Mülheim. . Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin äußert sich Mülheims OB Ulrich Scholten im WAZ-Gespräch auch zu allerlei kursierenden Gerüchten.

Oberbürgermeister Ulrich Scholten ist schwer unter Druck. Der Verdacht der Veruntreuung von Mitteln, die ihm für dienstliche Bewirtungen zur Verfügung stehen, paart sich mit politischer Kritik aus Reihen seiner SPD, in zweieinhalb Jahren Amtszeit keine Strategie zur Stadtentwicklung erkennen zu lassen.

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Auch brodelt die Gerüchteküche: Scholten werden allerlei Verfehlungen vorgeworfen, mittels derer ihm im Gesamtbild die Eignung für das hohe Amt abgesprochen wird. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin bezog Scholten im exklusiven Interview mit der WAZ auch zu den Gerüchten Stellung.

Aus der SPD ist zu vernehmen, dass die aktuell bemängelte Spesenpraxis nur das i-Tüpfelchen dessen sei, warum die Unzufriedenheit mit Ihrer Amtsführung in Teilen der Partei Rücktrittsforderungen laut werden ließ. Wie ist Ihre Sicht?

Ulrich Scholten: Es ist meiner Wahrnehmung nach nicht die SPD. Meine Partei hat mich immer getragen. Sie trägt mich auch jetzt persönlich in schwierigen Zeiten. Politik ist nicht allein Aufgabe der Verwaltungsspitzen. Sie ist abhängig vom breiten Engagement vieler Menschen, die sich politisch – und vor allen Dingen ehrenamtlich – engagieren. Ich bin nicht Mitarbeiter von Fraktionen oder Partei. Ich wurde als Oberbürgermeister von den Mülheimern und von meiner Partei gewählt. Übrigens in beiden Fällen mit guten Ergebnissen. Diese Konstellation nennt man ein starkes Mandat.

„Aus Sicht der Verwaltung war mein Verhalten bisher immer rechtmäßig“

2017 hatte das Rechnungsprüfungsamt Ihnen im Sinne der Transparenz empfohlen, den dienstlichen Zweck Ihrer Bewirtungen klarer auszuweisen. Sie sagen, das hätten Sie auch getan, es sei aber wohl nicht hundertprozentig gelungen. Hat es zwischenzeitlich nie einen Wink aus der städtischen Buchhaltung gegeben, dass Ihre Abrechnungspraxis immer noch mangelhaft sei?

Scholten: Nein. Aus Sicht der Verwaltung war mein Verhalten bisher immer rechtmäßig. Ich bin erst am 16. Mai damit konfrontiert worden, als mein Rücktritt gefordert wurde. Weil die Regeln unklar waren – und sind – war es meine Haltung, dass ich rechtlich auf der sicheren Seite bin, wenn ich die Budgets strikt einhalte und die Mittel des Oberbürgermeisterbüros immer maßvoll verwende. Wir haben die Budgetgrenzen eingehalten. Auch deshalb habe ich nie ein Problem gesehen. Ein rechtliches gab es ja auch nie.

Ex-Kanzleramtschef Bodo Hombach hat Ihnen mit Thomas Hüser einen namhaften PR-Berater an die Seite gestellt. Haben Sie noch keine anwaltliche Vertretung?

Scholten: Eine anwaltliche Vertretung gibt es noch nicht, muss in den nächsten Tagen aber sicher organisiert werden. Dass die Staatsanwaltschaft sich eingeschaltet hat, habe ich mit Erleichterung gehört. Da erwarte ich die bisher vermisste Fairness und Korrektheit. Das kann ich von Prüfenden, die sehr eng mit den Anschuldigern verflochten sind, leider nicht erwarten. Auch hier müssten unabhängige Prüfer her. Die Märkische Revision prüft sehr häufig diverse städtische Gesellschaften. Vielleicht kann man in diesem Zusammenhang auf eine Prüfungsgesellschaft zurückgreifen, die noch nie im Mülheimer Kontext tätig war. Die Duisburger Staatsanwaltschaft ist über jeden Zweifel erhaben. Vor übler Nachrede und bösen Gerüchten weiche ich nicht. Ich habe nichts verschuldet, was Amtsflucht rechtfertigen würde.

„Ja, ich war beim DFB-Pokalendspiel in Berlin“

Der Mülheimer Oberbürgermeister Ulrich Scholten.
Der Mülheimer Oberbürgermeister Ulrich Scholten. © Gerd Wallhorn

Sie wollen heute ausdrücklich zu allen Vorwürfen, zu Kritikpunkten und allerlei kursierenden Gerüchten Stellung beziehen, wohlwissend, dass einiges sehr persönlich werden wird. Warum tun Sie sich das an?

Scholten: Ich werde mir sicher nicht alles antun können und wollen – auch zum Schutz meiner Familie. Was an diffusen Dingen kursiert und eskaliert, will ich auch erst mal hören.

Am 17. Mai, knapp zweieinhalb Wochen nach dem Tod Ihrer Frau, haben Sie mit Krankenschein nicht die Sitzung des Stadtrates geleitet. Zwei Tage später sollen Sie mit Freunden aus der Stadtgesellschaft das DFB-Pokalendspiel in Berlin besucht haben. So krank, so trauernd, sagen einige, könnten Sie ja gar nicht sein.

Scholten: Schicksalsschläge wie der plötzliche Tod meiner Frau machen eine ­medizinisch-psychologische Beratung nötig. Kann man sich durch Arbeit ablenken oder ist das Risiko durch den psychischen Zustand zu groß? Es ist eine Ausnahmesituation, in der man versuchen muss, am Leben zu bleiben. Ich werde von mentalen Schwankungen überrannt. Klar war zu jenem Zeitpunkt: Ich konnte mein Amt nicht stabil ausführen. Ja, ich war in Berlin. Ich saß da zwei Wochen nach dem Tod meiner Frau und da sagt jemand: Mensch, vielleicht kriegst du den Kopf mal für ein paar Stunden frei. Fahr mal mit!

Scholten: Referent Brücker steht weiter an meiner Seite

Ihnen wird eine Liebesaffäre innerhalb der Verwaltung nachgesagt.

Scholten: Zu solcherlei diffusen Gerüchten nehme ich keine Stellung.

Zuletzt soll Ihr Verhältnis zu Ihrem Referatsleiter Guido Brücker stark belastet gewesen sein. Wie vertrauensvoll arbeiten Sie noch zusammen?

Scholten: Zwischen uns passt kein Blatt. Wir sind nach wie vor ein Team. Wir haben inhaltlich sicher hin und wieder unterschiedliche Positionen, aber die Aufgabe des Ja-Sagers ist nicht die Aufgabe des persönlichen Referenten.

Um die Arbeitsmoral von Ihnen und Ihres Referates soll es, zurückhaltend formuliert, nicht zum Besten stehen. Innerhalb der Verwaltung macht das Wort „Prosecco-Etage“ für das OB-Referat die Runde. Es ist von einem Referat die Rede, das sich Sonderrechte herausnehme.

Scholten: Sonderrechte kenne ich nicht. Ich habe keine veranlasst. Im Gegenteil: Den Begriff der Stadtkanzlei haben wir relativ zu Beginn meiner Amtszeit abgeschafft, genau deshalb, um die psychologische Distanz zu den anderen Referaten aufzulösen.

Von häufig ausgedehnten, bis zu zwei Stunden langen Mittagspausen mit Alkoholgenuss ist die Rede, anfangs gar in Rathausnähe, so wahrnehmbar für Mitarbeiter der Verwaltung, bei denen die Arbeitsdichte, wie Sie selbst immer betont haben, bis zur Schmerzgrenze zugenommen hat. Zuletzt sollen Sie sich für Ihre „Auszeiten“ nach Saarn verzogen haben. Ihnen wird abgesprochen, sich Ihrer Vorbildfunktion als Verwaltungschef bewusst zu sein.

Scholten: Ich bin mir sehr bewusst, dass ich eine Vorbildfunktion habe. Die übe ich auch aus. Wir haben eine Sieben-Tage-Woche. Es gab sicher mal Mittagspausen, die länger ausgefallen sind – auch Dienstessen. Aber mein Arbeitstag beginnt in der Regel um 8 Uhr und endet um 21, 22 Uhr, manchmal auch später. Deshalb glaube ich nicht, dass eine ausgedehnte Pause zu rügen ist.

„Ich trinke zu Pizza und Spaghetti gern einen Weißwein“

Aus den Aufsichtsräten der Stadtmarketinggesellschaft und der Beteiligungsholding wird berichtet, dass Sie dort schon nachmittags offen mit Wein in die Sitzungen gegangen wären. Ohnehin wird Ihnen ein übermäßiger Alkoholgenuss während der Arbeitszeit nachgesagt.

Scholten: Eine Alkoholerkrankung liegt nicht vor. Im Zuge meiner Operation zuletzt wurden ein von mir veranlasstes Blutbild und eine Anamnese vorgenommen. Ohne Befund. Wer mich allerdings kennt, weiß, dass ich zu Pizza und Spaghetti gern einen Weißwein trinke. Und das möchte ich mir auch nicht nehmen lassen. Es hat mich noch niemand wegen übermäßigen Alkoholkonsums aus einer Sitzung rausgetragen.

Kommen wir zur inhaltlichen Kritik. Schon im Sommer 2016 sollen Fraktionsgeschäftsführer Schindler und der damalige Fraktionschef Wiechering im Gespräch mit Ihnen ihre große Unzufriedenheit ausgedrückt haben. Erinnern Sie sich?

Scholten: Wir hatten immer regen Kontakt. Bei Jahres- oder Halbjahresgesprächen haben wir uns immer wieder über einzelne Projekte unterhalten. Wir haben immer auch gesagt, dass die Politik uns bitte sagen soll, welche Projekte sie gerne bearbeitet wissen will. Natürlich hat auch die Politik uns mit Aufträgen zu versorgen. Für uns war die Ruhrbahn im ersten Jahr das bestimmende Thema. Die Stadtwache war es im zweiten Jahr. Große Kritik habe ich damals so nicht wahrgenommen. Es waren Meilenstein-Gespräche.

Ulrich Scholten: „Große Kritik habe ich damals so nicht wahrgenommen.“
Ulrich Scholten: „Große Kritik habe ich damals so nicht wahrgenommen.“ © Gerd Wallhorn

Das wesentliche Projekt war die Ruhrbahn

Aus der SPD wurde Ihnen schon vor zwei Jahren vorgeworfen, keinerlei Projekte zur Weiterentwicklung der Stadt voranzutreiben, keinen Leitfaden vorzugeben. Wo sind die Projekte, die deutlich Ihre Handschrift tragen?

Scholten: Ich bin seit Oktober 2015 im Amt. Bis zum ersten Gespräch war noch nicht so viel Zeit, um Hochhäuser zu bauen. Das wesentliche Projekt war die Ruhrbahn, das hat sehr viel Kraft und Zeit gekostet. Wir haben die Aktivitäten beim Klimaschutz gebündelt, dazu die Stadtwache aufgebaut, die Strahlkraft in andere Städte hat. Wir sind mit der Wirtschaftsförderung an der Innenstadtentwicklung dran. Und wir haben den Masterplan Flughafen auf den Weg gebracht und das Thema Digitalisierung. Die Frage nach Leuchtturmprojekten ist immer die Frage, was geht. Wir sind da dran – und es wird sicher noch was kommen.

Im Januar 2018 waren es erneut Fraktionsgeschäftsführer Schindler und der neue Fraktionschef Dieter Spliethoff, die Ihnen unverzüglich mehr Engagement in strategischen Fragen und Amtsführung abverlangt haben sollen.

Scholten: Vereinzelt haben sie Unzufriedenheit formuliert, aber nicht so umfänglich, dass ich die aktuelle Entwicklung hätte erkennen können.

Sie sind am 16. Mai von Fraktionschef Spliethoff, Fraktionsgeschäftsführer Schindler sowie den beiden SPD-Dezernenten Frank Mendack und Ulrich Ernst mit allen Anschuldigungen und Gerüchten konfrontiert und von Spliethoff zum Rückzug aus dem Amt aufgefordert worden. Warum haben Sie abgelehnt?

Scholten: In dem von mir anberaumtem Gespräch haben mein Referent Brücker und ich die Herren über meinen Gesundheitszustand nach meiner OP informiert. Gleichzeitig habe ich meine persönliche Verfassung nach dem Tod meiner Frau thematisiert. Ich habe den Kollegen gesagt, dass ich anstrebe, so schnell wie möglich ins Amt zurückzukommen. Bestimmte Gesprächspartner haben aber wenig Rücksicht auf meinen gesundheitlichen oder mentalen Zustand genommen. Sie haben ihren Unmut über meine Amtsführung formuliert und sind hart mit mir ins Gericht gegangen: Sie thematisierten angebliche persönliche Defizite wie zum Beispiel den Alkoholkonsum. Die Herren haben erläutert, dass dieses Gesamtbild, gepaart mit dem Vorwurf zu den Bewirtungsbelegen, nur durch einen Rücktritt befriedet werden könne. Das hat mich sehr überrascht. Ich habe den Kämmerer gebeten, das Thema der Spesenverwendung strikt nach den rechtlichen Vorschriften und ohne politische Beteiligung anzugehen. Gleichzeitig erklärte ich meine Bereitschaft, bei etwaigen Fehlern selbstverständlich die Kosten privat zu tragen. Sollten mir Versäumnisse nachgewiesen werden, werde ich den Betrag ersetzen – und noch einmal den gleichen Betrag einer gemeinnützigen Organisation spenden.

„Es geht darum, Vertrauen zurückzugewinnen“

Sie haben zuletzt am Mittwoch betont, nicht an Rücktritt zu denken. Sie wollen kraftvoll ins Amt zurückkehren. Wie sehen Sie dafür Ihre Chancen angesichts der massiven Anfeindungen und des politischen Flurschadens?

Scholten: Es ist eine ganz schwere Lage. Nichtsdestotrotz strebe ich an, so schnell wie möglich ins Amt zurückzukehren. Es geht darum, Vertrauen zurückzugewinnen, so schnell und transparent wie möglich den objektiven Tatbestand aufzuklären und dann das zu tun, wofür mich die Bürger gewählt haben: das Amt auszuführen zum Wohle der Stadt.

Der OB beschädigt, die SPD beschädigt, die Stadt beschädigt. Wie soll da wieder Ruhe einkehren, wie soll Ihnen die Versöhnung mit Ihrer Partei gelingen?

Scholten: Einer Versöhnung mit meiner Partei bedarf es nicht. Mein Vater hat immer gesagt: Man tritt ja auch nicht gleich aus der Kirche aus, wenn einem der Pfarrer nicht gefällt.