Mülheim. . Die Polizei verweigerte der Politik Informationen zu Familienclans in Mülheim. Kenner der Szene sprechen von drei verfeindeten Großfamilien.
Libanesische Familienclans sind im kriminellen Milieu des Ruhrgebiets eine Macht. Mit einer Null-Toleranz-Strategie versucht sich die Polizei aktuell Respekt zu verschaffen, so bei der Hochzeitsfeier am Sonntagabend an der Weseler Straße am Hafen. Bislang war Mülheim wenig im Fokus, wenn es um die Clan-Kriminalität ging. Doch die Stadt ist keine Insel der Glückseligkeit. Libanesisch-stämmige Großfamilien sorgen auch in Mülheim für Unruhe.
27. Mai 2017: An der Kreuzung von Dickswall und Tourainer Ring ruft ein Streit zwischen zwei Jugendlichen (14, 16) innerhalb kurzer Zeit rund 80 Mitglieder zweier verfeindeter Großfamilien auf den Plan, zahlreiche Duisburger Kennzeichen werden gesichtet. Es kommt an jenem Abend zur wilden Massenschlägerei. Die Polizei braucht mit Verstärkung aus Nachbarstädten und unter Einsatz von Hubschraubern mehrere Stunden, um die Lage rund um den gesperrten Dickswall zu befrieden.
Wettbüros und Shisha-Bars, auch mal ein Kiosk
Ein Polizeisprecher spricht später von einer „sehr unübersichtlichen Lage“, Mitglieder der Clans seien der Polizei „sehr aggressiv“ gegenübergetreten. Auf die Polizisten fliegen Eier, Eiswürfel, auch Steine und Flaschen, zwei Polizeiwagen nehmen Schaden. Vier vorübergehende Festnahmen und zwölf Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruches listet der Polizeibericht auf. Drei Wochen später äußert die Polizei ihre Hoffnung, dass sich eine derart gewalttätige Auseinandersetzung zwischen den verfeindeten Clans nicht wiederholt. Die beteiligten Großfamilien hätten sich nach einer deutlichen Ermahnung seitens der Polizei inzwischen untereinander geeinigt und ihre Streitigkeiten beigelegt. . .
Dass der Dickswall im Mai 2017 Schauplatz der Massenschlägerei war, ist für Kenner der Szene kein Zufall. „Das ist quasi die Grenze, wo einer der Clans versucht haben dürfte, Fuß zu fassen“. Aus mehreren übereinstimmenden Quellen ist zu vernehmen, dass sich auch in Mülheim drei libanesisch-stämmige Clans feindselig gegenüberstehen.
Wettbüros und Shisha-Bars, auch mal ein Kiosk – das sind offizielle Betätigungsfelder der Familien. Kenner der Szenerie gehen davon aus, dass diese Gewerbe nicht dazu taugen, den Lebensunterhalt zu bestreiten. „Das sind eher Treffpunkte. Ich glaube, da laufen auch andere Geschäfte“, heißt es aus Kreisen der Ordnungs- und Sicherheitsbehörden. Vom Ordnungsamt ist bekannt, dass es seine Kontrolleure nur noch ungern alleine rausschickt in jene Betriebe. Aktionen werden meist zusammen mit der Polizei gefahren. Kontakte zur Rocker-Szene rund um die Eppinghofer Straße werden gesehen.
Größter Clan soll 50 Familienmitglieder haben
Aus dem Sozialamt ist der Redaktion der Fall einer Sozialarbeiterin bekannt, die sich von einem Mitglied einer Großfamilie massiv bedroht fühlte. Sie war im Vorjahr zur sozialen Betreuung in der Dümptener Flüchtlingsunterkunft eingesetzt. Dort für die Paritätische Initiative (Pia) für Arbeit als Hauswart im Einsatz: ein junger Mann aus dem zahlenmäßig größten Clan in Mülheim, dem fast 50 Familienmitglieder angehören sollen.
Der Hauswart soll Flüchtlinge für die Vermittlung von Wohnungen, Jobs oder Handyverträgen Geld abgeknöpft haben. Auch soll er damit geprahlt haben, Aufenthaltstitel besorgen zu können. Schließlich bezichtigte der Pia-Mitarbeiter einen Migranten eines tätlichen Angriffs. Es soll aber andersherum er gewesen sein, er den Bewohner der Unterkunft drangsaliert haben. Der Bewohner vertraute sich mit seinen Problemen der Sozialarbeiterin an. Der sei nun auch gedroht worden – im Wortsinn: „Wir wissen, wo dein Ehemann arbeitet, wo dein Kind zur Schule geht.“
Zweifelsfrei aufklären ließ sich die Sache nicht. Zum Schutz seiner Mitarbeiterin und der Bewohner in der Unterkunft hat das Sozialamt die Pia aber gedrängt, sich von ihrem Mitarbeiter zu trennen.
„Die sind einfach geschickter geworden“
Geschichten wie diese erzählen Beteiligte nur hinter vorgehaltener Hand. Die Namen der Großfamilien sind in der Verwaltung weitläufig bekannt, seit Generationen schon. Kriminelle Aktivitäten sollen behördlich aber weniger aktenkundig sein als noch in den 80er- oder 90er-Jahren – zu Zeiten der Einreisewelle jener Clans, denen libanesisch-türkische Wurzeln nachgesagt werden, die sich mitunter aber über falsche Angaben zur Identität den Aufenthalt in Deutschland gesichert haben sollen. Dass nicht mehr allzu dicke Straftaten in Mülheim aktenkundig geworden sind, erklärt sich ein Behördenmitarbeiter so: „Die sind einfach geschickter geworden.“
Insgesamt wird die Lage in Mülheim zwar kritisch gesehen, doch weitaus entspannter als in Duisburg oder Essen. Das soll auch Ergebnis sein eines rigiden Umgangs der Ausländerbehörde mit ansiedlungswilligen libanesischstämmigen Migranten in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts.
Polizei beantwortet Nachfragen der Politik nicht
Nachfragen der Mülheimer Politik zu kriminellen Clan-Strukturen in der Stadt bleiben von der Polizei bisher unbeantwortet.
So wollte die Fraktion Bürgerlicher Aufbruch Mülheim (BAMH) in einem Antrag im Ausschuss für Bürgerangelegenheiten, Sicherheit und Ordnung von der Polizei im September über die aktuelle Situation aufgeklärt werden. Anlass war, so BAMH-Fraktionsvorsitzender Hartmann, ein Interview des Polizeipräsidenten in dieser Zeitung.
Ermittlungstaktisch wurde es damals begründet, dass es für die Politik keine Auskunft gab. Damit will sich Hartmann aber nicht zufrieden geben: „Es kann ja nicht sein, dass der Polizeipräsident ein Thema anspricht, der Bürger aufmerksam wird, und dann gibt es keine Auskunft.“