Mülheim. Das umstrittene Wirtschaftsflächenkonzept von Mülheims Wirtschaftsförderer Dönnebrink geht in die nächste Runde. Die Politik machte den Weg frei.

Am Ende der Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses stand am Dienstagabend ein Ergebnis, mit dem alle außer den Grünen leben mochten: Das Wirtschaftsflächenkonzept von Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink ist nicht beerdigt, die Prüfung von möglichen Flächenreserven für Unternehmensansiedlungen soll aber erweitert und auf eine Faktenbasis gestellt werden, die für jede einzelne Fläche auch haarscharf darstellt, was gegen eine wirtschaftliche Nutzung spricht.

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Auf diesen gemeinsamen Nenner kam die Politik nach gut dreistündiger Sitzung im Haus der Wirtschaft. Die Grünen hatten zwar noch Beratungsbedarf angemeldet, doch das ignorierte der Ausschusses, der gegen die zwei Stimmen der Grünen festlegte, dass die Verwaltung nicht nur zu den Flächen aus dem Dönnebrink-Papier alle Fakten zusammentragen soll, sondern auch zu anderen Potenzialflächen, die in der jüngeren Vergangenheit aufgerufen worden waren.

Mülheimer Gewerbebrachen: Strategie zur Reaktivierung soll her

Mit je einem Vertreter der Politik soll die Verwaltung zeitnah eine Bewertungsmatrix entwerfen, anhand derer eine Prüfung auch unter Umweltaspekten und planungsrechtlichen Hürden vonstatten gehen soll. Darüber hinaus soll die Verwaltung eine Strategie vorlegen, wie brachliegende Industrie- und Gewerbeflächen, die sich in Privatbesitz befinden, reaktiviert werden könnten.

Die Besucherstühle im Haus der Wirtschaft waren am Dienstag voll besetzt. Neben Vertretern der Bürgerinitiativen waren auch hochrangige Vertreter der örtlichen Wirtschaft zugegen.
Die Besucherstühle im Haus der Wirtschaft waren am Dienstag voll besetzt. Neben Vertretern der Bürgerinitiativen waren auch hochrangige Vertreter der örtlichen Wirtschaft zugegen. © FFS | Martin Möller

Auffallend sachlich verlief die Diskussion. Auch Vertretern der Bürgerinitiativen, die sich gegen Gewerbeflächen in Landschaftsschutzgebieten des Fulerumer Feldes, am Auberg, in Selbeck oder im Winkhauser Tal stellen, hatte der Ausschuss Rederecht eingeräumt. Die Diskussion blieb ruhig, ohne dass die Diskutanten freilich darauf verzichteten, sich klar zu positionieren.

Spliethoff (SPD): Wir wollen keine CO2-Schleudern dahinsetzen

Wirtschaftsförderer Dönnebrink ließ zunächst die von ihm eingeschalteten Gutachter sprechen. Sie machten anhand von allerlei Zahlen ihre Sicht deutlich, dass der Wirtschaftsstandort Mülheim in jüngerer Vergangenheit massiv an Kraft eingebüßt habe und die Stadt dringend der Gewerbeflächennot zu begegnen habe. Brigitte Erd (Grüne) präsentierte wiederum Zahlen, die für sie Mülheim „gar nicht so scheiße“ darstellen.

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Während die CDU sich zurückhaltend äußerte, wurden SPD, FDP und Bürgerlicher Aufbruch schon deutlicher. SPD-Fraktionschef Dieter Spliethoff betonte wie andere zwar, dass die jetzt anstehende Prüfung zahlreicher Flächen keine Vorentscheidung sei. Es gehe aber darum, den Diskussionsprozess voranzutreiben. „Wir wollen keine CO2-Schleudern dahinsetzen, wir wollen eine behutsame Entwicklung von Gewerbegebieten“, sagte er. Es gelte, die Einnahmesituation der Stadt zu verbessern, um so unpopuläre Entscheidungen wie die Grundsteuer-Erhöhung 2019 in Zukunft vermeiden zu können.

Hartmann (BAMH): Allein mit einer grünen Wohnstadt ist keine Zukunft zu machen

BAMH-Fraktionschef Jochen Hartmann pflichtete Spliethoff da bei. „Allein mit einer grünen Wohnstadt ist keine Zukunft zu machen, zumindest nicht, so lange es keinen gemeinsamen Gewerbesteuer-Pool der Städte gibt“, sagte er. Die Stadt brauche dringend zusätzliche Einnahmen, um moderne Schulen, Kitas, insgesamt eine lebendige Stadt finanzieren zu können.

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Fraktionskollege Martin Fritz mahnte an, „an der Schwelle zur nächsten technischen Revolution“, die der Wirtschaft bevorstehe, die Chance zu ergreifen und moderne Wirtschaft an Mülheim zu binden. Er verwies darauf, dass es andernorts mitunter gelänge, moderne Gewerbeflächen so zu entwickeln, dass diese sogar einen Mehrwert für Umwelt und Klima brächten als Glyphosat-behandelte Äcker.

Beitz (FDP): Erst mal nachverdichten, bevor ich den Auberg bepflastere

Der Protest vor der Sondersitzung im Haus der Wirtschaft blieb überschaubar.
Der Protest vor der Sondersitzung im Haus der Wirtschaft blieb überschaubar. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die Politik erhöhte den Druck auf die Stadtverwaltung, mehr als bisher zu tun für eine Reaktivierung brachliegender Wirtschaftsflächen. „Wir sind nicht in der Lage, mit den örtlichen Playern auf Augenhöhe zu sprechen“, beklagte Peter Beitz (FDP) in indirekter Kritik am OB die Abwesenheit eines „Maklers für diese Stadt“. Erst mal gelte es doch nachzuverdichten, „bevor ich wieder den Auberg bepflastere“. In die Kerbe schlug auch Gerd-Wilhelm Scholl (MBI). Er benannte wie Beitz gleich reihenweise Flächen, die untergenutzt sind.

Die Bürgerinitiativen gegen die Ausweisung von Wirtschaftsflächen in umweltsensiblen Gebieten unterstrichen, dass sie im Fall der Fälle gewappnet sein würden, mit Tausenden Unterstützern Widerstand zu leisten. Sprecher der Bürgerinitiative Fulerumer Feld etwa betonten, dass allein schon mit dem Klimagutachten der Ruhr-Uni genügend Fakten gegen ein Gewerbegebiet im Kaltluftentstehungsgebiet südlich der Velauer Straße vorlägen.

Dezernent Vermeulen grenzte sich erneut deutlich vom Dönnebrink-Papier ab

Ein „altmodisches Konzept“ hätten die Gutachter da vorgelegt, sagte ein Vertreter der Initiative „Rettet den Auberg“. Längst gehe es doch nicht mehr darum, Stadtplanung ökonomischen Interessen zu unterwerfen. „Die Ökonomie müsste sich die Ökologie zum Vorbild nehmen.“ Das möge die Stadt beherzigen, „allein des Stadtfriedens wegen“.

In jene Richtung argumentierte auch Umwelt-, Planungs- und Wirtschaftsdezernent Peter Vermeulen. Der Flächenverbrauch sei zu minimieren. Mülheim profitiere nicht unerheblich davon, dass es sich als Wohnstadt im Grünen profiliert habe. Er verwies darauf, dass sich die Einnahmen der Stadt aus der Einkommensteuer in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt haben. „Wenn ich eine Strategie entwickeln soll, dann keine, die mir die Wohnstadt kaputt macht“, so Vermeulen, der sich erneut deutlich abgrenzte vom Papier Dönnebrinks.

Dieser bot den Initiativen Vor-Ort-Termine an. Es sei wichtig, Sachargumente auszutauschen und das Emotionale außen vor zu halten. Gleichsam ermahnte Dönnebrink die Politik zur Eile. Er werde „sie quälen, wenn ich den Eindruck habe, der Prozess geht mir zu langsam“.