Mülheim. . Mülheims Rechnungsprüfer sehen Mängel bei der Abrechnung von Arbeitsmarkt-Projekten. Das Diakoniewerk soll viel zu viel Geld kassiert haben.

Im Fall „Mülheim mobil“ prüft die Staatsanwaltschaft nach einer Strafanzeige bekanntlich, ob gegen städtische Mitarbeiter ein Anfangsverdacht der Untreue begründet sein könnte. Nun aber liegt ein neuerlicher Bericht der städtischen Rechnungsprüfer vor, der noch wesentlich mehr Brisanz in sich birgt. Es geht um Hundertausende Euro, von der Stadt in kürzester Zeit verausgabt für 33 Projekte, mutmaßlich unter Verletzung allerlei Pflichten. Insbesondere steht nun das Diakoniewerk Arbeit & Kultur im Fokus der Forderung des Rechnungsprüfungsamtes, die Stadt möge zu viel ausgezahltes Geld schnellstens von gemeinnützigen Unternehmen der Sozialwirtschaft zurückfordern.

Brisanz erlangt das Papier der Rechnungsprüfer, das dieser Zeitung vorliegt, insbesondere deshalb, weil sich die Rechnungsprüfer für ihre Prüfung zunächst nur einer Stichprobe bedient hatten. Zwei Arbeitsmarktprojekte der Sozialagentur hatten sie herausgepickt, beide Male für einen nur kurzen Zeitraum erhebliche Mängel festgestellt. Die Rechnungsprüfer stellen einen mutmaßlichen Schaden zulasten des Steuerzahlers fest, der in die Hunderttausende geht.

Angaben zu Kosten und Erlösen sollen falsch sein

Ein Fall, den das Rechnungsprüfungsamt untersucht hat, betrifft sogenannte Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandentschädigungen in der Elektrowerkstatt des Diakoniewerks, im Volksmund Ein-Euro-Jobs genannt. In dem Projekt sollten 18 schwer vermittelbare Hartz-IV-Empfänger Elektrogeräte aus Wohnungsauflösungen oder Sachspenden kontrollieren und reparieren beziehungsweise wiederverwertbare Einzelteile ausbauen.

Nun stellten die Rechnungsprüfer fest, dass die Sozialagentur einen vom Diakoniewerk vorgelegten Finanzierungsplan der Maßnahme mindestens schlampig, wenn überhaupt geprüft haben dürfte. Die Maßnahme sei die städtische Sozialagentur deutlich teurer zu stehen gekommen, als es hätte sein müssen. Der Grund: Das Diakoniewerk soll mit falschen Angaben zu Kosten und Erlösen den Preis in die Höhe getrieben haben.

Amt: Fehler hätten „schon bei grober Prüfung“ auffallen müssen

Im Einzelnen kritisieren die Rechnungsprüfer etwa, dass das Diakoniewerk in seinem Finanzierungsplan die erwarteten Einnahmen aus einem Weiterverkauf der Elektrogeräte deutlich zu niedrig angegeben habe – die fehlerhafte Umsatzkalkulation, so die Prüfer, hätte der Sozialagentur „schon bei grober Prüfung“ auffallen müssen. Gleiches gelte für die zu hoch angesetzten Kosten des Kursleiters, den das Diakoniewerk für die Maßnahme gestellt hat. Und der dann gar als fachmännischer „Anleiter“ für die Ein-Euro-Jobber noch während der laufenden Maßnahme gar nicht mehr zur Verfügung gestanden habe. Seine Aufgabe hätten nach Angaben des Diakoniewerks die Buchhalterin und der Sohn des Geschäftsführers übernommen. Beides zusammengenommen, so die Rechnungsprüfer, rechtfertige, dass die Stadt vom Diakoniewerk 24.400 Euro zurückzuverlangen habe.

Das Diakoniewerk Arbeit & Kultur hat seinen Sitz an der Georgstraße.
Das Diakoniewerk Arbeit & Kultur hat seinen Sitz an der Georgstraße. © Martin Möller

Wegen der Auffälligkeiten unterzog das Rechnungsprüfungsamt sämtliche Finanzierungspläne des Diakoniewerks für insgesamt 33 mit der Sozialagentur abgerechnete Maßnahmen aus dem Jahr 2018 einer überschlägigen Prüfung. Allein die entsprechenden Unterlagen anzufordern, habe einen erheblichen Aufwand verursacht, bemerken die Rechnungsprüfer spitz. Schließlich kommen sie zum Schluss, dass die Finanzierungspläne für alle 33 Maßnahmen „Rechenfehler aufwiesen, die durchgängig zu einem hohen Kosten- und niedrigen Erlösausweis führten“.

Vorwurf: Kosten um 90.000 Euro zu hoch angesetzt

Die Folge: Ausnahmslos habe die Sozialagentur mehr bezahlt, als dem Diakoniewerk zugestanden habe. Die städtische Hartz-IV-Behörde habe die fehlerhaften Finanzierungspläne ungeprüft akzeptiert und gezahlt. Das Rechnungsprüfungsamt rechnet zusammen, dass die Sozialagentur dem Diakoniewerk für die 33 Maßnahmen im Jahr 2018 Kosten in Höhe von gut einer halben Million Euro in Rechnung gestellt hat, rund 90.000 Euro davon unberechtigt. Unklar dabei sei noch, ob auch die Personalkosten der Maßnahmen zu hoch angesetzt worden seien. Man habe die diesbezügliche Berechnung des Diakoniewerks „trotz aller Bemühungen nicht nachvollziehen können“, heißt es im Rechnungsprüfungsbericht.

Wie dem Diakoniewerk im Fall der Elektrowerkstatt vorgeworfen, sehen die Rechnungsprüfer auch durchgängig Mängel bei der Angabe, welche Umsätze das Diakoniewerk aus dem Einsatz von Ein-Euro-Jobbern erlöst hat, etwa durch den Weiterverkauf von Elektrogeräten. In der Summe sei davon auszugehen, dass der Sozialagentur aufgrund falscher Berechnungen zusätzlich rund 140.000 Euro aus der Kasse gezogen worden seien. Laut Rechnungsprüfern müsste die Sozialagentur unter Umständen knapp eine Viertelmillion Euro vom Diakoniewerk zurückfordern. Kein Pappenstiel für ein Sozialunternehmen, das mit den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen keine Gewinne erwirtschaften darf.

Weiterverkauf von Ware in Sonderbar wird kritisch gesehen

Noch mal zurück zum eigentlichen Prüffall, den Ein-Euro-Jobs in der Elektrowerkstatt des Diakoniewerks. Die Rechnungsprüfer stellen gar in Zweifel, ob die Maßnahme überhaupt hätte bewilligt werden dürfen durch die Sozialagentur. Sie begründen ihre Skepsis damit, dass das Diakoniewerk höherwertige Elektroartikel, die die Werkstatt durchlaufen haben, im Ladenlokal der Sonderbar an der Kaiserstraße verkaufe. Und das „im allgemeinen Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern“. Das widerspreche der Vorgabe für Ein-Euro-Jobs, dass sie nicht reguläre Arbeitsverhältnisse verdrängen dürfen, es sich im Kern um „zusätzliche Arbeiten im öffentlichen Interesse“ handeln müsse.

Süffisant merken die Rechnungsprüfer an, dass ihnen bei einem Besuch in der Sonderbar das Angebot für zwei Standlautsprecher aufgefallen sei: für rund 800 Euro. . . Die Umsatzerlöse der Sonderbar tauchten im Übrigen im Finanzierungsplan für die geförderte Maßnahme gar nicht auf. Da sei die Sozialagentur zur Aufklärung aufgefordert.

Prüfer sehen schwerwiegende Mängel im Controlling

Hat das Diakoniewerk sich wissentlich Gelder der Sozialagentur erschlichen, die ihm gar nicht zustanden? So weit, dies zu behaupten, gehen die Rechnungsprüfer nicht. Doch sie zeigen anhand mehrerer Beispiele mutmaßlich haarsträubende Rechenfehler in den Maßnahme-Kalkulationen des Projektträgers auf. Auch die Rolle der Sozialagentur als Vertragspartnerin wird wenig schmeichelhaft, wenn nüchtern bilanziert: Dass sie erheblich mehr als nötig ausgezahlt habe, „hätte bei einer ordnungsgemäßen Überprüfung der eingereichten Finanzierungspläne vermieden werden können“.

Unter der Hand wird in Kreisen der Stadtverwaltung schon getuschelt, dass hier ein „Mülheimer System“ ins Wanken gerate, strafrechtliche Konsequenzen und die Insolvenzgefahr für Sozialunternehmen inklusive. Es ist gar von „Sozialmafia“ die Rede. „Aufgrund der Schwere der Verstöße“ sei „unmittelbar dringender Handlungsbedarf gegeben“, stellen die Rechnungsprüfer selbst fest.

Amt setzt der Sozialagentur Frist bis zum 13. Mai

Die ersten Stellungnahmen aus der Sozialagentur haben den Rechnungsprüfern nicht ausgereicht, um ihre aufgeführten Beanstandungen mit dem Stempel „erledigt“ zu versehen. Bis zum 13. Mai wird weitere Aufklärung verlangt.

Bislang eingeräumt haben Thomas Konietzka, der das Sozialamt seit Anfang 2018 kommissarisch leitet, und Anke Schürmann-Rupp, seit 2018 neue Chefin der Sozialagentur, dass sie wie die Rechnungsprüfer uneingeschränkt „dringenden Handlungsbedarf“ sehen. Im Sozialamt sei eine interne Prüfgruppe eingerichtet, heißt es. Ziel sei es, die Qualität der bewilligten Arbeitsmarkt-Maßnahmen und das eigene Controlling zu verbessern.

Ulrich Schreyer, Geschäftsführer beim Diakoniewerk Arbeit & Kultur.
Ulrich Schreyer, Geschäftsführer beim Diakoniewerk Arbeit & Kultur. © Martin Möller

Geschäftsführer räumt Fehler in Kalkulation ein

Mit dem Diakoniewerk ist laut Verantwortlichen aus dem Sozialamt vereinbart, dass es die Kalkulation nachvollziehbar erläutert. Das Diakoniewerk hat laut Geschäftsführer Ulrich Schreyer eine Wirtschaftsprüferin hierfür engagiert. Bis zum 13. Mai erwartet das Rechnungsprüfungsamt laut dem Bericht, der dieser Zeitung vorliegt, Ergebnisse.

Schreyer sagte am Montag auf Anfrage dieser Zeitung, dass er just am selben Tag mit Vertretern von Rechnungsprüfungsamt und Sozialagentur zusammengesessen habe. Er räumte kalkulatorische Fehler ein, seine gemeinnützige Gesellschaft habe die Maßnahmenkosten „viel zu niedrig angesetzt“; etwa seien Kosten für Verwaltung, Buchhaltung oder Abschreibungen nicht in den Finanzierungsplänen berücksichtigt worden.

Schreyer sagte, dass das Diakoniewerk bestrebt sei, mit Hilfe der Wirtschaftsprüferin eine „plausible Nachkalkulation“ vorzulegen. Erst am Ende werde man sehen, ob und, wenn ja, in welcher Höhe Rückzahlungsforderungen der Stadt gerechtfertigt seien. „Das Gespräch heute war äußerst lösungsorientiert“, so Schreyer, der zwischen Stadt und Diakoniewerk „keine großen Verwerfungen“ sieht.

>> PRÜFER SCHLUGEN SCHON 2015 ALARM

Schon 2015 hatte das Rechnungsprüfungsamt bei der Prüfung der Sozialagentur „schwerwiegende Mängel“ festgestellt, heißt es im aktuellen Bericht. Jene Mängel hätten sich ebenfalls bei der Beauftragung Dritter und beim Controlling arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen gezeigt. Seinerzeit, so die Rechnungsprüfer, habe die Sozialagentur zugesagt, ein sachgerechtes Controlling aufzubauen.

Der aktuelle Bericht des Rechnungsprüfungsamtes steht am 14. Juni im Rechnungsprüfungsausschuss des Stadtrates zur Debatte. Der Ausschuss tagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Das Rechnungsprüfungsamt hat eine Sonderrolle in der Stadtverwaltung. Es ist unmittelbar dem Stadtrat verantwortlich und frei von fachlichen Weisungen aus der Verwaltung.