Mülheim. Die Wirtschaft war Sturm gelaufen gegen Mülheims restriktive Gewerbeflächenpolitik. Interims-Wirtschaftsförderer Dönnebrink plant die Kehrtwende.
Hendrik Dönnebrink, Interims-Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung „Mülheim & Business“ (M&B), deutet an, die Industrie- und Gewerbepolitik der Stadt in eine andere Richtung wenden zu wollen, als sie der gescheiterte Masterplan-Entwurf zuletzt skizziert hatte. Es sollen mehr neue Wirtschaftsflächen her, auch auf grüner Wiese.
Rückblick: Im Frühjahr hatte die Stadtverwaltung unter Federführung von Wirtschaftsdezernent Peter Vermeulen und dem zwischenzeitlich ausgeschiedenen M&B-Geschäftsführer Jürgen Schnitzmeier einen Entwurf für den „Masterplan Industrie und Gewerbe“ vorgelegt, der für die nächsten zehn bis 15 Jahre im Kern eine behutsame Flächenentwicklung mit zusätzlichem Potenzial von 28 Hektar vorsah.
Massive Kritik am Masterplan kam aus der Wirtschaft
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Das Papier erntete massive Kritik von IHK und Unternehmerverband. Es stütze den „dramatischen Negativtrend“ der vergangenen Jahre am Wirtschaftsstandort, hieß es. Insbesondere die Flächenpolitik stieß auf Kritik, weil sie den seit Jahren vorherrschenden Notstand an Gewerbeflächen ungenügend begegne. Die Regionalplaner hatten einen Bedarf von 90 Hektar neuer Wirtschaftsflächen in Mülheim gesehen.
Erst schmiss Wirtschaftsförderer Schnitzmeier, der jahrelang erfolglos eine Kehrtwende in der Gewerbeflächenpolitik eingefordert hatte, das Handtuch. Schließlich kassierte im Juni die Ratspolitik den Masterplan-Entwurf als untauglich ein.
IHK sieht Mülheim als Sorgenkind der MEO-Region
Seither, so ist zu vernehmen, laufen allerlei Sondierungen im Hintergrund. IHK und Unternehmerverband versuchen, der Ratspolitik den Ernst der Lage zu vermitteln und sie für ihre Interessen zu gewinnen. Die IHK stempelte Mülheim jüngst in aller Öffentlichkeit zum „Sorgenkind“ in ihrem Bezirk mit Essen und Oberhausen ab.
Interims-Wirtschaftsförderer Dönnebrink will nun offenbar noch einmal den Flächen-Kampf mit Wirtschaftsdezernent Vermeulen ausfechten. Im aktuellen M&B-Newsletter nimmt er die jüngste Schelte der IHK auf und gibt die Marschroute vor: „Dem zunehmenden Mangel an Industrie- und Gewerbeflächen müssen wir ernsthaft begegnen. Flächenengpässe müssen schnellstmöglich behoben und zusätzliche Flächenpotenziale in der gesamten MEO-Region gefunden werden, und zwar, indem wir auch Flächen berücksichtigen, die aufgrund von Restriktionen für Gewerbe und Industrie zwar potenziell geeignet sind, jedoch einen sensiblen Umgang mit Natur und Landschaft erfordern.“
Dönnebrink: Nur Brachflächen zu reaktivieren, wird nicht reichen
Dönnebrink stellt fest, dass den Anforderungen der örtlichen Wirtschaft nicht damit gedient sei, allein auf eine Reaktivierung von Brachflächen zu setzen. Für einen neuen Masterplan-Entwurf, mit dem im Herbst oder zum Ende des Jahres zu rechnen ist, skizziert Dönnebrink die Richtung. Ziel sei es, „Flächenpotenziale zu benennen und auszuweisen“.
Auch OB Ulrich Scholten hatte sich Ende April überraschend klar gegen die Marschrichtung seines Wirtschaftsdezernenten Vermeulen positioniert. Die Stadt brauche dringend Flächen für neue Firmen und Jobs. Ebenso müssten wachsende heimische Betriebe an der Ruhr gehalten werden, sagte er auf dem Arbeitnehmerempfang der Stadt. All das, nachdem er monatelang der Kritik der Wirtschaft ausgesetzt war, seiner Verantwortung für das wirtschaftliche Wohl des Standortes nicht gerecht zu werden.
Zukunftsatlas sieht Mülheim im Deutschland-Vergleich wenig dynamisch
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Während Ex-Wirtschaftsförderer Schnitzmeier es zuletzt stets vermieden hatte, auf Kennzahlen zum wirtschaftlichen Abwärtstrend einzugehen, redet Dönnebrink mit Blick auf den aktuellen Prognos Zukunftsatlas nun Tacheles. Im Ranking aller 401 deutschen Kommunen sieht dieser Mülheim nur mehr auf Rang 241, also im unteren Mittelfeld. Insbesondere wird herausgestellt, dass es der Stadt an wirtschaftlicher Dynamik mangele. Einen wenig schmeichelhaften Platz 375 belegt Mülheim gar in der Entwicklung von Wohlstand und der sozialen Lage.
Ergebnisse aus dem Prognos Zukunftsatlas
In den Prognos Zukunftsatlas sind für die 401 deutschen Kommunen 29 makro- und sozioökonomische Indikatoren (statisch und dynamisch) eingeflossen. Neben dem Gesamtranking, das Mülheim auf Platz 241 listet, gibt es vier untergeordnete Rankings sowie eine Rangliste zur Ist-Stärke des jeweiligen Wirtschaftsstandortes und zur dynamischen Entwicklung.
Auf dem Arbeitsmarkt schneidet Mülheim weiter vergleichsweise gut ab (Rang 108), auch im Bereich der Demografie (119). Einen Mittelfeld-Platz (201) belegt der Standort im Bereich „Wettbewerb und Innovation“. Alarmierend ist der 375. Rang im Bereich „Wohlstand & soziale Lage“.
Insgesamt zeigt der Zukunftsatlas einen Abwärtstrend für den Standort auf. Der Standort im Ist-Zustand wird besser bewertet (Rang 225) als dessen dynamische Entwicklung (Rang 281).
Im westlichen Ruhrgebiet schneidet Essen mittlerweile leicht besser ab als Mülheim, das lange die ruhrgebietsinternen Rankings angeführt hat.
Den Zukunftsatlas können Interessierte auf der Seite der Wirtschaftsförderung herunterladen.
Das Abschneiden im Städteranking verdeutliche „nach dem schlechten Städteranking im November 2018 noch einmal den Ernst der Lage und ist ein klarer Auftrag an die Politik und Wirtschaft, aktiv und entschlossen entgegenzusteuern“, so Dönnebrink. „Ab sofort sollte der Auftrag lauten, alles Notwendige und Mögliche zu tun, damit Mülheim nicht mehr weiter abrutscht, sondern seine Position sogar deutlich verbessert.“ In Richtung Politik ist wohl seine Botschaft gerichtet, Tempo aufzunehmen und zu entscheiden, „statt abzuwarten oder zu bremsen“.