Mülheim. Das Papierwerk verlässt im Mai den Dickswall nach Broich. Wie Baustellen den mutigen Unternehmerinnen einen Strich durch die Rechnung machen.

Noch ist Jutta Pfeiffers „Papierwerk“ am Dickswall 4 anzutreffen. Doch schon ab Mai will die kreative Inhaberin die Ruhrseite und in die Holzstraße 3 nach Broich wechseln. Namentlich passt das Papier zum Holz, die neue Umgebung an der Wilhelminenkirche und der Laden seien sehr schön, hofft Pfeiffer auf einen guten Start. Der Umzug hat jedoch auch eine ernste Seite: Am Dickswall kündigt sich bereits die nächste Dauerbaustelle an, und gleich für fünf bis sieben Jahre. Wirtschaftlich droht ein Todesstoß für die wenigen noch bestehenden Geschäfte an der Verkehrsader.

„Ich wäre gern geblieben, weil ich mit dem Ort verwachsen bin“, bedauert Pfeiffer. Doch die verfahrene Verkehrs- und Baustellen-Situation in Mülheim zieht seit Jahren weite Kreise in die Mülheimer Kleinunternehmerschaft. Gerade hier, am Dickswall und an der Althofstraße, ist das zu spüren. Dabei hatten engagierte Einzelhändler im direkten Umfeld zwischen Forum und Südviertel das Besondere bieten wollen. Das, was man in der Innenstadt doch so dringend vermisst hatte.

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„Noch eine Baustelle tue ich mir nicht an.“

„Stadtrandperlen“ tauften sich fünf mutige Unternehmerinnen, jeder einzelne Laden drückte klangvoll Optimismus aus: Flora Ambiente, Nadelpracht, Tuchfühlung, Die Zweite Chance. Auch Pfeiffers Papierwerk gehörte zu den Gründerinnen vor rund zehn Jahren. Später reihte sich der Concept-Store „Good Life“ in die Perlenkette ein.

Doch um ihre Strahlkraft mussten die Perlen stets hart kämpfen. 2013 wurde an der Althofstraße monatelang der Kanal saniert, das kostete Nerven, Parkplätze und Kunden. Die Rumbachsanierung mit der Großbaustelle kostete 2014 schließlich zwei Perlen. Petra Neitzel von Flora Ambiente und Brigitte Voss-Krafft (Tuchfühlung) gaben auf. „Noch eine Baustelle tue ich mir nicht an“, kommentierte Neitzel damals.

Stadtrandperlen trotzen jahrelang der schweren See am Dickswall

2016 war es Ellen Erbs „Nadelpracht“, der die Baustelle wohl den letzten Stich verpasste. Das Papierwerk, die 2te Chance und dann Good Life trotzten weiter der schweren See. Als schließlich 2019 die nächste Dauerbaustelle angekündigt wurde – die Weiterführung des Rumbachkanals soll bis zu sieben Jahren dauern – zog Julian Schick mit seinem Concept-Store „Good Life“ die Reißleine und vorübergehend um in den Pop-Up-Shop am Kohlenkamp.

Auch Jutta Pfeiffer startete mit der Suche nach einer neuen Bleibe für das Papierwerk. „Ärgerlich war für mich, dass ich aus den Medien von der drohenden Baustelle erfahren habe. Da hätte ich mir gewünscht, dass die Stadt vorher auf mich zugekommen wäre.“ Schließlich sind die Inhabergeführten Läden das hochgelobte Salz in der oft blassen Suppe der Innenstädte.

Nach langer, vergeblicher Suche in der City – eine zweite Chance in Broich

Dickswall wird ab Mai 2020 aufgerissen

Der Dickswall entspreche nicht mehr „zukünftigen, verkehrlichen Ansprüchen und weist gestalterische Defizite auf“, begründen die städtischen Verkehrsplaner ihre Maßnahme im Zuge der Rumbachkanalsanierung. So soll etwa die Zahl der Fahrspuren dort reduziert werden.

Dabei sollen ebenfalls die Verkehrs- und Grünflächen des Dickswalls neu gestaltet werden, die als dann verbreiterte „Klimainsel“ das Klima im Straßenraum verbessern sollen.

Auch Radwege werden in diesem Zug neu und auf beiden Seiten, stadtein- und -auswärts, geplant. Derzeit gibt es nur einen Zwei-Wege-Radweg.

Doch die Geschäftsfrau blickte nach vorn, Hinwerfen galt nicht. Mit Hilfe der Citymanagerin Gesa Delija suchte Pfeiffer nach Alternativen in der Innenstadt. Nichts Großes für ihr 40-Quadratmeter-Geschäft – „wer weiß, wie die Kundschaft sich entwickelt“. Zwei bis drei Orte kamen in Frage, „bei einem hätte ich einen Bauantrag stellen müssen, ein anderes war zu teuer“, verrät die Selbstständige, das dritte bekam ein Mitbewerber.

In Broich aber fand das Papierwerk dann eine Bleibe an der Holzstraße 3, gegenüber der Wilhelminenkirche, die sie im Mai beziehen kann: „Ein Katzensprung über die Ruhr. Es ist ähnlich groß, früher war hier auch mal eine Bäckerei – so wie am Dickswall“, meint Pfeiffer: „Es fühlt sich gut an.“

Noch ist das Papierwerk am Dickswall. Jutta Pfeiffer hofft, dass ihre Stammkunden mitziehen, wenn sie im Mai die Innenstadt verlassen muss. Von den Stadtrandperlen ist dann nur noch ein einzelnes Kleinod übrig: die 2te Chance.