Essen. Bei der Spardiskussion in Mülheim geht es auch um die Zukunft der Ruhrbahn. Die Schwächen liegen nun offen.
Es ist noch keine zwei Jahre her, da herrschte Champagnerlaune im Erzhof, dem Sitz der Ruhrbahn. Im Blitzlichtgewitter der Fotografen unterzeichneten Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) und sein Mülheimer Amtskollege Ulrich Scholten (SPD) die Gründungsverträge für die neue gemeinsame Nahverkehrsgesellschaft. Es sollte nur der erste Schritt sein. Das Ziel: Ein Verkehrsbetrieb für das ganze Ruhrgebiet. Davon, so scheint es, ist die Ruhrbahn weiter entfernt denn je. Die gute Laune ist dahin.
Am Donnerstag demonstrierten 500 Bürger vor dem Mülheimer Rathaus gegen drastische Kürzungspläne im öffentlichen Personen-Nahverkehr. Die hoch verschuldete Nachbarstadt, die um einen ausgeglichenen Haushalt ringt, hat vorgeschlagen, das Angebot bei Bussen und Bahnen um satte 30 Prozent zurückzufahren und dadurch sieben Millionen Euro pro Jahr einzusparen. Wichtige städteübergreifende Verbindungen wie die Straßenbahnlinie 104 nach Essen sollten gekappt oder wie die Linie 901 nach Duisburg durch Busse ersetzt werden. Die Gewerkschaft Verdi spricht von einem Kahlschlag. Auch in Essen bekamen Fahrgäste hautnah mit, was den Mülheimern droht: Weil sich Fahrer der Ruhrbahn nach einer kurzfristig einberufenen Betriebsversammlung an der Protestkundgebung beteiligten, standen auf zahlreichen Linien die Räder still.
Dabei war die Ruhrbahn doch angetreten, um das Angebot im öffentlichen Nahverkehr zu erhalten, bestenfalls sogar auszubauen, was in Essen dank öffentlicher Fördergelder sogar der Fall ist. In der vom Bund auserkorenen Modellstadt für saubere Luft fahren einige Linien seit dem Fahrplanwechsel im Fünf-Minuten-Takt.
In Mülheim steuert die Ruhrbahn in die entgegengesetzte Richtung. Zwar liegen die Streichpläne im Mülheimer Rathaus vorerst auf Eis; nicht zuletzt, weil die Verkehrsaufsicht der Bezirksregierung in den Kürzungen einen Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben sieht. Vom Tisch ist das Szenario aber nicht. An ihren Sparvorgaben hält die Mülheimer Politik weiter fest. Nach den Sommerferien sollen aktualisierte Sparpläne auf den Tisch. Sieben Millionen Euro einzusparen sei aber ohne Kürzungen beim Angebot nicht möglich, heißt es von Seiten der Ruhrbahn. Die Verkehrsplaner im Erzhof bringt das in eine schizophrene Situation. Von einem Nahverkehr aus einem Guss kann bei der Ruhrbahn jedenfalls keine Rede sein.
Für den Fahrgastverband Pro Bahn ist die Entwicklung bei der Ruhrbahn keine Überraschung
Für Lothar Ebbers, den Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn, ist das keine Überraschung. „Wenn man sich einen Kämmerer ins Haus holt, dann weiß man was man bekommt“, sagt Ebbers und spielt damit auf Uwe Bonan an, ehemals oberster Kassenwart der Stadt Mülheim und heute einer von zwei gleichberechtigten Vorständen der Ruhrbahn.
Dort sei er bis heute nicht angekommen. Bonan hängt der Ruf eines Sparkommissars nach, was bei einem Unternehmen, das am Tropf der Kommunen hängt, zunächst nicht schlecht sein muss. Von Nahverkehr habe Bonan jedoch keine Ahnung, urteilt Ebbers. „Neben Herrn Feller ist er ein absoluter Amateur.“
Vorstand Michael Feller war schon Chef der Essener Verkehrs-AG, ist ein Eigengewächs des Unternehmens, beschrieben wird er als anerkannter Fachmann, aber – verglichen mit seinen Vorgängern – als wenig durchsetzungsstark. Dass Feller bei der Ruhrbahn nicht alleine den Hut auf hat, gilt als Zugeständnis der Essener Seite an die Mülheimer.
„Sicherlich wünschen wir uns als Verkehrsunternehmen mehr Nahverkehr“, sagt Feller, angesprochen auf die Kürzungspläne in Mülheim, bei denen die Ruhrbahn nur „beratend tätig“ gewesen sei. Die Ruhrbahn müsse den Vorgaben der Städte folgen. In dieser Rolle ist sie Diener zweier Herren. Kritiker sehen hier den Geburtsfehler des gemeinsamen Nahverkehrsunternehmens. Denn bei der Gründung der Ruhrbahn handelte es sich de facto nur um eine Scheinfusion. Entstanden ist ein kompliziertes Konstrukt aus steuerlichen Gründen. An der gemeinsamen Ruhrbahn AG hält die Stadt Mülheim 25 Prozent. Gemessen am eingebrachten Betriebsvermögen sei dies sehr großzügig bemessen, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Neben der Ruhrbahn GmbH gibt es noch die Ruhrbahn Mülheim GmbH, eine 100-prozentige Tochter der Nachbarstadt, welche die dortigen Linienkonzessionen hält und die in Mülheim erzielten Einnahmen für sich verbucht. Diese Konstruktion erlaubt es beiden Städten, Gewinne lukrativer Tochtergesellschaften gegen Verluste im Nahverkehr aufzurechnen. Ob es auf Dauer trägt, bleibt abzuwarten. Private Busunternehmen versuchen die Ruhrbahn auf dem Rechtsweg sturmreif zu schießen, indem sie gegen die praktizierte Direktvergabe der Nahverkehrsleistungen vorgehen. Ausgang offen.
Über das jeweilige Angebot entscheidet bis auf weiteres jede Stadt für sich. Und das, wie das Mülheimer Kürzungsszenario zeigt, im Zweifel auch gegen die Interessen des Partners und Nachbarn. Der gemeinsame Aufsichtsrat der Ruhrbahn soll von den Streichplänen jedenfalls überrascht worden sein.
OB Thomas Kufen zieht aus dem Konflikt erste Lehren: ein gemeinsamer Nahverkehrsplan muss her
Oberbürgermeister Thomas Kufen zieht aus dem Konflikt folgende Lehre: „Wir müssen jetzt die Weichen stellen für einen Nahverkehrsplan für beide Städte.“ Einen solchen könnte es längst geben. Schon zu Zeiten von Via hatte das Beratungsunternehmen Deloitte den Kommunen die Gründung eines Zweckverbandes nahegelegt. Der Vorteil aus Sicht der Berater: Die Städte müssten sich im Zweckverband abstimmen und könnten nur einheitlich Einfluss auf den gemeinsamen Nahverkehrsbetrieb nehmen. Dieser müsse „keine Partikularinteressen“ mehr verfolgen, heißt es in den von Deloitte vorgelegten Konzept wörtlich. Das von den Kommunen bislang praktizierte Steuermodell wäre nach Einschätzung der Berater übrigens unangetastet geblieben. Der Zweckverband wurde nie gegründet. Widerstände und Beharrungskräfte waren offenbar zu stark. „Die Kirchtürme waren höher“, formuliert ein Insider.
Via, die gemeinsame Nahverkehrsgesellschaft von Essen, Mülheim und Duisburg ist Geschichte, Duisburg ist ausgestiegen. Und wie geht es mit der Ruhrbahn weiter? Rolf Fliß, Ratsherr und Vertreter der Grünen im Aufsichtsrat, sieht die gemeinsame Geschäftsgrundlage nicht mehr gegeben. Seine Sorge: „Der kranke Apfel steckt den gesunden an.“ Fliß plädiert dafür, sich von dem Partner zu trennen. Es wäre das Aus für die Ruhrbahn. Und eine schwere Hypothek für alle Versuche, Nahverkehr irgendwann nicht mehr als Stückwerk Stadt für Stadt, sondern für die gesamte Region aus einem Guss zu organisieren. Nur dann, so die verbreitete Meinung, könnte der ÖPNV im Ruhrgebiet endlich Anschluss finden an das Niveau von Metropolen wie Berlin oder München.
Sollte das Projekt einer gemeinsamen Verkehrsgesellschaft tatsächlich ein weiteres Mal scheitern, wäre das auch eine empfindliche politische Niederlage für Oberbürgermeister Thomas Kufen, dem es sonst mit schlafwandlerischer Sicherheit gelingt, jedes Feuer auszutreten, bevor es raucht. Diesmal nicht. Bei der Ruhrbahn brennt es lichterloh.