Mülheim. Die Grünen fahren in Mülheim satte Gewinne ein und überflügeln gar die SPD. Die Wahlverlierer kamen in Broich zusammen und waren konsterniert.
Die Grünen sind auch in Mülheim die großen Gewinner bei der Europawahl, ziehen gar an der SPD vorbei. Die SPD stürzt im Vergleich zur Wahl im Jahr 2014 um sage und schreibe 15,7 Punkte auf 21,2 Prozent ab. Am Ende des Wahlabends sind die Genossen nur noch drittstärkste politische Kraft in der Stadt.
18 Uhr, die Hochrechnung wird im Mülheimer Rathaus auf einem Fernsehbildschirm übertragen. Junge Grüne um Parteichef Fabian Jaskolla sind an diesem Abend die stärkste Fraktion im spärlich besuchten Foyer. Als die Zahlen kommen, die 20 Prozent für die Grünen, brandet einmal Jubel auf, viel mehr Regung ist hier nicht zu vernehmen. SPD-Europakandidatin Sina Breitenbruch-Tiedtke und ihr Juso-Gefolge brechen schon bald auf zur Veranstaltung der Partei in der Alten Dreherei in Broich.
Kraftausdrücke nach der ersten Hochrechnung bei der SPD
Dort fallen die ersten Kraftausdrücke bereits um 18.01 Uhr. Da verorteten die ersten Hochrechnungen die SPD bundesweit bei etwas mehr als 15 Prozent. Relativ schnell ist klar, dass die Sozialdemokraten ihre Führungsposition in der Stadt verlieren. Mit 21,2 Prozent landet die SPD hinter CDU und Grünen auf dem dritten Platz.
SPD-Fraktionschef Dieter Spliethoff spricht von einem Desaster, einer historischen Niederlage, Vize-Parteichef Cem Aydemir und Europakandidatin Sina Breitenbruch-Tiedtke sehen eine Katastrophe. Zumal dieses Ergebnis auch als Wegmarke für die nächsten Wahlen gilt. Aus diesem Grund müssten jetzt „bei allen Genossen die Alarmglocken“ schrillen, sagt Cem Aydemir, vor allem hinsichtlich der Kommunalwahl im kommenden Jahr.
Sozialdemokraten stehen nun unter Druck
Nun sei man unter Druck, um das Steuer noch herumzureißen. Neben einer stärkeren inhaltlichen Positionierung, zum Beispiel bei den Themen VHS und ÖPNV, sieht Aydemir auch personelle Veränderungen vonnöten. „Wir müssen jünger und weiblicher werden.“ Außerdem müsse man dafür sorgen, dass jüngere Genossen bei der Wahl im kommenden Jahr in sicheren Wahlkreisen aufgestellt werden und nicht in erfolglosen Wahlkreisen „wie zum Beispiel Holthausen“, so Aydemir.
Die personelle Suche nach Kandidaten werde nach den Sommerferien Aufgabe der Ortsvereine sein, so der stellvertretende SPD-Chef, der weiß, dass diese Personaldebatte nicht ohne Konflikte auskommen wird, da dann altgediente Fraktionsmitglieder den Weg frei machen müssten. Kein einfaches Unterfangen. Noch immer stehen sich Partei und Fraktion in der Debatte um OB Ulrich Scholten unversöhnlich gegenüber.
Grüne schielen schon auf die Kommunalwahl
Eine Lösung für den Konflikt ist nach wie vor nicht in Sicht. Dabei sind sich sowohl Aydemir als auch Fraktionschef Dieter Spliethoff einig, dass dieser Streit auch ein Grund für das Einbrechen bei der Europawahl war. Man müsse endlich eine einheitliche Lösung dafür finden, sagten beide unabhängig voneinander im Gespräch mit der Redaktion. Allerdings, wie diese Lösung aussehen könnte, das konnten sie gestern nicht sagen.„Kann man die Kommunalwahl nicht irgendwie vorziehen?“ Grünen-Parteichef Fabian Jaskolla nimmt euphorisch in der Partei-Geschäftsstelle die Ergebnisse aus den ersten Stimmbezirken auf. Es gibt Sekt, Bio-Schorle, grüne Gurken.
Nur 20, 30 Grüne sind da, überwiegend die ganz jungen. Sie bejubeln und bestaunen die vom Laptop ausgespielten Ergebnisse. Bezirk für Bezirk. Am Ende des Wahlabends fällt das Fazit natürlich „sehr positiv“ aus, da sind sich die Parteisprecher Jaskolla und Kathrin Rose einig. „Schön, dass so viele Leute zur Wahl gegangen sind. Sie haben die Grünen für ihre europäischen Ziele gewählt“, so Rose. „Gegen Rechtspopulismus. Für Naturschutz und eine starke EU.“ Das Führungsduo der Grünen gibt sich noch vorsichtig mit Blick auf die Kommunalwahl. Dies sei zunächst die Europawahl gewesen, bei der Kommunalwahl stünden andere Themen an. „Wir haben aber den Anspruch, mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen“, so Rose. Um dann noch mal das Fazit zum Wahlabend nachzuschieben: „Wir sind überglücklich.“
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen drei Parteien
Vor und in der Parteizentrale der CDU ist mehr los als bei den Grünen, die Stimmung aber keineswegs ausgelassen. Eher nüchtern blicken die Christdemokraten aufs Ergebnis. Zwar liegen sie im Kopf-an-Kopf-Rennen mit Grünen und SPD leicht vorne, aber auch sie haben 4,9 Prozentpunkte eingebüßt. Parteichefin Astrid Timmermann-Fechter sieht’s mit gemischten Gefühlen: „Wir sind froh, die stärkste Kraft zu sein, aber wir haben auch knapp fünf Prozent verloren.“
Diese Tatsache dürfe nicht unter den Teppich gekehrt werden. Ziel Nummer eins sei dennoch erfüllt – die Wahlergebnisse sprächen für einen pro-europäischen Kurs. „Das begrüßen wir sehr.“. Für die Zukunft würden die Themen Umwelt und Klima noch stärker in den Fokus rücken. Es sei vorstellbar, dass „einige unserer Stimmen zu den Grünen gewandert sind“. Das werde sich aber noch zeigen.
AFD und FDP legen zu - Die Linke will lernen
Bei den drei kleineren Parteien gibt es zwei Trends: Während die AfD und FDP im Vergleich zum Ergebnis der Europawahl 2014 zugelegt haben, büßte die Linke Stimmen ein. Alle liegen unter zehn Prozent, wobei die AfD der Marke recht nah kam – aber die Hürde im Gegensatz zum Bundesergebnis am Ende nicht nahm.
„Wir sind zufrieden, lehnen uns nun aber nicht zurück. Wir haben uns den Anstieg erarbeitet“, sagte der AfD-Parteivorsitzende Alexander von Wrese. Er verschweigt nicht, dass Themen wie der Brexit sowie die Ibiza-Affäre der Partei nicht in die Karten gespielt hätten. Dagegen sei die Stammwählerschaft angewachsen, was von Wrese vor allem auf angestrebte Volksabstimmungen zurückführt. Beim Klimaschutz haben aus seiner Sicht die Grünen unter allen Parteien die beste Arbeit gemacht, weshalb dort die meisten Stimmen hinzugewonnen wurden. „Das ist nicht überraschend“, so von Wrese. Die AfD wolle überlegen, wie sie junge Leute überzeugen kann.
FDP hat auf offensive Werbung im Wahlkampf verzichtet
Die kommunalen Liberalen liegen nicht nur über dem Bundes- und Landesschnitt, sondern haben auch im Ruhrgebiet am besten abgeschnitten. „Das ist ein Grund zur Freude“, sagte Mülheims FDP-Chef Christian Mangen. Seine Partei hatte im Wahlkampf bewusst weniger offensiv Wahlwerbung eingesetzt. Es habe ihr nicht geschadet. Punkten konnte die FDP nach Ansicht von Mangen in den Themen Digitalisierung, Arbeitsplätze und den Umgang mit CO2-Ausstoß. „Dennoch ist unser Anspruch ein anderer. Wir wollen noch besser aus den Wahlen herausgehen“, betont er.
Andrea Mobini und die Linken haben rund 1,5 Prozent an Stimmen verloren, im Vergleich zu 2014. Mit 4,23 Prozent liegt sie auch ein Stück unter dem Bundestrend (minus rund zwei Prozent). „Das ist bitter, wir liegen unter unseren Erwartungen, hätten uns gewünscht, das Ergebnis von 2014 zu halten“, sagt Mobini. Die Linken wollen analysieren, woran es gelegen hat und ob sie womöglich einen Trend nicht erkannt haben. „Wir sind neben den Grünen auch im Klimaschutz gut unterwegs, müssen aber lernen, dies besser nach vorne zu tragen“, nimmt Mobini kein Blatt vor den Mund. Auch junge Wähler wollen die Linken mehr in den Fokus nehmen.