Mülheim. Mülheimer Bauern wollen nicht länger der Buhmann sein. Sie fordern: Wir brauchen den Kompromiss zwischen Wohnen, Gewerbe und Landwirtschaft.

„Sie säen nicht, sie ernten nicht, aber sie wissen alles besser“ – mit einem großen Schild am Trecker zeigen Mülheimer Landwirte ihren Unmut über die neuen Auflagen der EU-Landwirtschaft. Das Luftmachen auf dem Parkplatz des Saarner Rewe gehört zur ganz normalen Klaviatur des Protests, erreichen aber wollen die Landwirte eines: „Dass man sich mit uns gemeinsam an einen Tisch setzt“, sagt Martin Siekerkotte.

Mehr Power für den Bauer? Siekerkotte ist im Vorstand der Ortsbauernschaft Mülheim, aber kein Polterer: „Wir wollen nicht mit dem Finger auf andere zeigen“, sagt er, allerdings auch nicht der Buhmann für alles sein, was momentan ökologisch diskutiert wird: Insektensterben, Nitrat im Boden, Massentierhaltung.

Charmeoffensive mit einem Strauß Blumen aus der Tüte

So knattern die Landwirte eben nicht nur mit Treckern über Autobahnen, sondern starten vor Ort am Rewe eine Charmeoffensive mit einem Strauß Blumensamen aus dem Tütchen. Einheimisch? Da fängt die Diskussion schon an: „Natürlich hat die Landwirtschaft auch zum Insektensterben beigetragen“, räumt Siekerkotte selbstkritisch ein. Aber zur Umwelt-Debatte gehörten auch Steingärten, Lichtverschmutzung, Handymasten und die umfassende Wohnbebauung.

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Oder der Ausbau von Gewerbegebieten auf Grünflächen, wie derzeit in Mülheim diskutiert. Ob etwa der angestrebte Verkauf der Landwirtschaftsflächen des Fulerumer Felds schon ein Signal für die schwierige wirtschaftliche Lage der Bauern ist? „Schwierige Debatte – da spielt auch anderes hinein. Wir müssen uns aber nicht entscheiden, ob wir Wohnstadt oder Gewerbe oder Landwirtschaft wollen – wir müssen aber einen guten Kompromiss finden“, glaubt Siekerkotte.

Warum es den Landwirtschaftsbetrieben schlecht geht

Rund 58 Milliarden Euro Agrarzahlungen geht an die Bauern in der EU, 6,6 (2018) allein an die deutschen. Warum geht es vielen Landwirten dann schlecht? Zum einen, weil sie die mittleren und kleinen Betriebe kaum erreicht. Unter den Top 20 der Empfänger waren 2018 laut Bundesanstalt für Landwirtschaft keine Landwirte. Denn bezahlt wird noch immer nach Hektar, mehr Fläche gleich mehr Subvention. Die bisherigen Agrarreformen haben daran nicht ausreichend gerüttelt – zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle „Kritische Agrarbericht“ des Vereins Agrar-Bündnis. Er fordert „Bäuerliche Betriebsstrukturen, die auch für die Artenvielfalt von großer Bedeutung sind, sind durch eine höhere Förderung der ersten Hektare zu stärken.“

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Doch nur ein Drittel des Agraretats wird aktuell für die Ökologisierung ausgegeben, das heißt Umwelt-, Klimaschutz- und Tierwohlmaßnahmen. Von den Forderungen nach einer ökologischen Landwirtschaft fühlen sich viele Bauern überfordert: „Wir sollen Bullerbü spielen“, sieht Bauer Einhart im Brahm Schieflagen zwischen Anspruch und Handeln, aber auch im Verhältnis zu unseren Lebensmitteln. „Verbraucher sind bereit für Katzenfutter oft mehr Geld auszugeben als für ein Kotelett.“

Mülheimer Bauer: „Die Preise sind im Keller“

Welchen Einfluss hat der Verbraucher?

Was aber ist die Lösung? Mehr Subventionen? Im Brahm – selbst Lokalpolitiker für die CDU – hat daran Zweifel: „Am Ende sind wir dann abhängig von der Agrarpolitik der jeweiligen Regierung.“

Oder muss es ein Umdenken beim Verbraucher geben? „Ich würde mir mehr Transparenz über die Herkunft und die Produktion von Lebensmitteln wünschen, damit ich meine Wahl besser treffen kann“, sagt eine Mülheimerin, die ihren Namen nicht nennen möchte.

Sie räumt aber ein: „Leider sind viele Menschen eher desinteressiert: Sie wollen billig kaufen, Mikrowelle an – fertig. Vielleicht muss es mehr Regulierung von oben geben.“

Und hier spielen – zum anderen – die Preise hinein. In den 80er Jahren brachte ein Doppelzentner Weizen noch 65 D-Mark, schildert Ulrich Vozelj, heute 17 Euro. Schuld daran sei etwa die Überproduktion, die inzwischen selbst die Bio-Sparte betreffe. Auch sie halte sich aufgrund von Subventionen, „denn die Preise sind im Keller“, meint Vozelj.

Und noch drastischere Beispiele kennt Landwirt im Brahm: „Dass ich meine Schweine etwa mit Bergen von Brot füttern kann, das ansonsten weggeworfen würde, zeigt doch, dass etwas falsch läuft. Und dass es den Landwirten nicht gut gehen kann.“