, was los ist", sagt Birgit Berlik aus dem Evangelischen Wohnstift Raadt. "Die lesen ja auch die Zeitung." Die Reaktionen der Bewohner seien sehr unterschiedlich. Die einen seien verunsichert, müssten besonders betreut werden. Und dann gebe es auch jene älteren Menschen, die bereits schlimme Erfahrungen gemacht haben, und etwas besser damit umgehen könnten. Die sind tapfer, sagt Birgit Berlik: "Sie erzählen mir, wir haben Kriege überstanden, da werden wir das hier auch überstehen."
Marlies Lutterbeck lebt seit acht Jahren im städtischen Haus Gracht. "Das ist jetzt natürlich langweilig, wenn kein Besuch mehr kommt, aber man kann ja alles übers Telefon machen. Und am Abend hat man dann heiße Ohren!" Die 61-Jährige nimmt's mit Humor. "Wenn keiner reinkommt, kann ja auch nix reingeschleppt werden. Und irgendwann geht das doch auch einmal zu Ende." Die bettlägerige MS-Patientin lobt die engagierten Pflegekräfte, die ihr immer mal wieder auch kleine Wünsche zwischendurch erfüllen. Marlies Lutterbeck freut sich auch über die Sozialbetreuer, die regelmäßig für Gespräche in ihr Zimmer kommen. Sie verrät gern ihre alten Backrezepte, die der Soziale Dienst dann möglicherweise in den Gruppen nutzen kann.
Mehr Angebote für Bewegung, Spielen, Singen, aber kleinere Gruppen
Im Evangelischen Wohnstift Raadt bemüht man sich, so Birgit Berlik, den Menschen trotz aller Sicherheitsmaßnahmen Unterhaltung und Beschäftigung zu bieten. "Wir haben hier drei Wohnbereiche, aber es gibt keine übergreifenden Gruppenveranstaltungen mehr." Die Mitarbeiter vom sozialen Dienst arbeiten jetzt in kleineren Gruppen.
Vormittags, nachmittags und am Wochenende gibt es Angebote, Bewegung, Spielen, Singen. Das spielt sich allerdings jetzt auf den Stationen ab. "Die Mitarbeiter haben sich extra aufgeteilt, haben auch andere Dienstzeiten, das ist ganz toll", lobt Berlik. Bestimmte Sachen mit Kontakt, wie das Zuwerfen Balls, gibt es derzeit nicht, so Birgit Berlik. Bei schönem Wetter dürfen auch nur noch wenige auf einmal in den Garten gehen. "Und im Speisesaal sind die Abstände größer geworden."
Die Mitarbeiter schützen sich besonders sorgfältig vor Ansteckung
Und wie schützen sich die Mitarbeitenden? "Wir achten mehr noch als sonst auf Hygiene und Desinfektion", so die Pflegedienstleiterin. Jeder habe schon vor dem Verbot darauf geachtet, in der Freizeit Risiken zu meiden, nicht mit größeren Gruppen zusammen zu sein "um sich und die Bewohner vor Ansteckung zu schützen."
Die Stimmung im Haus sei wirklich gut, betont Berlik - "als wenn die Situation alle noch ein bisschen anspornt." Der Zusammenhalt sei im Team hoch. "Das ist ja das A und O - nicht nur in der Pflege, sondern überhaupt!"