Mülheim. . Wolfgang Dahmen hat am Donnerstag seinen letzten Arbeitstag an der Realschule Broich. Er hätte gerne verlängert, aber die Bezirksregierung nicht.

Die letzten Schulstunden von Wolfgang Dahmen (66) finden in der Aula statt: Dort wird der langjährige Leiter der Realschule Broich am Donnerstagabend offiziell verabschiedet. Er hätte es gut und gerne noch eine Weile ausgehalten. Aber sein Vertrag wird nicht mehr verlängert.

Warum gehen Sie jetzt, zur Halbzeit, und bleiben nicht mehr bis zum Schuljahresende?

Eigentlich hätte ich nur bis Januar 2018 arbeiten müssen. Aber ich habe beantragt, über die Ruhestandsgrenze hinaus zu verlängern. Dann sollte es bis zum Schuljahresende 2018/19 gehen, länger wollte die Bezirksregierung es nicht. Dagegen habe ich Widerspruch eingelegt, auch Eltern und viele Kollegen haben sich für mich eingesetzt. Schließlich hieß es: Ich darf bleiben, bis ein neuer Bewerber da ist. Jetzt ist offenbar jemand da.

Wieso sperren Sie sich so gegen den Ruhestand?

Weil ich immer gerne hier gearbeitet habe und mich noch nicht so fühle, dass ich in Rente gehen müsste. Ich spüre noch keinerlei Verschleiß und habe ein weitestgehend tolles Kollegium. Außerdem hatte ich gehofft, dass die Bautätigkeit vorbei ist, wenn ich gehe.

Hunderte Ihrer Schüler sitzen seit Jahren in maroden Containern. Sie haben sehr dafür gekämpft, dass sich baulich etwas verbessert, haben Politiker eingeladen, die „untragbaren Bedingungen“ öffentlich gemacht. Jetzt wird gearbeitet, aber wenn alles fertig ist, sind Sie weg. Macht Sie das traurig?

Nein. Das ist ja nicht mein Haus. Ich wohne nicht hier. Als 2017 die Botschaft verkündet wurde, dass hier gebaut werden kann, war ich schon froh. Perspektivisch ist es für unsere Schule ganz wichtig, dass hier endlich etwas passiert.

Mülheim stemmt vieles

Also kein Frust?

Wenn man sich die städtische Haushaltslage anschaut, muss man sagen, dass Mülheim trotzdem viel stemmt. Die Stadt streckt sich sehr.

Hier in Broich liegt die Realschule direkt neben dem Gymnasium. Hat sich der Wechsel zu G8 auf Ihre Schülerzahlen ausgewirkt?

Ich habe von Anfang an gesagt: G8 wird ein absoluter Flop. Ich finde es geradezu verwerflich, ein ganzes Schuljahr in der Mittelstufe zu kürzen. Konsequenz für uns war, dass viele Kinder nach der Erprobungsstufe hier aufgeschlagen sind.

Wird die Realschule spüren, dass es bald wieder rückwärts geht, zum Abi nach neun Jahren?

Ich glaube es nicht. Wir haben jetzt schon in jedem Jahrgang 30 Kinder mit einer Gymnasialempfehlung. Das ist eine ganze Klasse. Bislang mussten wir noch kein Kind abweisen. Wir sind jetzt fast durchgehend sechszügig, haben 978 Schülerinnen und Schüler. Mehr als das Gymnasium.

Situation der Lehrer verschlechtert sich

Sie leiten die Schule seit fast zwei Jahrzehnten: Ist es für die Absolventen leichter geworden, in den Beruf zu kommen.

Theoretisch könnte das so sein. Praktisch ist es aber nicht so. Als ich hier angefangen habe, haben wir 80 Leute entlassen, von denen etwa 30 einen Ausbildungsvertrag hatten. Inzwischen entlassen wir 150, 160 Jugendliche, und es gehen immer noch 30 direkt in die Ausbildung. Alle anderen wechseln auf weiterführende Schulen.

Würden Sie jungen Leute heute empfehlen, Lehrer zu werden?

Sicher nicht. Die Berufsperspektiven sind zwar gut, schlecht bezahlt wird auch nicht, aber die Situation verschlechtert sich immer weiter. Die Klassen sind viel zu groß, Sozialarbeiter fehlen. Meinen eigenen Kindern habe ich gesagt: Werdet alles, nur nicht Lehrer.

Schulzentrum Broich ist eine Großbaustelle

An der Holzstraße liegen Realschule und Gymnasium auf einem gemeinsamen Gelände. Momentan findet man die Eingänge allerdings nur auf Umwegen, denn das Grundstück ist mit Bauzäunen umstellt. Zwischen beiden Schulen wächst gerade ein Rohbau, den langfristig die Realschule nutzen soll. Ein schwerer Autokran ist vor Ort. Die Bodenplatte und Teile des Erdgeschosses sind angelegt, noch nackter Beton. Vier große Module werden eingefügt, sie sind schon am Straßenrand geparkt, der Verkehr wird an dieser Stelle einspurig vorbei geführt.

Anschließend sollen die Fassaden des alten Realschulgebäudes umfassend aufgearbeitet werden, dieses muss ebenfalls leer gezogen werden. Ganz zum Schluss verschwinden die altgedienten Container, und ein neuer Schulhof entsteht. „Mitte 2021 müsste alles halbwegs fertig sein“, meint Dahmen, „so Gott will...“

Ein Lehrerzimmer für über 70 Leute

Dann wäre die räumliche Beengtheit endlich Vergangenheit, unter der die Realschule seit langer Zeit leidet. Rund 300 Schüler werden in maroden Containern unterrichtet, 70 Lehrer und mehrere Integrationshelfer quetschen sich in ein einziges Lehrerzimmer, jeder hat ein paar Zentimeter Tisch, nicht jeder einen eigenen Sitzplatz. Auch Fachräume für Bio, Physik oder Kunst werden nötig gebraucht, ebenso Platz für die Ganztagsbetreuung, denn die Schülerzahl ist über die Jahre extrem gewachsen, das Gebäude aber nicht.

Finanziert wird das Millionenprojekt über das Landesprogramm „Gute Schule“.

Eine Bewerberin für Dahmens Nachfolge

Wolfgang Dahmen, gebürtiger Duisburger, hat die Realschule Broich fast 20 Jahre lang geleitet. Vorher war er vier Jahre Stellvertreter an einer Realschule in Walsum, davor als Lehrer in Essen tätig.

Ursprünglich ist Dahmen gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann, hat als junger Mann bei Krupp und Klöckner gearbeitet, dann das Abitur nachgeholt und Lehramt studiert. Seine Fächer sind Deutsch und evangelische Religion.

Der 66-Jährige ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Für seine Nachfolge als Schulleiter gibt es inzwischen eine Bewerberin, so war es in der jüngsten Sitzung des Bildungsausschusses zu erfahren. Wann die Stelle neu besetzt wird, ist noch offen. Zum 1. Februar klappt es ganz sicher nicht.