Essen. In NRW müssen Kinder immer häufiger in einem Heim oder in einer anderen Familie untergebracht werden. In Essen dagegen ist die Zahl der Heimunterbringung leicht gefallen. Trotzdem brauchen auch in dieser Stadt Mütter und Väter zunehmend Hilfe. Doch hier kommt sie zu den Familien nach Hause.
Noch im Sommer berichtete das Landesamt für Statistik, dass die Jugendämter in Nordrhein-Westfalen immer häufiger vernachlässigte und gefährdete Kinder in ihre Obhut nehmen müssten. 2007 seien fast 8500 Kinder und Jugendliche aus ihren Familien genommen und in einem Heim, einer anderen Familie oder in einer betreuten Wohngemeinschaft untergebracht worden. Ein Anstieg um 5,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Für die Stadt Essen kann Ulrich Engelen, Abteilungsleiter der Sozialen Dienste im Jugendamt, diesen Trend nicht bestätigen. „Wenn man die Kinder von null bis 18 Jahren nimmt, ist die Zahl der Heimunterbringungen sogar leicht fallend. Während im Januar 2007 noch 609 Kinder im Heim waren, ging die Zahl zwischenzeitlich auf 577 zurück und lag im September 2008 bei 596.“
Dagegen stieg in Essen aber die Zahl der Familien, denen das Jugendamt einen Sozialpädagogen ins Haus schickt. Im Fachjargon spricht man von „ambulanten flexiblen Hilfen“. Während im Januar 2007 noch 685 Familien Hilfe bei der Erziehung ihrer Kinder und bei der Lösung ihrer Beziehungsprobleme bekamen, waren es im September 2008 bereits 972 Familien. Ob Eltern zunehmend mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, wie es das Landesamt für Statistik schreibt, dazu kann und will Engelen nichts sagen. Er stelle lediglich fest, dass nach dem Fall Kevin, der 2006 in Bremen tot im Kühlschrank des Stiefvaters gefunden worden war, eine wahre Meldungsflut über das Jugendamt hinein gebrochen sei. „Die Menschen sind aufmerksamer geworden und melden häufiger Familien, bei denen sie meinen, dass dort das Kindeswohl gefährdet ist. Und daraus entwickeln sich dann einfach mehr Fälle“, sagt Engelen.
Eltern, die Probleme bei der Erziehung ihrer Kinder haben, können sich aber auch selbst an das Jugendamt wenden und „Hilfe zur Erziehung“ beantragen. Die Mitarbeiter im Amt prüfen den Antrag und beauftragen dann einen Wohlfahrtsverband oder einen zertifizierten freien Träger, die Familie in den eigenen vier Wänden zu betreuen. Finanziert wird die ambulante Hilfe vom Jugendamt.
Wenn Eltern sich weigern, diese Hilfe anzunehmen und das Jugendamt die Kinder in Gefahr sieht, kann es über das Familiengericht in das Sorgerecht eingreifen und den Vormund für das Kind übernehmen. Das komme, so Engelen, aber nur bei etwa 80 Kindern im Jahr vor.
„Eltern brauchen Hilfe, wenn das Kind klaut, die Schule schwänzt, unter dem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom leidet, verhaltensauffällig ist, übermäßig streng erzogen wird oder gar Gewalt im Spiel ist“, zählt Engelen beispielhaft auf. Die Sozialpädagogen von den Wohlfahrtsverbänden oder freien Trägern besuchen die Familie durchschnittlich sechs bis acht Stunden in der Woche, und das zwei bis drei Jahre lang. „Wenn wir aber feststellen, dass die Eltern doch nicht mitarbeiten oder ein unbehandeltes Suchtproblem vorliegt, suchen wir nach einer neuen Lösung“, sagt Engelen.
Neben den ambulanten Hilfen stehen auch noch teilstationäre Tagesgruppen und das Heim zur Verfügung. Allerdings, versucht Engelen die Angst vieler Eltern zu mildern, seien der Sorgerechtsentzug und das Heim nur die letzte Lösung, zum Beispiel, wenn das Kind unter Misshandlungen oder sexuellen Übergriffen leidet - oder die Eltern das Heim selbst als beste Alternative sehen.
Das Jugendamt indes versuche, den Eltern zunächst Hilfe nach Hause zu schicken. Dabei kostet ein Sozialpädagoge, der die Familie sechs bis acht Stunden in der Woche besucht, 10.000 bis 15.000 Euro im Jahr. Ein Heimplatz schlägt mit 45.000 Euro jährlich zu Buche. „Es gibt aber keine Dienstanweisung, nach der eine Heimunterbringung unter allen Umständen vermieden werden muss“, so Engelen.
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