Mülheim. . Bei der Bürgerversammlung im Mülheimer Rathaus prallen Welten aufeinander. Die Stadt sieht kaum Spielraum und die Bürger sind tief enttäuscht.
Großer Unmut, fehlendes Verständnis und starke Betroffenheit schlugen der Stadtverwaltung bei der Bürgerversammlung am Freitagabend anlässlich des Friedhofsentwicklungskonzepts entgegen. Im gut besetzten Ratssaal kamen Betroffene des neuen Konzepts auf Einladung der Stadt zusammen, um in einer teilweise erregt geführten zweieinhalbstündigen Veranstaltung ihre Fragen und Beschwerden vorzubringen.
Das Vorhaben, die Peripheriebereiche auf den städtischen Friedhöfen zukünftig für Bestattungen zu sperren, sorgt für tiefen Kummer und heftigen Ärger bei einem großen Teil der im Saal versammelten Bürger. „Wir haben der Stadt einen Vertrauensvorschuss gegeben und nun werden wir enttäuscht“, lautete eine der vorgebrachten Klagen.
Andernfalls würden sich Gebühren erheblich verteuern
Planungsdezernent Peter Vermeulen stellte am Anfang der Veranstaltung die neue Planung bezüglich der Friedhofsgestaltung den Zuhörern noch einmal vor, die auf schriftlichem Weg zuvor schon Erläuterungen erhalten hatten. Aufgrund der veränderten Bestattungskultur gebe es für die Stadt nur die Möglichkeit, Friedhofsflächen zu verkleinern. Ansonsten würden sich die anfallenden Gebühren erheblich verteuern. „Wir müssen diese Maßnahme aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen treffen, damit Grabflächen in Mülheim bezahlbar bleiben“, so Vermeulen.
Für viele der an der Versammlung teilnehmenden Bürger ist diese Entscheidung mit erheblichem Leid verbunden. Sie hatten Grabfelder für verstorbene Angehörige erworben, mit der Option bei ihrem Ableben ebenfalls an gleicher Stelle beigesetzt werden zu können, was ihnen jetzt verwehrt werde. Rainer Stobbe, Abteilungsleiter Friedhofwesen, erklärte allen Nutzungsberechtigten, wie Bestattungen auf den für die Schließung vorgesehenen Arealen erfolgen werden: „Auf Grabfeldern mit einer Restnutzungszeit, die höher ist als die Ruhezeit von 25 Jahren, kann von ihnen jeder beigesetzt werden, den sie möchten.“ Bei einer geringeren Nutzungszeit ist ausschließlich die Beisetzung des Lebenspartners und von Kindern bis zwölf Jahren möglich.
Verwirrung um die Härtefallregelung
Verwirrung bringt bei den Anwesenden auch die Härtefallregulierung. Vermisst wird eine genaue Definition. Die könne man nicht geben, gibt die Verwaltung zur Antwort. Vermeulen: „Wir haben bei der Ausgestaltung des Friedhofskonzepts alle möglichen Fälle überdacht und Ausnahmen formuliert.“ Dennoch könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich noch ein spezieller Fall finde, dessen Aspekte keine Berücksichtigung in den Überlegungen gefunden haben. Durch die Aufnahme dieses Passus in die neue Friedhofssatzung verspricht sich die Stadt zudem Unanfechtbarkeit bei möglichen Klagen vor Gericht.
Hätte die Stadt nicht über erhöhte Gebühren die weitere Öffnung der Peripheriebereiche gewährleisten können, wollte ein Teilnehmer wissen. Vermeulen räumte ein, über die Einführung neuer Grabarten wäre dieser Schritt zu machen gewesen. Aus Sicht der Gebührengerechtigkeit habe man sich dagegen entschieden: „Wir hätten alle die ausgegrenzt, die sich verteuerte Gebühren nicht leisten können.“
Manche erwägen eine Klage
Ein weiterer Punkt mit Klärungsbedarf stellten die Kriterien der Grenzziehung zwischen Kern- und Peripheriebereich auf den Friedhöfen dar. Maßgeblich sei die Gewinnung von großen Flächen bei einer möglichst geringen Zahl von Betroffenen gewesen, erläuterte Vermeulen. Außerdem habe man eine gute Erreichbarkeit und die Nähe zu den Trauerhallen und Parkplätzen berücksichtigt.
Für die Betroffenen ist mit der Informationsveranstaltung die Angelegenheit nicht abgeschlossen: Manche erwägen gerichtlich gegen die Bescheide vorzugehen.
>> UNSENSIBLES HANDELN BEKLAGT
Zahlreiche Wortmeldungen gab es bei der Bürgerversammlung zum Friedhofsentwicklungskonzept, die zu einer Verlängerung der ursprünglich auf zwei Stunden angesetzten Veranstaltung führten. Und hätte Bezirksbürgermeister Hermann-Josef Hüßelbeck die Versammlung nicht beendet, wäre sie bei dem Redebedarf wahrscheinlich noch bis in den späten Abend fortgesetzt worden.
Oft wurde der Stadt vorgeworfen, wie sie es zulassen könne, Angehörige nach ihrem Tod zu trennen. Eine Frau schilderte: „Wir haben einen 19-jährigen Sohn, der seit 15 Jahren auf dem Speldorfer Friedhof liegt. Wir haben keine Chance mit unserem Sohn, obwohl es ein Familiengrab ist, beerdigt zu werden. Mein Gatte und ich sind schwerst erkrankt. Für uns ist das ein schrecklicher Zustand. Wir hatten darum gebeten, die Gebeine unseres Sohnes zu bekommen, um sie in einem Familiengrab in Mainz zu bestatten. Das wurde sofort abgelehnt. Das kann ich nicht verstehen: Sie wollen doch die freie Fläche haben. Das ist unerträglich.“
„Empörend, dass uns keiner aufmerksam gemacht hat“
Eine andere Teilnehmerin fühlt sich hinters Licht geführt: „Mein Mann und ich haben im Mai 2017 für unseren verstorbenen Sohn ein Grabfeld für vier Urnen auf dem Broicher Friedhof gekauft, damit wir auch dort beerdigt werden können. Im Oktober 2017 ist das neue Konzept bekanntgegeben worden, womit feststand, dass unser Grab für die Schließung vorgesehen ist. Es ist empörend, dass niemand uns beim Kauf der Grabstätte darauf aufmerksam gemacht hat.“
Zur Last gelegt wird der Stadt unsensibles Handeln: „Die Art und Weise, wie Sie als Verwaltung vorgegangen sind, war nicht gerade sehr empathisch“, so ein Betroffener. Ein anderer fügte hinzu: „Sie verfahren hier nur nach Statistiken und präsentieren uns Daten, aber was in den Menschen vorgeht, das haben Sie nicht bedacht.“
>> REDUZIERUNG DER FLÄCHE UM DIE HÄLFTE
Das Friedhofsentwicklungskonzept beinhaltet, künftig neue Grabfelder nur noch in den Kernbereichen zuzulassen. Ziel des Konzepts ist eine Reduzierung der Friedhofsfläche um die Hälfte von derzeit 100 Hektar auf 48,58 Hektar. 4000 Familien sind von der Schrumpfung betroffen.
Der Hauptfriedhof würde nach den Berechnungen der Stadt für die in Mülheim vollzogenen Beisetzungen (ca. 1600 pro Jahr) ausreichend sein. Der guten Erreichbarkeit wegen, vor allem für die älteren Mitbürger, möchte man die Stadtteilfriedhöfe weiterhin erhalten.