Mülheim. Mülheims SPD und CDU wollen in Sachen Nahverkehr derzeit völlig unterschiedliche Wege gehen. Eine Zerreißprobe im Bündnis bahnt sich an.

Gemeinsam haben CDU, SPD und Grüne beschlossen, dass der ÖPNV einen Beitrag zum Haushalt der Stadt leisten muss – sieben Millionen Euro. Gemeinsam haben die drei Fraktionen das von der Verwaltung vorgelegte Streichkonzert mit dem euphemistischen Untertitel „Harmonisierung des Liniennetzes“ abgelehnt. Doch mit der Harmonie könnte bald Schluss sein. SPD und CDU wollen in Sachen ÖPNV derzeit völlig unterschiedliche Wege gehen. Eine Zerreißprobe im Bündnis bahnt sich an.

Erst die Bürger befragen und mit Interessensgruppen wie Tramvia sprechen, dann entsprechende Pläne aufstellen – das ist der Weg, den die Union just beschreitet. Am vergangenen Samstagmorgen hat sich die CDU-Gruppe Stadtmitte an der Leineweberstraße, Ecke Kohlenkamp aufgestellt. Sparen, heißt die Marschrichtung: „Wir müssen den Doppelverkehr entrümpeln, einen Kurs rein bekommen“, sagt CDU-Sprecher Markus Püll, mit dem Ziel, „in zwei bis drei Jahren wieder investieren zu können“. Wenn der Haushalt in einer besseren Lage ist.

Schwach befahrene Strecken sollen in Mülheim mit Bussen auf Anfrage bedient werden

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Sparen, ohne kaputt zu sparen – das soll möglich sein, glaubt Püll, indem man die verbleibenden Linien stärkt wie etwa die Anbindungen an die Straßenbahn 901. Nur gut 15 Prozent der Mülheimer nutzen angeblich den Nahverkehr. Schwach befahrene Strecken sollten nach Vorstellung der CDU deshalb mit Bussystemen „auf Anfrage“ bedient werden.

Ein Pilotprojekt „myBus“ gibt’s derzeit in Duisburg. Ein mögliches Vorbild, „aber wir haben ja nicht einmal aktuelle Fahrgastzahlen von der Ruhrbahn, sondern nur die von 2012 – das geht überhaupt nicht!“, fordert CDU-Fraktionsgeschäftsführer Hansgeorg Schiemer verlässliche Zahlen und ein bewegliches Nahverkehrssystem, das Bedarfe erfasst und darauf reagiert.

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Indes steigen die Ansprüche der Kunden: Der Schulverkehr muss besser mit den Schulen abgestimmt werden. Schüler sollten mit dem Schoko-Ticket auch das Fahrrad mitnehmen dürfen. Der Fahrkartenkauf soll einfacher und günstiger werden, zum Beispiel über Apps, die nur die gefahrene Strecke abrechnen. Das sind Anregungen, die die Schwarzen am Samstagmorgen gesammelt haben. Das Sparen könnte am Ende zum schmerzvollen Spagat werden.

Mülheims SPD will durch mehr Einnahmen im ÖPNV sparen

Die SPD dagegen hat gedanklich längst umgesattelt: Sparen? Kann man auch durch mehr Einnahmen, so der Grundgedanke der Genossen am Donnerstagabend im Kloster Saarn. Nur müsste das Angebot dafür attraktiver werden – und das bedeutet in der Regel „Investition“. Gut zehn Millionen Euro würde es beispielsweise kosten, wenn man die U18 bis zur Hochschule fahren ließe, weil dafür aufgrund von unterschiedlichen Spurbreiten eine dritte Schiene verlegt werden muss. Und auf dem Grundstück neben der Hochschule braucht es außerdem eine Endstation.

Vorteil für Mülheim: Dieser Ausbau würde wohl zu 90 Prozent vom Land und Bund bezuschusst. Rund 20 Änderungsanträge zum Sparplan der Ruhrbahn hat die SPD für die kommende Ratssitzung vorbereitet und wirbt damit aktiv um Unterstützung bei den Bürgern. Darunter Ideen wie Verlängerung der U18, Busse auf Anforderung, Verbesserung von Taktungen und Anschlüssen bei Umstiegen. Gespart werden soll etwa am Parallelverkehr von Bussen und Straßenbahn.

SPD: Ruhrbahn und Verwaltung haben keine verlässlichen Zahlen geliefert

Im Kloster Saarn – wo etwa 30 Mülheimer teilnahmen – ist vieles davon auf offene Ohren gestoßen. Allerdings gibt es auch Kritik: Was ist davon realistisch umsetzbar, angesichts der harten Sparvorgaben? Daniel Mühlenfeld, verkehrspolitischer Sprecher der Mülheimer SPD-Fraktion, hält das Konzept zu investieren statt nur zu sparen für realistisch. Zumal auch er kritisiert: Ruhrbahn und Verwaltung haben keine verlässlichen Zahlen zum Hintergrund ihres Konzepts geliefert. Die Kalkulation der Einsparungen und vor allem der Einnahmeausfälle seien nicht mehr als Vermutungen. „Wenn die Bezirksregierung Düsseldorf diese ‘Kalkulation’ der Ruhrbahn akzeptiert, dann kann ich auch für unser Konzept eine Rechnung aufstellen, die sieben Millionen spart.“

Dabei setzt die SPD offenbar auf zwei Pferde: Zum einen müssen sich die vollen Einsparungen bzw. Mehreinnahmen erst bis 2023 ergeben. Zum anderen bringt sie die Bezirksregierung in einen Zugzwang, weil diese einerseits zwar auf Einsparungen im Haushalt pochen muss, andererseits aber auch den Erhalt des ÖPNV sichern muss. Mühlenfeld ist deshalb zuversichtlich: „Die Bezirksregierung wird bei unserem Vorschlag keine Einwände haben.“ Die Lokalpolitik steht damit aber vor der Frage: Sparen oder investieren? Noch fehlt die gemeinsame Vision.