Mülheim. . SPD-Fraktionsspitze und Dezernenten stehen für ihr Verhalten gegenüber dem Oberbürgermeister bei Teilen der Partei heftig in der Kritik.

Tag 1, nach dem im Rathaus die Bombe zum Verdacht der Untreue gegen Oberbürgermeister Ulrich Scholten geplatzt ist: Stadtdirektor Dr. Frank Steinfort gibt sich in einer ersten offiziellen Verlautbarung der Stadtverwaltung am Mittwoch bemüht, Ruhe und Souveränität zu demonstrieren. „Wir haben keine Staatskrise. Die Verwaltung ist weiterhin voll arbeitsfähig“, lässt er verkünden. Hinter den Kulissen aber tobt es. Gibt es Kräfte, die den Moment der Schwäche beim krankgeschriebenen und mit dem Tod seiner Frau konfrontierten Oberbürgermeister nutzen wollen, um ihn endlich aus dem Amt zu jagen? In der SPD offenbaren sich in dieser Frage tiefe Gräben.

Am Dienstag hatten sich die Ereignisse überschlagen: Die Dezernenten Steinfort, Frank Mendack und Ulrich Ernst waren durch die Ratspolitik getourt und hatten informiert, dass es den Verdacht gebe, dass Scholten aus seinem Budget als Oberbürgermeister Gastronomie-Rechnungen habe begleichen lassen, für die kein dienstlicher Zweck erkennbar sei. Die Märkische Revision hat den Auftrag, die „Auffälligkeiten“ zu prüfen. In drei, vier Wochen soll ein Ergebnis vorliegen.

Kämmerer hatte Pflicht, es den Rechnungsprüfern zu melden

Warum hat die Dezernenten-Riege das Prüfergebnis nicht abgewartet, bevor sie den Verdacht der Untreue gegen den OB in der Politik streut – wohl wissend, dass in der Vergangenheit immer wieder Rats­politiker vertrauliche Informationen in die Öffentlichkeit gespielt hatten. Es musste den Dezernenten klar sein, dass der Verdacht gegen den OB mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Welt getragen würde – und so ist es ja auch gekommen.

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In einer Sondersitzung der SPD-Fraktion mit Parteivorstand hat Kämmerer Mendack der Schilderung mehrerer Teilnehmer zufolge dargestellt, dass ihm gemäß Rechnungsprüfungsordnung überhaupt keine andere Wahl mehr geblieben sei. Wenn etwas Derartiges im Zahlungsverkehr auffällig werde, habe er die Pflicht, das dem Stadtrat unterstellte Rechnungsprüfungsamt darüber zu informieren, soll Mendack gesagt haben. Das Amt wiederum habe daraufhin die Politiker des Rechnungsprüfungsausschusses zu informieren.

SPD-Quartett legte Scholten den Rücktritt nahe

Wie aus informierten Kreisen zu hören ist, hatten Fraktionsspitze sowie die SPD-Dezernenten Mendack und Ernst diese Öffentlichkeit noch zu verhindern versucht, indem sie dem Oberbürgermeister in zwei Gesprächen den Rückzug aus dem Amt nahegelegt haben. Fraktionsgeschäftsführer Claus Schindler und Fraktionschef Dieter Spliethoff bestätigten am Donnerstag Informationen dieser Zeitung, dass es ein derartiges Gespräch mit OB und dessen Referenten bereits am 16. Mai gegeben habe.

Die Idee dahinter: Ulrich Scholten sollte sich freiwillig aus dem Rathaus zurückziehen, so dass er einem Verfahren als Amtsträger (mit all seiner Öffentlichkeitswirkung) entgehen hätte können, was jetzt gerade anläuft. Ihm, der Stadt und auch der Partei sollte so eine öffentliche Schlammschlacht erspart bleiben. Man hätte, so hieß es, die Sache dann weit geräuschloser, trotzdem legal regeln können, hieß es.

Spliethoff: Es ging niemals um ein Abschießen

„Es ging niemals um ein Abschießen“, sagt Spliethoff und bestätigt, dass er am 16. Mai der Erste gewesen sei, der Scholtens Rücktritt eingefordert habe. Scholten soll zehn Tage Bedenkzeit eingeräumt bekommen haben.

Am vergangenen Sonntag dann soll es übereinstimmenden Schilderungen zufolge ein weiteres Gespräch mit Scholten gegeben haben. Doch Scholten sei weder bei jenem Treffen noch am nächsten Morgen bereit gewesen, sein Amt niederzulegen. Am Montag dann machte der Kämmerer seine Pflichtmeldungen. Schindler und Spliethoff drückten am Mittwoch gegenüber der Redaktion ihr Bedauern aus, dass Scholten nun zusätzlich zu seiner tragischen persönlichen Situation öffentlich an den Pranger gestellt sei.

Scholten schildert Gespräche anders

Scholten widerspricht der Darstellung. Eine Fristsetzung habe es nicht gegeben, sehr wohl aber habe ihm Spliethoff angesichts verschiedener „Anschuldigungen“ und „Gerüchte“ einen Rücktritt nahegelegt. „Ich habe gesagt: Lasst mich erst mal mit meiner persönlichen Situation klarkommen und mit voller Kraft zurückkommen, dann können wir über alles reden.“ Er favorisiere eine „transparente Aufklärung vermeintlicher Unregelmäßigkeiten“, wie jetzt in Gang gesetzt, so der OB. „Ich wäre nicht bereit, es auf einem halbseidenen Weg zu klären. Ich habe auch eine Verantwortung denjenigen gegenüber, die mich gewählt haben.“

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Scholten sagte, er habe „den Sachverhalt bis heute nicht auf dem Tisch“, so könne er zur Sache nur „wie ein Blinder von Farbe reden“. Den Kämmerer habe er gebeten, ihm die Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

SPD im Streit um das Vorgehen gespalten

Die Causa Scholten spaltet die SPD aktuell in zwei Lager. Das Quartett von Dezernenten und Fraktionsspitze sieht sich intern heftiger Kritik ausgesetzt, von „menschenunwürdigem“ Umgang mit Scholten ist die Rede, nachdem dessen Frau erst vor einem Monat verstorben ist. Das Quartett habe bewusst Scholtens momentane Schwäche dazu nutzen wollen, ihm den „Dolchstoß“ zu verpassen. „Man hat nur im Blick gehabt, ihn jetzt fertigzumachen“, sagt ein Fraktionsmitglied.

Gar war davon die Rede, dass Kämmerer Mendack bereits als Nachfolger Scholtens auserkoren gewesen sei. Der bestätigte zwar, „von Teilen der Partei“ mal angefragt worden zu sein, winkte am Mittwoch aber ab: „Ich habe immer kategorisch ausgeschlossen, OB zu werden. Das ist jenseits meiner Lebensplanung.“ Dezernentenkollege Ernst verwies zur Dolchstoß-Geschichte lediglich darauf, dass „solche Darstellungen der Abläufe nicht stimmen“.

Sonderparteitag am Dienstag birgt Brisanz

Am Dienstag will die SPD zu einem Sonderparteitag zusammenkommen, danach sollen die Ortsvereine tagen. Wie die WAZ erfuhr, sind sie in die aktuellen Vorgänge um ihren Unterbezirksvorsitzenden Ulrich Scholten nicht eingebunden gewesen. Allerdings ist in der Partei seit Längerem bekannt, dass „am Stuhl des OB gesägt wird.“ Was derzeit geschehe, so ein führendes Mitglied der SPD, sei eine Mischung aus Intrige und Putschversuch.

Ziel sei es, den OB mit Nachdruck zum Rücktritt zu bewegen. „Was hier mit einem SPD-Mitglied gemacht wird, ist in höchstem Maße unmoralisch“, sagt das SPD-Mitglied, das namentlich vorerst nicht genannt werden möchte. Das alles geschehe an der Partei vorbei, die Scholten mit großer Mehrheit zur Wahl aufgestellt habe und den die Bürger gewählt haben. Inzwischen gebe es in der Partei sogar einige, die Angst um den Menschen Scholten hätten. Der Unmut über das Vorgehen von Teilen der SPD-Fraktion sei entsprechend groß.

>> Referatsleiter weist Rücktrittsgerücht von sich

Im Zuge der aktuellen Entwicklungen wird in informierten Kreisen auch darüber spekuliert, ob Guido Brücker eine Zukunft als Leiter des OB-Referates hat. Die Gerüchteküche brodelte, von einem erklärten Verzicht auf den Posten war gar hören, auch von Druck seitens der SPD.

„Hier spricht der Referent von Oberbürgermeister Ulrich Scholten“, meldete sich Brücker am späten Mittwochnachmittag demonstrativ auf eine Bitte um Stellungnahme dieser Redaktion. Mehr gebe es dazu nicht zu sagen, verabschiedete sich Brücker als Referatsleiter in den Urlaub.