Mülheim/Essen. . Ein Bachlauf und ein muslimisches Gräberfeld stehen der artgerechten Freilandhaltung von Weideschweinen im Weg: wenn Bürokratie zur Posse gerät.
Eigentlich sollten einige dutzend Weideschweine längst über eine der Wiesen von Landwirt Gerd Pieper galoppieren. Gemeinsam mit dem Essener Bio-Metzger Bernd Burchardt möchte Pieper die artgerechte Schweinemast einführen und das Fleisch an einen wachsenden Kundenstamm vermarkten. Doch was auf Bauernhöfen in Goch und Langenberg längst gut funktioniert, gestaltet sich in Mülheim schwierig: Nun wird für mobile Unterstände – die nicht mehr als ein Wetterschutz sind – eine Baugenehmigung gefordert: eine weitere bürokratische Hürde in einer langen Liste kaum verständlicher Anforderungen und Bedenken. So bereiten der Stadt offenbar auch der Gewässer- und Bodenschutz sowie die Nachbarschaft zum Mülheimer Hauptfriedhof Sorgen.
Weideschwein-Initiative zählt bereits 500 Mitglieder
Landwirt Pieper will zu dem Thema keine Stellung nehmen – zu groß ist mittlerweile die Sorge, jemanden bei der Stadt zu vergrätzen. Er beteuert lediglich den unbedingten Willen, auf ökologische Landwirtschaft umzustellen – wenn er denn darf. Und auch Metzger Bernd Burchhardt gibt sich bedeckt: „Wir wollen das Projekt unbedingt umsetzen und gut mit der Stadt zusammenarbeiten.“
Etwas auskunftsfreudiger ist Elmar Damke, pensionierter Unternehmensberater. Der 65-Jährige begleitet das gesamte Verfahren von Beginn an, stellt Anträge und holt Genehmigungen ein: und zwar aus persönlicher Überzeugung für das Thema. Damke war selbst lange in der konventionellen Fleischproduktion tätig, auch für Schlachthöfe. Im Laufe der Zeit wuchs sein Interesse an artgerechter Haltung. „Ich weiß, wie Massentierhaltung aussieht. Und ich weiß, dass das ganz sicher der falsche Weg ist“, sagt er heute.
Er gehört selbst der „Weideschwein-Initiative“ an, zahlt wie 500 weitere Mitglieder monatlich 18 Euro, um das Projekt zu unterstützen. Dafür bekommt er das Fleisch etwas günstiger und weiß, dass die Tiere unter guten Bedingungen aufwachsen. „Wir waren im Raum Essen und Umgebung auf der Suche nach Partnern. Die beiden Flächen zwischen Essen und Mülheim wären ideal“, sagt er zu den beiden mehr als fünf Hektar großen Flächen an der Zeppelinstraße. Jeweils abwechselnd sollen sie das neue Zuhause für die Weideschweine werden.
Ende 2017 hatten sie ihr Vorhaben der Stadt vorgestellt, Damke schrieb dazu ein umfassendes Konzept. Bislang seien seitens der Stadt aber ausschließlich Bedenken geäußert worden, bedauert Damke: „Statt sich mit uns zusammenzusetzen und gemeinsam zu schauen, wie wir mögliche Probleme ausräumen können, werden wir mit immer neuen Schwierigkeiten konfrontiert.“
Die Stadt indes beteuert, das bislang noch kein Antrag vorliege: Bislang seien nur Stellungnahmen abgegeben worden. Mülheim stelle sich nicht gegen artgerechte Haltung, allerdings sei das Konzept von Elmar Damke noch nicht ausreichend, heißt es von der Wasserschutzbehörde.
Kaum Erfahrungen mit Freilandhaltung von Schweinen mehr
So befürchtet die untere Wasserbehörde durch den Schweine-Mist negative Folgen für den nahe liegenden Forstbach. „Problem ist“, sagt Damke, „dass es in NRW heutzutage kaum noch Erfahrung mit der Freilandhaltung von Schweinen gibt.“ Daher stützen die städtischen Ämter ihre Bedenken lediglich auf Fachliteratur, wie auch das Umweltamt in seiner Stellungnahme schreibt. Darüber hinaus fürchtet das Amt, dass durch die wühlenden und suhlenden Schweine der Boden abrutschen kann – die Fläche am Hang sei daher gänzlich ungeeignet. Nicht zuletzt müsse die Anzahl der Tiere deutlich gesenkt werden, damit der Boden in dem Landschaftsschutzgebiet nicht zu viel Schaden nimmt. „Wir sind ja bereit, alle Auflagen zu erfüllen und mit weniger Tieren zu starten – nur würden wir irgendwann gern einfach mal anfangen“, sagt Damke.
Stattdessen schaltete sich im vergangenen Jahr bereits die Mülheimer Bauaufsichtsbehörde ein: Da eine Teilfläche direkt an ein muslimisches Gräberfeld des Mülheimer Hauptfriedhofs angrenze, könne dafür keine Genehmigung erteilt werden.
Damke lassen manche Zeilen aus den Ämtern fassungslos zurück: „Wir würden doch niemals Schweine neben einem Gräberfeld halten oder religiöse Gefühle verletzten wollen. Die von uns ausgeguckte Teilfläche liegt aber tatsächlich in 300 Meter Entfernung und wird außerdem noch durch ein kleines Wäldchen abgetrennt. Das sollte auch die Bauaufsicht wissen“, sagt Damke.
Er glaubt noch immer fest an das Projekt und will es auch weiter unterstützen – allen Widrigkeiten zum Trotz: „Ich habe Anlagen in Mecklenburg-Vorpommern gesehen“, sagt Damke, „da werden bis zu 40.000 Tiere gehalten. Das ist eine reine Fabrik.“ Es sei kaum verständlich, warum so etwas genehmigt werden könne, die Haltung von Weideschweinen unter freiem Himmel aber solche Probleme bereite.