Düsseldorf. . Selbst grottenschlechte Pflegeheime erhalten bisher die Note 1. Das soll sich ändern. Ab November soll mehr Ehrlichkeit in die Bewertung.

Weil auf das Notensystem zur Beurteilung von Pflegeheimen („Pflege-TÜV“) kein Verlass ist, müssen sich Heimpersonal, Pflegebedürftige und ihre Familien ab November in ganz Deutschland auf andere Qualitätsprüfungen einstellen. „Das neue System wird die Art und Weise, wie die Qualität von Pflegeeinrichtungen bewertet und dargestellt wird, vollkommen verändern“, kündigte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Freitag bei einer Info-Veranstaltung für Pflege-Fachkräfte an.

Während das bisherige System die Pflegekräfte zur ausführlichen Dokumentation verpflichtet, soll im neuen System weniger Wert auf Papierkram gelegt und das Wohlergehen der Heimbewohner in den Mittelpunkt gerückt werden. „Es muss nicht mehr jede Kleinigkeit aufgeschrieben werden, sagte Pflegewissenschaftler Klaus Wingenfeld. Bürger sollen leichter erkennen können, ob ein Heim besser ist als der Durchschnitt.

Qualitätsunterschiede sind riesig

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Portraitfoto von Matthias Korfmann am Dienstag,28.02.2017, als Kommentarfoto. Foto: Kai Kitschenberg/Funke Foto Services
Von Matthias Korfmann

Beim Blick auf die offiziellen Noten für Pflegeheime könnte man meinen, jeder Heimbewohner lebe in einer Top-Einrichtung. Tatsächlich sind die Qualitätsunterschiede riesig. Bereits ab November und flächendeckend bis 2020 wird dieses Bewertungssystem in ganz Deutschland komplett umgekrempelt.

Vater dieser neuen und – so die Hoffnung – viel besseren Bewertung ist Klaus Wingenfeld, Pflegewissenschaftler an der Uni Bielefeld. Er versichert: „Im Mittelpunkt steht künftig die Frage, wie es dem Bewohner geht.“

Warum wird ein neues System eingeführt?

 Karl-Josef Laumann (CDU, l), Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, nennt das alte Pflegenoten-System „Irrsinn“. Neben ihm: Klaus Wingenfeld (r), Geschäftsführer des Instituts für Pflegewissenschaft der Uni Bielefeld, Er ist einer der Väter des neuen Bewertungssystems.
Karl-Josef Laumann (CDU, l), Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, nennt das alte Pflegenoten-System „Irrsinn“. Neben ihm: Klaus Wingenfeld (r), Geschäftsführer des Instituts für Pflegewissenschaft der Uni Bielefeld, Er ist einer der Väter des neuen Bewertungssystems. © Roland Weihrauch/dpa

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bezeichnete das alte Notensystem am Freitag als „Irrsinn“. Es habe „überhaupt keine Bedeutung“. Die Nachrichten sind voller Geschichten über Heime mit haarsträubenden Mängeln, die dennoch immer wieder beste Noten erhalten. Eine Eins ist Standard und deshalb für viele Experten bloß eine „Irreführung“ für die Öffentlichkeit.

Was rückt an die Stelle der Noten?

„Ein Bewertungssystem mit zwei Säulen“, erklärt Klaus Wingenfeld. Die erste Säule ist das Erfassen der Pflegeleistungen durch die Heime selbst. Sie müssten aber nicht mehr jede Kleinigkeit dokumentieren. Das stärke die fachliche Rolle der Mitarbeiter und ihre Verantwortung, heißt es „Die Heime beurteilen sich aber nicht selbst“, betont Wingenfeld.

Die zweite Säule ist die Kontrolle durch unabhängige Kontrolleure. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) untersuche die Heime weiter. Die Prüfer kontrollieren in Stichproben, ob die Angaben zu den Pflegeleistungen stimmig sind. Sie sollen auch Bewohner persönlich befragen können. „Der Prüfer darf mit dem Einverständnis des Bewohners auch unter die Bettdecke gucken“, so Wingenfeld.

Wie erkennt man gute und schlechte Heime?

Der erste Schritt ist das Ermitteln eines Durchschnittswertes in Deutschland für Pflegeleistungen. Damit wird sozusagen ein fiktives Heim beschrieben, das genau im Mittelwert liegt. Vorläufige Daten dazu aus mehreren Hundert Einrichtungen liegen bereits vor. Mit der Zeit fließen immer mehr Daten in diese Erfassung ein und machen den Durchschnittswert belastbarer.

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Auf den Internetseiten der Pflegekassen und anderen Portalen soll dann sichtbar sein, wie gut ein echtes Heim abschneidet, also ob es weit über, leicht über, nahe am, leicht unter oder weit unter dem Durchschnitt liegt. Das ganze wird auf zehn verschiedene Themen bezogen.

Ist das nicht furchtbar kompliziert?

Viel komplizierter als eine Note. Auf den ersten Blick erschließt sich die Qualität eines Heimes dem Laien sicher nicht, aber das ist ja auch heute – trotz oder wegen der Note – so. Die Erfinder des neuen Systems beschreiben dies positiv: Die Information werde „reichhaltiger“. Heißt: Der Betrachter kann zum Beispiel erkennen, ob sich eine Einrichtung auf Demenzerkrankungen spezialisiert hat und hier überdurchschnittlich gut arbeitet, ob es dort besondere soziale Angebote gibt oder ob Rücksicht auf religiöse Einstellungen genommen wird.

Was bedeutet das für NRW?

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Die Hoffnung von Gesundheitsminister Laumann ist, dass das neue Bewertungssystem Erkenntnisse dazu liefert, wie gut die NRW-Pflege im Bundesvergleich ist. Das ist aus seiner Sicht besonders interessant, weil NRW in der Pflege in praktisch jeder Hinsicht auffallend „hochpreisig“ sei. Zum Beispiel wird in NRW ein vergleichsweise hoher Eigenanteil von 2300 Euro im Monatfällig. Das ist der Teil der Pflegekosten, den die Bewohner selbst zahlen müssen. Wenn das neue Bewertungssystem zu einer „Rangliste“ der Länder führt, sei zu erkennen, ob die „teure“ Pflege in NRW auch besser ist, hofft Laumann.

Wo können sich Interessierte informieren?

NRW stellt das System dem Heimpersonal in „Regionalveranstaltungen“ vor. Am Freitag begann die Reihe in Düsseldorf vor 300 Gästen. Die nächsten Termine: Bielefeld (6. Mai), Münster (10. Mai), Köln (16. Mai), Dortmund (20. Mai). Infos auf den Seiten des Ministeriums: www.mags.nrw

>>> Immer mehr Pflegebedürftige

Derzeit gibt es in NRW rund 2200 vollstationäre Pflegeeinrichtungen. Im Jahr 2017 wurden hier rund 770.000 Pflegebedürftige erfasst. Laut einer schon etwas älteren Prognose dürfte die Zahl der Pflegebedürftigen in NRW bis zum Jahr 2055 auf knapp 950.000 steigen. Weil Pflegebedürftigkeit heute anders definiert wird, dürfte diese Zahl auf deutlich über eine Million steigen, so das Gesundheitsministerium.