Mülheim. Wohnen auf dem Tengelmann-Areal, wieder ein Gewerbegebiet dafür opfern? Mülheim sollte Tengelmann den Abschied nicht leichtfertig vergolden.
Es tut sich was in der Frage, wie das 14 Hektar große Tengelmann-Areal nach dem vollzogenen Abschied des Handelskonzerns entwickelt werden soll. Erste Architekten-Pläne sind im Gestaltungsbeirat der Stadt beratschlagt worden, mit einem umfangreichen Anteil von neuer Wohnbebauung auf der Fläche, die aktuell noch als Gewerbe- und Industriestandort ausgewiesen ist. Die Umnutzung ist in hohem Maße diskutabel, sind die Klagen über einen Mangel an Gewerbeflächen doch seit Jahren virulent in der Stadt. Also: Wirklich wieder Gewerbefläche aufgeben?
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Ein Hochhaus und ringsum Mehrfamilienhäuser hat das von Tengelmann beauftragte Architekturbüro RKW dem Gestaltungsbeirat schmackhaft zu machen versucht. Welcher Anteil der Fläche am Ende noch für anwohnerverträgliches Gewerbe zur Verfügung stehen soll, blieb zumindest unklar. Vielleicht noch 40 Prozent? Oder gar viel weniger?
Mit Wohnbauland kann sich Tengelmann den Abschied vergolden
Stadtverwaltung und Politik scheinen mehr Bereitschaft als früher zu verspüren, Tengelmann den Abschied aus Mülheim zu vergolden. Baudezernent Peter Vermeulen hatte noch in der jüngsten Debatte um die Ausweisung neuer Gewerbeflächen auf Ackerland aufgezeigt, dass Grundbesitzer selbstredend einen großen Drang verspüren, ihr Stück Boden möglichst gewinnversprechend ausgewiesen zu bekommen, bestenfalls als Wohnbauland. Für den Quadratmeter Acker- und Grünland sei aktuell in Mülheim ein Verkaufspreis von 5 Euro zu erzielen, für eine Industrie- und Gewerbefläche schon 55 bis 100 Euro, für eine Wohnbaufläche je nach Lage gar 180 bis 460 Euro.
Tengelmann verhandelt zurzeit nach eigenen Angaben weiter mit einem potenziellen Käufer für seine 14 Hektar. Über einen Bebauungsplan, womöglich mit vorlaufendem städtebaulichen Wettbewerb, wird die Stadtpolitik den Wert der Fläche bestimmen. Bei Bodenrichtwerten von aktuell 250 bis 290 Euro pro Quadratmeter im Wohnumfeld der Tengelmann-Fläche kann sich jeder im einfachen Dreisatz ausrechnen, was Tengelmann als Verkaufserlös einstreichen kann, je höher der Anteil möglicher Wohnbebauung ist. Es geht um Millionen.
Verwaltung und Politik sollten sich ihrer starken Verhandlungsposition bewusst sein
Verwaltung und Politik sind gut beraten, sich ihrer zuletzt gestärkten Verhandlungsposition gegenüber Tengelmann bewusst zu werden. Bis auf den offiziellen Sitz der neuen Holding (Tengelmann Twenty-One KG) im ehemaligen Gästehaus an der Dohne bleibt Mülheim nichts vom Familienunternehmen, das zu Recht mit Stolz in der Liste herausragender Unternehmen am Standort geführt wurde.
Schon in jüngerer Vergangenheit zählte die Tengelmann-Gruppe dem Vernehmen nach nicht mehr zu den Top-Gewerbesteuerzahlern in der Stadt, soll lediglich noch in den Top 20 geführt worden sein. Unklar ist, was davon überhaupt bleibt, wenn in Mülheim nur mehr die Holding als Schachtel aller Tochterfirmen und Beteiligungen verbleibt. Mit einer Zentrale, die nicht mal mehr über dauernd besetzte Büros verfügen soll.
Die Chance, ein Gewerbegebiet der Zukunft zu entwickeln
Natürlich ist auch die Nachfrage nach Wohnen groß. Auch liegt das Areal inmitten von Wohnquartieren, so dass eine gewerbliche Nutzung deutlich eingeschränkt wäre etwa hinsichtlich Lärm oder Verkehr. Prima angebunden ans überörtliche Verkehrsnetz ist das Gebiet auch nicht.
Dennoch: Eine moderne, digitalisierte Wirtschaft braucht auch Raum. Raum, den sie womöglich in Speldorf finden könnte. Auch Raum für Hochschulausgründungen gilt es vorzuhalten, will der Standort Mülheim, wie angepeilt, auf lange Sicht Honig saugen aus der Ansiedlung der HRW. In Speldorf bestünde die Chance, ein Gewerbegebiet der Zukunft zu entwickeln. Mit ökologischen Standards. Mit besonderen Orten, an denen Arbeit und Wohnen zusammenwachsen können, wie es als Trend längst erkannt ist.
Den Diener vor Tengelmann muss die Stadt nicht mehr machen
Zeit für diese Abwägung zwischen Interessen der Anwohner und der Allgemeinheit muss sein, allein schon deshalb, um an anderer Stelle den Bürgerinitiativen nicht vor den Kopf zu stoßen, die sich gegen Flächenfraß im Grünen wenden. Auch wenn der Wirtschaftsstandort dem Unternehmen viel zu verdanken hat: Den Diener vor Tengelmann muss die Stadt nicht mehr machen. Das wäre nicht in die Zukunft gerichtet, es wäre rückwärtsgewandt.