Mülheim. . Unternehmer und IHK sehen mit dem Masterplan Industrie und Gewerbe den Standort Mülheim gefährdet. Scharfe Kritik erntet nicht nur OB Scholten.

In nie dagewesener Schärfe kritisieren Unternehmerverband und IHK die Stadt für ihre Standortpolitik, die aktuell Ausdruck findet im Entwurf für den Masterplan Industrie und Gewerbe, mit dem die strategische Ausrichtung für den nächsten zehn bis 15 Jahre skizziert werden soll. Werde der Masterplan in vorliegender Form politisch beschlossen, so Verband und Kammer, sei der Wirtschaftsstandort gefährdet. Im Fokus der scharfzüngigen Kritik: Wirtschaftsdezernent Peter Vermeulen und OB Ulrich Scholten.

Das Papier stütze den „dramatischen Negativtrend“, den der Standort schon in den vergangenen Jahren erlebt habe, nehmen Unternehmerverband und Industrie- und Handelskammer (IHK) insbesondere Anstoß daran, dass der Masterplan ihrer Sicht nach die Note ungenügend verdient. Er sei ungeeignet,um über Ansiedlungen und mehr Arbeitsplätze ein Kernziel zu erreichen, das für die überschuldete Stadt ganz oben auf der Agenda zu stehen habe: die Einnahmesituation der Stadt nachhaltig zu verbessern, ohne auf Steuererhöhungen zurückzugreifen. Nur so, sagt Hannspeter Windfeder vom Unternehmerverband, könne die hoch verschuldete Stadt wieder handlungsfähig und in die Lage versetzt werden, in Soziales, Kulturelles oder in Bildung und Infrastruktur zu investieren.

IHK beklagt „dramatischen Flächennotstand“

Ein Dorn im Auge ist der Wirtschaft insbesondere die Gewerbeflächenpolitik, die der Masterplan-Entwurf skizziert. „Wir können nicht mittragen, dass der Flächenbestand für klassische Gewerbe- und Industrieunternehmen faktisch nahezu zementiert wird“, sagt Veronika Lühl. Sie fordert, dass die Umwandlung von Freiraum in Wirtschaftsflächen im Einzelfall möglich werden müsse. Nur so werde der zusätzliche Flächenbedarf, den die Regionalplanung auf 90 Hektar taxiert hatte, zu decken sein. Im Masterplan ist nur ein Potenzial von 28 Hektar plus unsicherer Zukunft auf dem Flughafen-Areal benannt. Von einem „dramatischen Flächennotstand“ spricht Lühl, gar von einer „Frechheit“, Unternehmen eine Chance zur Entwicklung zu verwehren.

Windfeder erinnerte daran, dass „der Wirtschaftsstandort Mülheim seit Jahren in allen Rankings nach unten durchgereicht wird“. Der Masterplan eröffne nicht die Perspektive einer Trendwende. Es sei ein von der ökologischen Ideologie des Wirtschaftsdezernenten Peter Vermeulen getriebenes Papier, das den Wirtschaftsstandort Mülheim gefährde. „Unternehmen, die in dieser Stadt investieren wollen, immer wieder Steine in den Weg zu legen, ist indiskutabel, so Windfeder. Mit ihrer restriktiven Gewerbeflächenpolitik habe die Stadt sich in ihre heute misslicher Lage gebracht. Wenn der Masterplan so politisch beschlossen werde, sagt Windfeder, „werden wir abstürzen“.

IHK: 1000 Arbeitsplätze bringen 6 Millionen Euro

Wer 1000 Arbeitsplätze schaffe, so die Schätzung der IHK, verbessere seine Haushaltssituation strukturell um rund 6 Millionen Euro. Schon in der Vergangenheit habe Mülheim weit weniger von der allgemeinen Beschäftigungsentwicklung profitiert als Städte ringsum. Wenn Mülheim in den Jahren 2008 bis 2017 nur eine Entwicklung auf NRW-Schnitt genommen hätte beim Zuwachs sozialversicherungspflichtiger Jobs, so IHK-Geschäftsführer Heinz-Jürgen Hacks, gäbe es für den städtischen Etat eine positive Wirkung im Wert von jährlich circa 16 Millionnen Euro.

„Die faktische Zementierung des Flächenbestandes durch den Masterplan sowie der hierin deutliche Grundtenor der ,grünen Wohnstadt’ wird den Abwärtstrend weiter vorantreiben und sich beschleunigen“, prognostizieren Unternehmerverband und Kammer. Ansiedlungswillige Unternehmen müssten weiter abgewiesen werden, die Folge wären weitere Arbeitsplatzverluste und weiter sinkende Einnahmen.

Windfeder: Verwaltung ohne Führung

Unternehmenssprecher Windfeder übte scharfe Kritik an der Stadtverwaltung. Wirtschaftsdezernent Peter Vermeulen habe den Masterplan-Entwurf komplett seiner Ideologie untergeordnet, keine neuen Gewerbe- und Industrieflächen auszuweisen, „er blockiert die dringende Entwicklung in dieser Stadt“. Und dies entgegen der Ansichten von Wirtschaftsförderer Jürgen Schnitzmeier. Letztgenannter erfahre verwaltungsintern keine Unterstützung, weil es der Verwaltung an Führung mangele, so Windfeder mit deutlicher Kritik an Oberbürgermeister Ulrich Scholten. An dessen Referat ist die Wirtschaftsförderungsgesellschaft angedockt.

Die Lage am Wirtschaftsstandort Mülheim sei schon jetzt dramatisch, präsentierten Verband und Kammer am Donnerstag Zahlen, die im Masterplan nicht annähernd Erwähnung finden.

Standort hat 14,7 Prozent an Wertschöpfung verloren

Etwa habe Mülheim am wirtschaftlichen Aufschwung in den Jahren 2008 bis 2017 nur in geringerem Ausmaß partizipiert, blickt IHK-Geschäftsführer Heinz-Jürgen Hacks auf die Zahlen zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Mülheim habe nur um 9,7 Prozent zugelegt, damit sei die Entwicklung deutlich schlechter als in Bund (17,1), Land (14,5), Oberhausen (13,6) oder Essen (11,7). Dabei sei das positive Saldo in Mülheim im besagten Zeitraum noch getragen von einer starken Industrie, die zuletzt bekanntlich aber durch deutlichen Stellenabbau gekennzeichnet war. Allein 2018 habe Mülheim ein Stellen-Minus von 0,6 Prozent zu verzeichnen gehabt, im Ruhrgebiet habe hingegen die Beschäftigung um 2,3 Prozent zugenommen.

In puncto Wertschöpfung am Standort sei gar eine Abwärtsentwicklung festzustellen, so Hacks. Während das Bruttoinlandsprodukt NRW-weit von 2008 bis 2016 um rund 17 Prozent zugelegt habe, stehe für Mülheim ein Minus von 3,6 Prozent. Rechne man noch die Preissteigerung heraus, sei die Lage noch dramatischer. Dann habe Mülheim im besagten Zeitraum 14,5 Prozent an Wertschöpfungskraft eingebüßt.