Mülheim. Seit Wochen laufen Schnupperkurse; das Interesse ist riesig. Bis Herbst sollen Angebote hinzukommen. Was noch fehlt, ist ein zentraler Lern-Ort.

Die Geduld, die fehlt manchen „Mini da Vincis“ noch. Im gleißenden Sonnenlicht sollen die sechs bis zehn Jahre alten Studenten der Junior-Uni Ruhr (Juni) ihre Hand möglichst lang auf einem mit lichtempfindlicher Farbe bestrichenen Blatt Papier liegen lassen. Der ein oder andere aber lünkert – und so läuft das chemische Experiment nicht überall rund. Mal mehr, mal weniger intensiv zeichnen sich die Hand-Abdrücke auf den mit Kaliumhexacyanoferrat und Ammoniumeisencitrat behandelten Bögen ab. Dabei hat Dozentin Angelika Vienken sogar Goethe bemüht: „Nicht Kunst und Wissenschaft allein, Geduld will bei dem Werke sein.“

Es ist Donnerstag, kurz nach drei. Sechs Jungen und vier Mädchen sind nach Speldorf ins „Spieldorf“ gekommen, wo der Schnupperkurs bis Mitte Juni stattfindet. Das Interesse daran war riesig, berichtet Projektbegleiterin Anke Hötzel: „Allein für die ,Mini da Vincis’ hatten wir fünf Mal so viele Anmeldungen wie Plätze.“

Das Los entschied, wer zur ersten Forscher-Generation gehören darf

Das Los also entschied, wer zur ersten Forscher-Generation der Juni gehören darf, wer sich mit wissenschaftlichen und künstlerischen Mitteln an naturwissenschaftliche Phänomene herantasten kann.

Lotta hatte Glück. Genau wie eigentlich auch ihre Mutter, die Chemielehrerin ist, „und gesagt hat, geh mal zu dem Kurs“. Experimente zu Hause sind eine Sache, Experimente in einer bunten Gruppe Gleichaltriger eine andere. Auch Marie (7) mag das, findet „solche Sachen total toll und spannend“.

Am 29. Juni tagt der Kinder-Beirat zum ersten Mal

Geschäftsführerin der Junior-Uni Ruhr ist Mülheims ehemalige Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld. Projektbegleiterin Anke Hötzel ist die bislang einzige Angestellte. Die Idee zu der Hochschule für Kinder stammt aus Wuppertal, wo es eine solche Einrichtung seit zehn Jahren gibt.

Finanziert wird die Juni vor allem über den Förderverein. Eine wichtige Rolle spielen zudem die drei Beiräte, die sich um kaufmännische, wissenschaftliche und pädagogische Belange kümmern – und um die Kinder, die zum Beispiel bei der Erstellung des Programms mitmachen dürfen. Am 29. Juni tagt der Kinder-Beirat zum ersten Mal.

Die Juni ist mit einer spektakulären Veranstaltung an den Start gegangen: dem „Urknall“ am
24. Februar. Zu dem Ereignis waren Tausende Kinder in den Ringlokschuppen gekommen.

Für den nächsten Versuch erlaubt Angelika Vienken den Jungs etwas, was sie spontan gibbeln lässt: „Ihr dürft heute alle aufs Mädchenklo.“ Nur dort ist es duster, nur dort funktionieren Experimente mit der Schwarzlichtlampe. „Normalerweise sehen wir UV-Licht nicht, im Dunklen aber schon.“ Die gelernte Szenenbildnerin packt Stempelfarbe für die Disco aus, fluoreszierende Schnürsenkel, Tennisbälle. Die Kinder sind fasziniert, machen Späßchen vor dem Spiegel über dem Handwaschbecken.

Dozentin arbeitet für „Die Sendung mit der Maus“

Lia (9) besucht den „Arboristik“-Kurs bei Tischlermeister Dirk Jungbluth und lernt viel über die Natur vor Ort. Als es an der Junior-Uni Ruhr ums keltische Baumhoroskop ging, erfuhr sie, dass sie eine Linde ist.
Lia (9) besucht den „Arboristik“-Kurs bei Tischlermeister Dirk Jungbluth und lernt viel über die Natur vor Ort. Als es an der Junior-Uni Ruhr ums keltische Baumhoroskop ging, erfuhr sie, dass sie eine Linde ist. © Funke Foto Services | Olaf Fuhrmann

Seit Jahren arbeitet Vienken (48) fürs Fernsehen, macht Wissenschaftssendungen für Kinder. Eine der bekanntesten Shows, für die sie sich Experimente ausdenkt, ist die Sendung mit der Maus. Auch mit Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar hat sie längere Zeit zusammengearbeitet.

Ihr Antrieb? „Ich liebe Phänomene.“ Außerdem gefalle ihr, mit welcher Freude Kinder auf die „Mischung aus Wissenschaft, Kunst und Effekthascherei“ reagieren. „Selbst, wenn sie nicht immer verstehen, was da passiert, es nicht unbedingt erklären können – das Erlebnis bleibt haften.“ Es begeistere für Naturwissenschaften. Caspar stimmt ihr zu. Der Achtjährige beschreibt sich als „schon immer chemiemäßig drauf“.

Aus sieben könnten 15 Kurse werden

Sieben Kurse laufen aktuell an der Juni. Ab Herbst sollen es deutlich mehr sein; 15 könnten es werden, sagt Organisatorin Anke Hötzel. Wer interessiert ist, kann sich nach den Sommerferien anmelden. Zuvor aber muss das drängendste Problem gelöst werden: die Raumfrage. „Ein zentraler Ort wäre super“, so Hötzel. Zurzeit finden vier Kurse im Kulturhaus „Spieldorf“ statt, einer im Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, einer im Aquarius Wassermuseum und einer im Süßigkeitenladen Chocolate Dreams. „Ideal wären zwei Kursräume ab 40 Quadratmeter aufwärts plus ein Materiallager und ein Büro.“ Ein Ort, an dem die Uni für Kleine in Ruhe groß werden kann. Eines Tages sollen den Kindern nicht nur in den zwei Semestern, die sich an den Schulhalbjahren orientieren, sondern auch in den Ferien spannende Angebote gemacht werden können.

Kinder sollen ausprobieren dürfen

Was Kinder interessieren könnte, hat Hötzel in vielen Gesprächen mit ihnen herausgefunden, in Kindergärten und Schulen. Anschließend hat sie passende Dozenten gesucht, Menschen, „die sich löchern lassen und schwierigen Stoff so runterbrechen können, dass die Neugier befriedigt wird“. An der Juni gehe es nie nur um Theorie, „die Kinder sollen ausprobieren können“. Im Schulalltag sei das selten möglich; „es fehlt Zeit; die Gruppen sind zu groß“.

In kleiner Einheit lernt’s sich besser. Das zeigt sich um kurz vor fünf auch an anderem Ort: Im „Aquarius“ läuft der „Arboristik“-Kurs bei Tischlermeister Dirk Jungbluth. Er hat Holz verschiedener Bäume mitgebracht. Und die vier Jungen und zwei Mädchen haben eifrig Blätter gesammelt. Jungbluth will sie „sensibel machen für die Gehölze in unserer Nähe“. Sie sollen lernen, was Buchen sind und dass der Klimawandel eine Gefahr für sie werden könnte. „In 50 Jahren gibt es die Bäume vielleicht nicht mehr.“ Die acht Kinder, sollten verstehen, wofür die „Fridays for Future“-Demonstranten auf die Straße gehen. Gerade erfahren sie, dass die Robinie einer Vogelfeder ähnelt. Dass die Rosskastanie einst gern von Rössern gefressen wurde. Und dass die Miniermotte ihrer fieser Feind ist. . . Der Stoff geht nicht aus. Und auch die Neugier endet nie.