mülheim. . In der Vereinsgaststätte des SV Raadt bekommt Ulrich Scholten vor allem den Unmut über die Finanzpolitik, die Nahversorgung und zur VHS zu hören.
Die Fotos an den Wänden der Vereinsgaststätte des SV Raadt erinnern an einst große Kämpfe auf Fußballplätzen. Rund 35 Bürger sind zum Gespräch mit Oberbürgermeister Ulrich Scholten gekommen. Draußen auf dem Rasen findet das Abendtraining statt. So mancher Mülheimer ist seit Wochen in Angriffslaune. Scholten bekommt es zu spüren – und kontert mit Aufklärung und dem Versuch, Verständnis zu wecken.
„Herr Scholten, nennen Sie mir nur mal einen Grund, warum wir noch in Mülheim bleiben sollten“, fragt Cennet Wüstefeld, die sich darüber empört, dass sie im Zuge der Grundsteuererhöhung jährlich 800 Euro mehr bezahlen muss. Sie listet auf, was alles in Mülheim nicht funktioniert, was es alles nicht gibt. Immer wieder kommen die Menschen auf die saftige Steuererhöhung zu sprechen. Der Tenor ist eindeutig: Wir müssen als Bürger für die verfehlte Finanzpolitik bluten. Viele wollen es nicht mehr klaglos hinnehmen. Viel Frust hat sich aufgestaut.
Bürger machen es dem OB nicht leicht
Scholten agiert in diesen Bürgerrunden, die er seit gut einem halben Jahr durchführt, offensiv, er weicht keiner Frage aus, versucht auch nicht zu beschönigen. Er gibt den Bürgern Recht. „Wir haben viele Dinge, die wir in Mülheim dringend anpacken müssten, wofür uns aber das Geld fehlt.“ Seit 30 Jahren drücke die Schuldenlast. Immer wieder belasteten Bund und Land die Kommunen mit Aufgaben, ohne das nötige Geld dafür bereitzustellen. „Wir können uns dagegen nicht wehren“, sagt Scholten. „Alles Pflichtaufgaben.“ Scholten weist darauf hin, dass Hunderte von Stellen im Rathaus abgebaut wurden, aber noch mehr wieder aufgebaut werden mussten, weil es neue Aufgaben zu erfüllen gibt.
Doch so leicht will man es ihm an dem Abend nicht machen: Zwei Milliarden Schulden hat die Stadt angehäuft, mehr als alle anderen. „Davon hat man 500 Millionen Euro selbst verbrochen“, sagt ein Bürger und verweist auf den Kämmerer, der dies vorgerechnet hat. Der OB bestätigt es: „Wir haben in Mülheim Dinge gemacht, die man heute nicht mehr machen würde.“ Es ist eine versteckte Kritik an jenen, die vor Jahren das Sagen hatten. Den früheren Kämmerer Uwe Bonan, unter dem die Schulden rasant gestiegen sind, muss er aber auch verteidigen. „Den hat man sogar zur Ruhrbahn befördert“, schimpft einer in der Runde und beklagt dessen hohes Gehalt, das Scholten mit rund 200.000 Euro als angemessen einstuft.
Steuer könnte gesenkt werden
Es kommen bessere Zeiten, versucht der OB Zuversicht zu verbreiten: Es werde künftig wieder mehr Gewerbeflächen geben, damit mehr Firmen, damit höhere Steuereinnahmen. Der aktuelle Ausfall an Gewerbesteuern werde sich in ein paar Jahren ohnehin drehen, ist er sicher. Und er stellt sogar in Aussicht, dass die hohe Grundsteuer, wieder gesenkt werde, wenn es sich die Stadt leisten könne. „Wir sind dazu bereits mit der Bezirksregierung in Gesprächen.“ Beifall erntet er dafür nicht, dazu ist das Misstrauen in Mülheim einfach zu groß.
Dies gibt es auch bei der VHS, die seit anderthalb Jahren gesperrt ist. „Was soll denn an dem Gebäude brennen?“ fragt Manfred Monz und bezweifelt den mangelnden Brandschutz, der zur Schließung geführt hat. Der OB verweist auf die Feuerwehr: „Wenn mir Fachleute sagen, dass dieses Haus zur Todesfalle wird, falls es mal brennt, habe ich gar keine andere Wahl, als es zu schließen.“
Infrastruktur in Raadt auch Thema
Es sind an dem Abend keineswegs nur die großen Aufreger in der Stadt, die der OB zu hören bekommt. „Will die Stadt allen Ernstes die Bahntrasse vom Hauptfriedhof zum Flughafen weiter vergammeln lassen?“, fragt eine Bürgerin und fürchtet, dass die Trasse für viel Geld erneuert werden muss, wenn eines Tages das Flughafengelände neu genutzt wird.
Die Infrastruktur in Raadt bemängeln andere: keine Kita, kein Einzelhandel. Dabei wachse der Stadtteil. „Sollen die Leute in die Nachbarstadt zum Einkaufen fahren?“ Und noch gut in Erinnerung haben sie, als im vergangenen Jahr eine Frau in Raadt eine seit langem leerstehende Bude nutzen wollte, um Brot und Brötchen zu verkaufen. Die Bude wurde wenige Tage nach dem Vorschlag abgerissen. Da fällt dem OB ein Konter schwer.
>>> INFO: Gepräche in Berlin mit Finanzminister
OB Ulrich Scholten gehört zu den Sprechern des bundesweiten Städtebündnisses „Raus aus den Schulden“. Das Bündnis kämpft für gleiche Lebensverhältnisse in den Städten.
In dieser Woche findet ein Treffen in Berlin mit dem Finanzminister statt. „Der Bund hat gute Einnahmen, die Zinsen sind niedrig. Jetzt ist die Chance da, Städten zu helfen“, so der OB.