Mülheim. Erst hatten die Rechnungsprüfer Geldverschwendung attestiert, jetzt auch externe Gutachter: Die Stadt Mülheim will vom Diakoniewerk Geld zurück.

Rund ein Jahr, nachdem ein Bericht der städtischen Rechnungsprüfer über mutmaßlich gravierende Mängel bei der Abwicklung von Arbeitsmarktprojekten das Licht der Öffentlichkeit erreichte, stellt die Stadt Mülheim nun eine erste Forderung auf: Sie will vom Diakoniewerk Arbeit und Kultur rund 200.000 Euro zurück.

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Das Rechnungsprüfungsamt hatte sich für seine routinemäßige Prüfung im Sozialamt zwei Arbeitsmarktprojekte herausgepickt, für die das städtische Jobcenter einmal die Paritätische Initiative für Arbeit, ein anderes Mal das Diakoniewerk auserwählt hatte. Die Rechnungsprüfer machten in beiden Fällen gravierende Mängel aus. Insbesondere stellten sie fest, dass offenbar viel zu viel Steuergeld für die Maßnahmen ausgegeben worden sei, weil dem städtischen Controlling mitunter ein Totalversagen zu attestieren sei.

74 Arbeitsmarkt-Projekte werden auf systematische Mängel durchleuchtet

Die Politik reagierte seinerzeit auf Initiative von CDU und SPD, prangerte schwerwiegende organisatorische Mängel im städtischen Controlling an und erzwang Änderungen. Ende Juni 2019 fiel schließlich die Entscheidung, externe Prüfer der Märkischen Revision damit zu beauftragen, sämtliche Arbeitsmarktprojekte seit 2017, 74 an der Zahl, auf systematische Mangel zu durchleuchten.

Diakoniewerk ist abhängig von Zuweisungen des Jobcenters

Sozialdezernent Marc Buchholz räumt ein, dass das städtische Jobcenter in der Vergangenheit auch in der Planung von Arbeitsmarktprojekten und deren Controlling personell zu schlecht aufgestellt gewesen sei. Man sei dabei „nachzusteuern“.

Ein Problem etwa ist auch, dass das Jobcenter in den vergangenen Jahren die Fördermittel des Bundes für Arbeitsmarktprojekte nicht ausgeschöpft hat. Auch aktuell vermittele das Jobcenter dem Diakoniewerk für geplante Maßnahmen zu wenige Teilnehmer, sagt dessen scheidender Ex-Geschäftsführer Ulrich Schreyer. Seine Einrichtung halte eine Infrastruktur bereit, das verursache eben auch Kosten.

Aktuell seien zahlreiche der geplanten 165 Arbeitsgelegenheiten unbesetzt, das Diakoniewerk mache so jeden Monat ein Minus von rund 20.000 Euro. Die Finanzierung vorgehaltener Infrastruktur müsse auskömmlich bleiben, mahnt Superintendent Gerald Hillebrand.

Auf Anfrage dieser Redaktion gab jetzt Sozialdezernent Marc Buchholz preis, dass eine erste Prüfung abgeschlossen sei zu Projekten mit Ein-Euro-Jobs, die das Diakoniewerk Arbeit und Kultur im Auftrag der Hartz-IV-Behörde durchgezogen hatte. Ergebnis sei, dass die Stadt vom Diakoniewerk rund 200.000 Euro zurückfordern werde. Ein rechtswirksamer Bescheid soll dem Diakoniewerk im März zugestellt werden, so Buchholz.

Stadt Mülheim hat für Teilnehmer gezahlt, die es gar nicht gab

In dieser Woche stellten sich Buchholz und Vertreter des Diakoniewerks einem gemeinsamen Gespräch mit dieser Redaktion. Trotz der seinerzeit scharfen Formulierungen der städtischen Rechnungsprüfer mahnte Buchholz bei dem Termin, die Sache „nicht zu skandalisieren“. In der Abwicklung und beim Controlling habe es seitens des Jobcenters Fehler gegeben, so dass durchgegangen sei, dass man dem Diakoniewerk Kosten für mehr Teilnehmer erstattet habe, als tatsächlich dabei gewesen waren.

Das Gutachten der Märkischen Revision hält Buchholz derweil unter Verschluss. Selbst dem nicht öffentlich tagenden Rechnungsprüfungsausschuss des Stadtrates hat er ihn am Freitag vergangener Woche nicht vorgelegt. Dem Eindruck, die Stadt könne hier versucht sein, ihre Misswirtschaft mit Bundesmitteln zu verschleiern, tritt Buchholz doch entgegen: „Begradigt wird nichts“, sagte er und verwies auch darauf, dass die Staatsanwaltschaft nach Strafanzeigen kein ordentliches Ermittlungsverfahren in Gang gesetzt hatte, weil kein Anfangsverdacht für eine strafbare Handlung von städtischen Mitarbeitern auszumachen sei.

Diakoniewerk will Forderung rechtlich prüfen lassen

Gerald Hillebrand (links), Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises, fungiert als Aufsichtsratsvorsitzender des Diakoniewerks. Er sagt: „Das Diakoniewerk gerät nicht ins Wanken.“
Gerald Hillebrand (links), Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises, fungiert als Aufsichtsratsvorsitzender des Diakoniewerks. Er sagt: „Das Diakoniewerk gerät nicht ins Wanken.“ © Funke Foto Services | Martin Möller

Der langjährige Geschäftsführer des Diakoniewerks, Ulrich Schreyer, und Superintendent Gerald Hillebrand als Vorsitzender des Aufsichtsrates der gemeinnützigen Gesellschaft betonten, dass sie bislang nicht im Verfahren involviert gewesen seien, folglich auch noch nicht bewerten könnten, ob die Forderungen der Stadt zu akzeptieren seien. „Wir werden den Bescheid rechtlich prüfen lassen“, sagte Schreyer. Mitte Juni hatte das Diakoniewerk ein eigenes Gutachten vorgelegt, das zum Schluss gekommen war, dass nur 21.000 Euro zu viel von der Stadt gezahlt worden seien. Jenes Gutachten sei auf einer anderen Grundlage erstellt worden als das von der Märkischen Revision, sagt Mülheims Sozialdezernent nur dazu.

„Wir haben kein Interesse an einem ellenlangen Rechtsstreit, sagt Schreyer, der im Diakoniewerk gerade noch seine Nachfolgerin einarbeitet. Buchholz ist auch nicht an einem langwierigen Streit gelegen. „Das Diakoniewerk ist für mich ein wichtiger Arbeitsmarktpartner. Nach Abschluss des Verfahrens hoffe ich, dass wir gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten können.“

Aufsichtsratsvorsitzender: Forderung bringt Diakoniewerk nicht ins Wanken

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Superintendent Hillebrand ist derweil bemüht, Gerüchten entgegenzutreten, eine Rückzahlverpflichtung in Höhe von 200.00 Euro könne das Diakoniewerk in seiner Existenz gefährden. „Es bringt das Diakoniewerk nicht ins Wanken“, sagte er. Zunächst einmal gehe man davon aus, dass im Fall der Fälle die Organhaftpflichtversicherung der gemeinnützigen Gesellschaft greife, erläuterte Schreyer. Falls nicht, müsse man auf Rücklagen zurückgreifen. „Ratenverträge bräuchten wir aber nicht.“